(hier zum …ersten Teil… – …zweiten Teil… der Artikelserie zum Thema Meta-Komposition…)
Musikgenuss pur
Wie im letzten Beitrag schon angedeutet, sind inszenierte Konzerte heute keine Seltenheit mehr. Ganz im Gegenteil: sie sind im Bereich der Neuen Musik so inflationär, dass man sich schon fast wieder wünscht, Ensembles und Veranstalter würden ohne den ganzen Kladderadatsch einfach mal nur gute Musik spielen.
Aber okay, so ist es eben. Und prinzipiell sind inszenierte Konzerte ja auch eine super Sache. Freilich: eine verteufelt schwere Sache! Und: Eine Sache, für die es noch wenig Tradition und handwerkliche Erfahrung gibt – und die dementsprechend längst nicht immer gelingt.
In Ermangelung jahrhundertelanger Erfahrung stößt man im Bereich der Meta-Komposition mitunter auf hanebüchene Ansichten und Praktiken. Ich habe z.B. schon gehört, dass es für einen gelungenen Konzertabend wichtig sei, dass sich kurze und lange Stücke sowie große und kleine Besetzungen regelmäßig abwechselten. Nun, das ist ungefähr so zweckmäßig wie die Aussage, dass es für einen reibungslosen Verkehrsfluss wichtig sei, dass immer abwechselnd rote und blaue Autos führen. Ein aparter Anblick, zweifellos! Aber wenn vorneweg ein lahmer Traktor zuckelt, der den ganzen Betrieb aufhält, helfen die schönsten Farben nix.
Deshalb ist die erste und entscheidende Aufgabe für einen gelungenen Konzertabend: FAHRVERBOTE ERTEILEN!
Als Meta-Komponist kann ich zwar nicht in mein Material (d.h. die einzelnen Kompositionen des Abends) kompositorisch eingreifen. Aber ich kann entscheiden, welche Kompositionen überhaupt ins Programm kommen.
Und hier muss man rigoros sein.
In einer Komposition mit Tönen (oder sonstigen atomaren Einheiten wie Geräuschen, Rauschen etc.) ist die Materialauswahl vergleichsweise sekundär, weil man später darauf reagieren kann. Wenn ich eine Oboe besetzt habe, aber das Instrument nicht mag, kann ich mir immer noch einen kreativen Umgang damit überlegen.
Musikgenuss pur, Teil 2
Wenn ich aber ein langweiliges Stück im Programm habe, dann kann ich nichts machen. Dann kann ich es bestenfalls so geschickt einbauen, dass es z.B. an einer Stelle kommt, wo das Publikum eh gerade mal etwas verschnaufen muss. Doch schon bei zwei, drei oder vier langweiligen Stücken bin ich aufgeschmissen. Dann ist der Abend perdü. Wohingegen ich als klassischer Komponist mit etwas Phantasie selbst für ein Quartett aus, hm, sagen wir Oboe, Alphorn, Cembalo und Blockflöte noch irgendetwas sinnvolles schreiben könnte.
Somit heißt die wichtigste Voraussetzung für die Meta-Komposition eines Konzertabends: nur gute Musik ins Programm nehmen!
Klingt trivial, hat aber in der Vorbereitung des nächsten SCHWELBRAND-Konzerts (übrigens…… falls ich es noch nicht gesagt habe: am 14. März!!!) dazu geführt, dass ich tausende dutzende Stücke gehört – und fast ebensoviele zu den Akten gelegt habe. Es gibt keine gute Meta-Komposition mit schlechten Stücken (frei nach Adorno).
Die Stücke müssen übrigens nicht nur gut sein – sie müssen auch zusammenpassen. Das soll keineswegs bedeuten, dass sie sich ähnlich sein müssen. Sie können sogar sehr verschieden sein, sich krass beißen oder sogar kulturell clashen. Aber sie müssen auf irgendeiner sinnvoll komponierbaren Meta-Ebene Beziehungen aufbauen – ähnlich den im letzten Post beschriebenen satzübergreifenden Beziehungen in spätromantischen Sinfonien.
Solche Beziehungen können beispielsweise energetischer Natur sein. SCHWELBRAND hat ja seit seiner Gründung den Anspruch, „laut und energiegeladen“ zu sein – Neue Musik, die auch in einem Club funktionieren kann, ohne verkrampft oder deplatziert zu wirken. Unter dieser Prämisse passen Kompositionen gut zusammen, die einen gemeinsamen energetischen Zug nach vorne haben – egal ob dies z.B. durch die starke Bühnenpräsenz der Akteure, durch eine kompositorische Crescendo-Struktur oder einfach durch hohe Lautstärke geschieht.
Iannis Xenakis‘ Klavierstück „Evryali“ und John Oswalds Tape-Komposition „Velocity“ haben z.B. an der Oberfläche wenig gemein. Das eine ist ein immens schweres, live dargebotenes, akustisches Klavierstück – das andere ist ein aus hunderten Einzelsamples zusammengesetzter CD-Track. Das eine hat eine klare Steigerung über zehn Minuten – das andere ist zwei Minuten geballte Energie, nur mit kurzer Verdichtung in den letzten Sekunden. Das eine ist eine abstrakt-atonale, pitch-orientierte Komposition – das andere ist ein kulturell assoziatives Spiel mit Popsamples. Das eine ist eine klassisch-atomare Komposition – das andere bereits selbst eine Meta-Komposition. Dennoch verbindet beide Stücke dieselbe energetische Grundhaltung des sitting on the edge. Dieselbe kompromisslose Verausgabung. Derselbe Zug nach vorn. Und deshalb passen sie so gut zusammen.
Unser Pianist, der fantastische Xenakis-Interpret Ermis Theodorakis, hatte für das Programm übrigens auch Xenakis‘ Klavierstück „Herma“ vorgeschlagen. Dieses Stück ist nicht minder schwer und nicht minder komplex als Evryali. Der Pianist verausgabt sich ganz genauso. In seiner Mosaik-Struktur ist „Herma“ John Oswalds „Velocity“ sogar noch näher. Man könnte argumentieren, Herma mache mit weit auseinanderliegenden Tönen dasselbe, was Velocity mit weit auseinanderliegenden Samples macht: sie virtuos und unerwartet kombinieren.
Trotzdem passt Herma überhaupt nicht ins Programm. Warum? Ganz einfach: Das Stück ist statisch. Es geht nicht nach vorne. Es ist wie ein Laster auf der Autobahn, der mit erstaunlichen 180 km/h dahindüst. Wenn aber hintendran ein Rennauto kommt, das in zwei Sekunden auf 500 km/h beschleunigen will, dann ist der erstaunliche Laster vor allem eins: im Weg.
Auf diese Weise sind viele, viele, viele, viele Stücke rausgeflogen. Dringeblieben sind sehr wenig. Dafür habe ich nun sehr gutes Material, um metazukomponieren. Doch damit geht die eigentliche Arbeit erst los. Wie werde ich der auseinanderstrebenden Energien Herr? Wie beherrsche ich Xenakis, Oswald und all die anderen? Wie erringt der Meta-Komponist die musikalische Weltherrschaft?
Dazu in der nächsten Folge! Stay tuned!