Bitte einsteigen: kunterbunte Karussellfahrt im GOP Varieté Bonn

Ich liebe Karussell fahren! Deshalb bin ich schon vor der Premierenshow des bereits dritten Programms im Bonner GOP Varieté Theater entzückt, als ich noch vor dem Essen die Deko erblicke: Alte Karussellpferde stehen am linken Bühnenrand und stimmen die Besucher schon mal auf die bunte und verschrobene Jahrmarkt-Szenerie ein, die sie in wenigen Minuten erwartet. 

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„Karussell“ lautet der einprägsame Name der Show, die im März und April in Bonn zu sehen ist. Gespickt ist sie mit Künstlern aus Kanada, den USA und Australien und das bunte Ensemble bringt neben komödiantischem und sehr viel schauspielerischem Talent wahrlich bemerkenswerte akrobatische und artistische Darbietungen auf die Bühne. Wer denkt, nach den beiden so unterschiedlichen Shows „Plüfoli“ und „Talents“ könnte ihn das Varieté nicht mehr überraschen, der irrt gewaltig.

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Alles dreht sich! Karussell der Talente im GOP 

Ob Emmaline Piatt, die aus Gummi zu bestehen scheint und sich so weit verbiegt, dass ihre Kollegen sie als Springseil benutzen können,  und die sich ihre Schuhe im Spagat sitzend anzieht, oder Jason Fergusson und Coen Clarke, die den russischen Barren auf atemberaubende Weise für ihre waghalsigen Manöver nutzen. Außerdem beherrschen die beiden Australier beeindruckende Partnerakrobatik und die weiterführende Form davon, bei der mindestens drei Personen beteiligt sind – Banquine nennt sich diese Kunstform. Und auch auf dem Schleuderbrett, das wie eine überdimensionale Wippe aussieht, machen sie eine gute Figur. Emmaline begeistert mit ihrer Vielseitigkeit: Ob Vertikalseil oder Luftschaukel – schnell, gezielt und grazil zieht sie das Publikum in ihren Bann.

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Jean-Philippe Labelle zeigt Kunststücke auf der eben erwähnten großen Wippe, die ich bisher auch nicht im Varieté gesehen habe. Außerdem liefert er sich ein Tanzduell mit dem schillernden Pausenclown und kann ziemlich viele Keulen jonglieren. Ebenso vielseitig und oft taucht Jonathon Roitman auf der Bühne auf, der bereits mit seiner Rolle Vorwärts ganz zu Beginn der Show die Aufmerksamkeit der Zuschauer innehat. Besonders auffällig ist er aber durch seine vielen Hilfestellungen, ohne die die anderen Akrobaten manchmal nicht auskommen, und durch seinen schwarzen Ganzkörperanzug, in dem er wie ein Schatten als guter Geist des Stücks umherhuscht und immer wieder betont „Ich bin gar nicht da!“.

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Varieté mit Augenzwinkern

Zwischendurch sind immer wieder alle Künstler gemeinsam auf der Bühne, auf der es zugeht wie in einem Taubenschlag. Ständig passiert irgendwo irgendwas und man könnte die Show wohl locker dreimal ansehen und es würden einem immer noch Details entgehen. Das bunte Treiben ist lustig und immer mit einem Augenzwinkern zu sehen. Denn Karussell versteht sich gleichermaßen als Parodie und als Hommage – auf den Zirkus, die Wiege des heutigen Varieté. 

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Und es ist gar nicht so einfach, zu entdecken, an welchen Stellen gerade Parodie und an welchen Hommage überwiegt. Hinter all der überdrehten Albernheit, die sich durch die Show zieht, steckt ein Können, das entdeckt werden will und das neben höchster Aufmerksamkeit die größte Anerkennung verdient. Vor allem in der ersten Hälfte überwiegt der wirbelnde, rasende Tenor voller Anspielungen, die im wuseligen Gemenge unterzugehen drohen. Der völlig überzogene Pausenclown, eine exzentrische Figur, die von Philippe Trépanier dargestellt wird, trägt sein Übriges dazu bei, indem er anzügliche Witze macht, das Publikum auf ungeniert berührungsfreudige Art miteinbezieht, Brusthaartoupets und Blumensträuße aus seiner Unterhose zaubert oder im Ballerina-Kostüm dickbauchig über die Bühne tänzelt. Und obwohl er schrecklich albern ist, kann man gar nicht anders, als mitzulachen bis einem die Tränen in den Augen stehen. Er ist einfach unfassbar mitreißend – auch wenn wir froh sind, in der dritten und damit sicheren Reihe zu sitzen.

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Eine starke zweite Hälfte 

Doch selbst Philippe ist mehr als nur ein Pausenclown: Als er nach der Pause das Diabolo rockt, liegt ihm das Publikum zu Füßen. 

Überhaupt ist die zweite Hälfte noch intensiver in ihren Darbietungen: Anouk Blais und Guillaume Mesmin, das Duo am Trapez, zwingen mich, den Atem anzuhalten. Ihre Performance ist einfach nur der Wahnsinn – so viel Kraft, so viel Eleganz und Leidenschaft, und das alles in gut vier Metern Höhe. Die beiden wurden nicht umsonst für ihre Darbietung ausgezeichnet.

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Gekrönt wird das trubelige Karussell von einer Darbietung im Cyr, die alle bisher gesehene Cyr-Akrobatik in den Hintergrund drängt. Ich bin hin und weg von dem wirbelnden Gabriel, der den Reifen zu ungeahnten Geschwindigkeiten abtreibt, eine Drehung nach der anderen befeuert, aus dem Cyr herausragt, um ihn im nächsten Moment herumzureißen. Ich habe noch nie eine energetischere Nummer im Cyr gesehen. Beschwingt und elektrisiert von dieser Abschlussdarbietung lässt „Karussell“ den Betrachter mit schwirrendem Kopf und einem Lächeln im Gesicht zurück. Ungläubig, dass dieses sehr kurzweilige Vergnügen so schnell vorbei ist.

Dabei dauert die Show mit Pause wie auch die vorherigen Programme etwas mehr als zwei Stunden. Wer das Drei-Gänge-Menü dazu bucht, fängt etwa eine Stunde eher an mit einer Karotten-Ingwer-Suppe und gekochtem Schweinerücken an Erbsenpüree und Polenta. In der Pause wird das Dessert serviert: Mousse aus weißer Schokolade und Ingwer mit einer Zitronengrascreme. Logistisch ist der Service noch besser geworden und unsere persönliche Bedienung war den ganzen Abend sehr freundlich und zuvorkommend für uns da.  Das Menü ist im Vergleich zu den beiden Vorgängern etwas schwächer, aber natürlich in gewohnter GOP-Qualität.

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Fazit 

Wer das ironische Augenzwinkern von „Karussell“ versteht und schon ein bisschen Varieté-Erfahrung hat, der wird die Show und den Abend im GOP genießen. Besondere Aufmerksamkeit sollte der geneigte Zuschauer dabei übrigens der Musik zollen, die stimmiger und präsenter denn je im roten Saal ertönt und die Stimmung in großem Maße mitbestimmt – von Gänsehaut über gebanntes Atemanhalten bis hin zum Klatschen und Mitfiebern unterstreicht die musikalische Auswahl perfekt das Bühnengeschehen. Insgesamt ergibt sich in „Karussell“ eine runde und sehr ausgewählte Mischung großer Kunst im Deckmantel verspielter Bescheidenheit.

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