Liebe Moorbirke Leserin, lieber Leser!
Auf den Gemälden der alten Meister erkennt jeder, was darauf ist: eine nackte Venus, eine biblische Geschichte ein Fürst. Bei der modernen Kunst wird es oft schwieriger.
Als die Fotografie den Malern zum Konkurrenten wurde, taten diese etwas, was der fotografische Apparat nicht konnte: sie abstrahierten. 1890 malte der Franzose Claude Monet einen Heuhaufen so oft, bis er kaum noch als solcher erkennbar war. Der russische Künstler Wassily Kandinsky experimentierte 1920 ganz bewusst mit dem Abstrahieren: etwas Wirkliches so darstellen, dass es nicht mehr auf Anhieb erkennbar ist. Auch Picasso tat das sein Leben lang – er abstrahierte Frauen, Stiere, Bewegung.
Nach dem zweiten Weltkrieg, als Farbfotografie und Fernseher die Wohnzimmer zu füllen begannen, entstand in den USA die ungegenständliche Malerei. Was gemalt wurde war keine Abstraktion mehr, nein, es hatte nicht den geringsten Bezug zu einem wirklichen Gegenstand. Mark Rodtko zum Beispiel malte (fast) einfarbige Flächen (mit bis zu fünfzig Schichten derselben transparenten Farbe) – aber er musste 1960 die Käufer noch vertraglich verpflichten, das Bild nicht als Hintergrund für etwas anderes zu verwenden. Denn für viele war es damals einfach eine schöne Tapete.
Heute haben wir uns daran gewöhnt, dass man auf einem Gemälde nichts zu erkennen braucht, ja dass der Künstler vielleicht gar nichts gemeint hat – sondern einfach das Spiel von Farbe, Form und Muster die Schönheit, die Kunst ausmacht. Die meisten dieser Bilder haben daher auch keinen Namen, sondern bestenfalls noch eine Nummer. Da unser Leben mit schrillen Bildern überfüllt ist, ziehen auch viele Menschen solche ungegenständlichen Bilder vor.
Ich male oft Abstrakt (ich abstrahiere etwas) und manchmal auch Ungegenständlich (das Bild hat keine reale Vorlage). “Der Kupferschmied” (oben) ist ein ungegenständliches Bild. Es hat keinen Kupferschmied als Vorlage – aber trotzdem trägt das Bild diesen Namen.
Heute ist der Alltag, das Leben, die Arbeit der meisten Menschen nicht nur abstrakt, sondern sogar ungegenständlich. Durch die extreme Arbeitsteilung hat das eigene Tun als Bankangestellter oder Chemiker nichts mehr mit dem Endprodukt zu tun. Manchmal hat man auch keine Ahnung, wie viel man wirklich dazu beiträgt.
Ist Dein Leben ein Rembrandt oder ein Rubens, oder eher ein Jackson Pollock oder gar ein Ives Klein? Oder ist es etwa einfach ein Hintergrund für etwas anderes?
Der Kupferschmied / 40cm x 30cm / Acryl und Collage auf Halbkarton / 2014, Nr.14-055