Die Masse der deutschen Bürger und Bauern, der Intelligenz, der Kaufleute, Handwerker, Beamten und Angestellten, selbst ein bedeutender Teil der Arbeiter, haben leider einen sträflich geringen Sinn für Freiheit und Demokratie bewiesen. Diese Selbstentmündigung politisch so breiter Kreise unseres Volkes fand immer schmählicheren Ausdruck, bis es schließlich hieß, wir brauchen nicht mehr zu denken.
Wäre eine solche willenlose und widerstandslose Selbsterniedrigung und Selbstvernichtung eines Volkes möglich gewesen, wenn es seine Pressefreiheit und seine Redefreiheit behauptet hätte? Es hat Millionen gefallen, dass sie sich keine Mühe geben brauchten, selbst einen Weg zu suchen, sich selbst eine Meinung zu bilden in offener Aussprache und Auseinandersetzung mit den politischen Parteien. Ihnen schien es ein "großes Wort" zu sein, wenn sie erklärten, sie seien unpolitisch, sie kümmerten sich überhaupt nicht um Politik, und sie ahnten nicht, wie sie gerade dadurch Werkzeuge der erbärmlichsten, gemeinsten, betrügerischsten und der verlogensten Politik wurden.
Der mangelnde Sinn für den Kampf um die bürgerlichen Rechte und Freiheiten, für kämpferische Demokratie, gegen den Feind im eigenen Lande, für selbständige, entschlossene Massenaktion des Volkes gegen die plutokratischen Nutznießer, Ausbeuter und Unterdrücker gegenüber der ehrlichen Arbeit der breitesten Volksmassen hat leider tiefe Wurzeln in einer alten Tradition unseres Volkes. Der Militarismus und der Untertanengeist sind durch die tragische Geschichte unseres Volkes in den letzten vier Jahrhunderten stärker entwickelt als irgendwo anders. Der Ausweg aus unserer nationalen Katastrophe, die das Letzte und Beste und unserem Volke zu ihrer Überwindung fordert, ist jedoch nur möglich, wenn dabei gleichzeitig auch die Grundschwächen überwunden werden.
Sagte Bernhard Koenen. 1946