Bis ans Ende der Geschichte

Von Buecherchaos @FranziskaHuhnke

Bis ans Ende der Geschichte

Jodi Picoult

C. Bertelsmann

978-3570102176

19,99 €

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Sage Singer ist eine junge Bäckerin. Sie hat ihre Mutter bei einem Autounfall verloren und fühlt sich schuldig, weil sie den Wagen gelenkt hat. Um den Verlust zu verarbeiten, nimmt sie an einer Trauergruppe teil. Dort lernt sie den 90jährigen Josef Weber kennen. Trotz des großen Altersunterschieds haben Sage und Josef ein Gespür für die verdeckten Wunden des anderen, und es entwickelt sich eine ungewöhnliche Freundschaft. Als Josef ihr eines Tages ein lang verschwiegenes, entsetzliches Geheimnis verrät, bittet er Sage um einen schwerwiegenden Gefallen. Wenn sie einwilligt, hat das allerdings nicht nur moralische, sondern auch gesetzliche Konsequenzen. Sage steht vor einem moralischen Dilemma: Denn wo befindet sich die Grenze zwischen Hilfe und einem Vergehen, Strafe und Gerechtigkeit, Vergebung und Gnade?

Sage backt. Sie kann es sehr gut, aber es ist nicht ihr Beruf. Sie mag die Abgeschiedenheit, die Einsamkeit und kann nachts viel besser trauern. Sage ist verwundbar, fühlt sich nicht wohl in ihrer Haut, denn diese hat einen Makel. Tief in ihrem Innern ist sie dennoch stark, voller Zweifel, aber vielleicht bald bereit etwas zu ändern. Diese Entwicklung von Sage hat Jodi Picoult wirklich gut herausgearbeitet. Gewissensbisse, Lügen, Tränen und Herzblut machen den Charakter unverwechselbar.

Josef, ein alter Mann, spielt gerne Schach, hat einen Hund und füttert diesen immer mit halben Brötchen. Sie freunden sich an, diese beiden unterschiedlichen Menschen. Es ist der moralische Gefallen, der Sage und den Leser an dem alten Mann zweifeln lassen. Immer wieder fragt man sich: Was würde ich tun? Trotz alldem ist er liebenswert, rührselig und traurig auf eine Art, die berührt, aber auch abschrecken kann.

Die Trauergruppe besteht aus mehreren Menschen, die sehr skurril und manchmal ziemlich boshaft sind. Es gibt Augenblicke, da fragt man sich, wie lange es Sage dort noch aushält.

Das Buch hält noch einige andere Überraschungen parat, die ich nicht näher beschreiben möchte. Es würde zu viele Entdeckungen voraus nehmen. 

Amerika, Polen, Deutschland – jedes Land hat seine eigene Geschichte. Nicht jedes Land wird treffend dargestellt und ich weiß nicht, ob euch auch manchmal beim Lesen bewusst wird, dass wir immer egal wann, das Land der Nazis sind/sein werden, die Bösen. Ich will damit nicht sagen, dass die Zeit des Nationalsozialismus nicht schrecklich war und ich selbst bin immer wieder erschüttert, was tatsächlich alles passiert ist. Aber es gab auch gute Menschen zu der Zeit und ich mag diese platten, plakativen Darstellungen der Zeit einfach nicht.

Bei Jodi Picoult müssen viele Leser an “Beim Leben meiner Schwester” denken oder an “Neunzehn Minuten”. Die Autorin sucht sich schwierige Themen aus. Es gibt Charaktere, die immer am Scheideweg stehen zwischen moralischem Denken und Handeln und etwas, was der Mensch sich nicht vorstellen kann: Sterbehilfe, Mord, Freigabe zur Adoption oder Amoklauf. Der Mensch hat immer die Entscheidungsgewalt: Gehe ich diesen Schritt? Ja oder nein? In diesem Roman geht es auch um ein Ja oder Nein, aber auch um viele Menschen, die unschuldig gestorben sind. Viele Menschen, die keine Chance hatten, Kinder zu bekommen, ihr Leben zu leben oder einfach wieder unbedarft Kuchen zu backen.

Der Roman wird aus der Sicht von Sage erzählt. Aber auch aus der Sicht von Josef, Leo und Minka. Wer die plötzlich alle sind? Das wird nicht verraten. Es ist wie ein Puzzle, das sich langsam zusammensetzt. Am Anfang hatte ich damit meine Probleme. Sage ist nett, keine Frage. Sie ist aber auch anstrengend, denn sie findet sich doof, sie findet sich hässlich und die Welt ist ohne sie besser. Erst nach 100 Seiten, durch die ich mich wirklich gequält habe, wird es besser. Eine interessante Person greift in die Handlung ein, zeigt, dass es schwierig ist zu einem Thema seine Meinung zu vertreten und wertet die Handlung auf. Plötzlich ist sie da: die Leichtigkeit und gleichzeitig Schwermütigkeit der Jodi Picoult. Ihr Denken: Ja, Nein, Vielleicht. Ihre moralische Linie, die hauchfein am Wahnsinn vorbeigeht und manchmal hoch wie eine Mauer erscheint.

Wie die Geschichte sich im Ganzen entwickelt, werde ich nicht sagen, denn das machen andere Rezensionen schon genug. Ja, es geht um die Zeit des Nationalsozialismus und ja, manchmal hätte ich mir gewünscht, die Autorin hätte nicht drei Bücher gelesen und dann dieses Buch geschrieben. Ich will nicht sagen, dass sie sich damit nicht beschäftigt hat, aber es ist mir an vielen Stellen zu plakativ, zu massiv darauf ausgelegt, dass nur im Kern gute Menschen zu so etwas fähig sind und auch die ganz bösen Zweifel haben. Ich verstehe diesen Umgang, denn das Thema geht uns nach vielen Jahren noch etwas an. Aber es ist nicht der erhobene Zeigefinger, der hilft. Es hilft nur die Wahrheit zu nennen, nichts zu verschweigen und Augen zu öffnen, die die Zusammenhänge nicht sehen wollen – so wie jetzt, wenn die Farbe wieder hoch kommt.

Trotz meiner Kritik ist das Buch nach 100 Seiten nicht mehr aus der Hand zu legen. Es beginnt spannend zu werden, die Übergänge sind fließend und es werden Geschichten erzählt, die genau so gruselig sind, wie die Wirklichkeit.

“Bis ans Ende der Geschichte” ist ein schöner Titel, passt er am Ende zu der schönen verwobenen Geschichte, in der Geschichte. Allerdings passt der Originaltitel auch sehr gut “The Storyteller”. Unter dem Titel hätte ich das Buch sicher auch gekauft.

Der Roman und ich haben ein bisschen gebraucht, um zueinander zu finden. Später setzte ein Sog ein, der nur unterbrochen wurde, wenn ich feststellen musste, dass die “Nazigeschichte” zu plakativ und abgelesen dargestellt wurde.

3 Bücherpunkte für den geschichtlichen Kontext und den bösen “deutschen” Unterton”, 4 Bücherpunkte für eine liebevoll, verwobene Geschichte über eine Frau, die schreiben wollte, um ihr Leben zu retten.