Theater, wie es im Film kunstvoller und wohl kaum schöner sein könnte – Regisseur Alejandro González Iñárritu inszeniert Birdman (oder die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit) nicht nur tragisch-düster, sondern vor allem auch: brillant.
Riggan Thomas (Michael Keaton) ist ein Schauspieler, der in der Rolle des Superheld “Birdman” in den 90er Jahren gefeiert wurde. Heute steht der einstige Held jedoch vor dem Scherben seines Ruhms: Auf dem Broadway versucht er nun an den früheren Erfolg mit einer Theater-Inszenierung anzuschließen. Zugleich will er damit beweisen, dass wahres Talent abseits der Mainstream-Unterhaltung in ihm steckt und er noch lange nicht zum alten Eisen gehört. Das Problem ist: Riggan steht aufgrund des Leistungsdrucks und der Erwartungshaltung vor einem kompletten Nervenzusammenbruch. Die Premiere seinen Stücks rückt immer näher, einer seiner wichtigsten Darsteller von einem herabfallenden Scheinwerfer getroffen und wird kurzerhand, durch die Hilfe der ebenfalls am Stück beteiligten Schauspielerin Leseley (Naomi Watts), vom neurotisch-egozentrischen Blockbuster-Magneten Mike Shiner (Edward Norton) ersetzt. Auch Probleme mit Riggans junger und attraktiver Freundin Laura (Andrea Riseborough), in einer Nebenrolle des Theaterstücks involviert, sorgt zusätzlich für reichlich Aufregung. Den Schwierigkeiten nicht genug macht ihm auch noch seine Tochter Sam (Emma Stone), die nach einem Drogenentzug unfreiwillig zu seiner Assistentin wird, das Leben schwer. Hinter den Kulissen kommen so zahlreiche Dramen zutage und Riggan versucht mit aller und letzter Kraft, sein Stück und damit seine Karriere zu retten.
Meisterregisseur Alejandro González Iñárritu (Babel, Biutiful, 21 Gramm) hat die Geschichte rund um Selbstfindung und Selbstaufopferung dabei überaus imposant in Szene gesetzt. Heraus gekommen ist hier aber natürlich kein actionreicher Mega-Budget-Blockbuster, sondern eine tiefgreifende und emotional aufrüttelnde Tragikomödie, die sowohl künstlerische, als auch satirische Elemente in vielen verschiedenen Ausprägungen in sich trägt.
Die Kamera überlässt Alejandro González Iñárritu in Birdman, dessen fantastisches Drehbuch aus den Federn von Nicolás Giacobone (Biutiful), Alexander Dinelaris, Armando Bo (ebenfalls bei Biutiful) und dem Regisseur selbst stammt, dem talentierten Kameramann Emmanuel Lubezki (Gravity, The Tree Of Life), der die Unruhe der einzelnen Figuren, den hektischen Theaterbetrieb und den emotional instabilen Hauptcharakter gekonnt ein fängt. Das Erwähnenswerte: Der gesamte Film wird als eine einzige Plansequenz angelegt – dem Zuseher wird also der Eindruck vermittelt, als finde sich kein einziger Schnitt im gesamten (!) Film. Der Realität entspricht das zwar nicht (es wurden natürlich einige Schnitte gemacht, diese sind aber perfekt kaschiert), aber der Einfall des Regisseurs lohnt sich ungemein. Es entsteht so nämlich ein fantastisch inszenierter Handlungsfluss, der ohne Unterbrechung von einer Szene in die nächste führt und somit ein intensives und dynamisches Kinoerlebnis erschafft. Imposant ist zudem auch der Score von Antonio Sanchez: Ihm gelingt es, mit Musikeinlagen die Handlung voran zu treiben und Emotionen so kreativ zu unterstreichen.
Doppelt ironisch findet sich dann auch ein ehemaliger Superhelden-Darsteller in der Hauptrolle des Films: Michael Keaton, der sich einen Namen als Batman-Darsteller gemacht hat, ist die Rolle förmlich auf den Leib geschneidert worden. Regisseur Iñárritu wählt auch surreale Elemente, um die Gefühle des Protagonisten auf die Leinwand zu bekommen – so schwebt Riggan bereits in der einleitenden Szene im Schneidersitz über dem Boden, fliegt später dann auch seiner einstigen Heldenrolle entsprechend durch die Häuserschluchten von New York City oder setzt alleine mit seiner Vorstellung Gegenstände in Bewegung. Dieses Stilmittel setzt der Regisseur aber so gezielt ein, dass keine einzige dieser Szenen bitter aufstößt oder den Zuseher irritiert. Keaton selbst liefert eine mehr als Oscar-würdige Performance eines gefallenen Hollywood-Sterns ab. Schauspielerisch ist er aber nicht das einzige Highlight des Films: Jeder Charakter findet in Birdman seinen Platz und in keinem einzigen Moment werden diese Figuren mit überdrüssigem dramaturgischem Fett behaftet. Eward Norton (American History X, Fight Club) liefert eine radikale und sehr amüsante Darbietung eines reißerischen Method-Actors, Zack Galifianakis (Hangover, Stichtag) spielt einen überraschend subtil-ernsten Agenten und Emma Stone (The Amazing Spiderman, The Help) lässt ihre Figur sowohl tough als auch verletzlich erscheinen. Auch Naomi Watts (The Impossible, Diana) und Andrea Riseborough (Oblivion, W.E.) überzeugen in ihren kleineren, aber nicht unbedeutenden Nebenrollen.
So schafft Alejandro González Iñárritu mit Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit) ein künstlerisches absolut als solches zu bezeichnendes Meisterwerk, in dem die Grenzen zwischen Realität und Fantasie gekonnt und nachvollziehbar verschwimmen. Dabei zeigt er, dass er nicht nur überproportional sentimentale Filme auf die Leinwand bringen kann, sondern es ihm hier nun gelingt, sowohl emotional und unterhaltsam als dabei auch keine Sekunde ennuyant zu werden. Birdman vermengt die Traditionen des Kinos und des Theaters gekonnt – in dieser Form hätte man es wohl kaum schöner auf die Leinwand bringen können.
Regie: Alejandro González Iñárritu
Drehbuch: Alejandro G. Iñárritu, Nicolás Giacobone, Alexander Dinelaris, Armando Bo
Darsteller: Michael Keaton, Emma Stone, Edward Norton, Naomi Watts, Zach Galifianakis
Filmlänge: 119 Minuten, Kinostart: 06.22.2015, gezeigt im Rahmen der Viennale 2014
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