Wenn die Menschheit auszusterben droht, ist jeder gleich: Mütter (Sandra Bullock, Danielle Macdonald), Kurzzeitpärchen (Rosa Salazar, Machine Gun Kelly), Nerds (Lil Rel Howery), Asiaten (BD Wong), Arschlöcher (John Malkovich). Ein, zweifellos, ideologiefreier Diversity-Querschnitt. Zwei leben eine Romanze, überleben wider Erwarten (Bullock, Trevante Rhodes). Susanne Biers Dystopie "Bird Box" sammelt fleißig die Überbleibsel jener kanonischen Filme vergleichbarer Machart, die ein Mahnmal hinterließen, indem sie die Gefahren des Zukünftigen – einer prophetisch differenzierten Geschichtsschreibung – aufgezeigt haben. Nur: Wo positioniert sich "Bird Box"?
Die Bedrohung kulminiert im Richtungslosen, Beliebigen – die Menschen mutieren zu willenlosen Todesengeln, wenn sie sehen. Wer dirigiert das? Aliens? Eine kosmische Macht? Bier löst das Rätsel nicht, sie tut gut daran, es nicht zu lösen. Ihr Film ist waghalsig und zwingend, sobald der Zuschauer "infiziert", angesteckt wird, sobald er nicht sieht. Szenen intim ausgetragener Handlungsunfähigkeit resultieren – eine Gruppe bildet sich heraus, setzt sich in ein Auto, schirmt die Scheiben ab und fährt zu einem Supermarkt, um Vorräte zu besorgen. Das Navigationssystem geleitet sie blind zum Zielort, auf der Straße tote Körper, zertrampeltes Fleisch: "Bodenwellen."
Susanne Bier wehrt sich daraufhin gegen das, was von außen "hereinbricht", denn die Kamera (Salvatore Totino) ist frontal auf die Fahrer gerichtet, adaptiert, verdichtet, zerstört deren Sehfeld. Einzig die warnenden grafischen Balken des Navigationssystems weisen auf Hindernisse hin, die zunehmend allerorten aufblinken. Diese Benommenheit gegenüber den eigenen Möglichkeiten und persönlichen Wirkbereichen färbt auf eine Fantasie ab, die im Kino Wirklichkeit werden kann, von der aber niemand ernsthaft träumt: den Zwang, die Augen schließen zu müssen, obgleich die Bilder zu verführerisch wirken, um ihnen nicht zu erliegen.
Während George A. Romero 1978 den Konsumtempel Mall entsakralisierte, ergötzen sich die Figuren in "Bird Box" an der Fülle gefüllter Regale, sie erleben einen errettenden (alkoholisierten) Hochmoment, der sie übergangsweise lähmt. In "Bird Box" ist vieles ein wenig kleiner, behäbiger, substituierbarer als bei Romero. Die Charaktere entsprechen den langbärtigsten Klischees auf zwei Beinen, und wieder ist die Aussicht auf ein Walhalla, ein ökologisches Utopia fernab der Katastrophe, der langweilige Katalysator für eine gefahrvolle (ausreichend naturerhaben bebilderte) Reise über einen Fluss und dessen Stromschnellen. Eric Heisserer macht da weiter, wo seine Drehbücher bis einschließlich "Arrival" (2016) aufhörten – in einer zentnerschweren, ernsten Stimmung.
Das Auge für die Geschichte hat Heisserer dagegen oft nicht. Der Einfall, psychisch kranke Patienten würden überleben, ohne ihre Augen zu schützen, und die Verbliebenen mit Waffengewalt dazu nötigen, sich zu „finden“, ist moralisch fragwürdig und schlicht dilettantisches Schreiben, denn damit überwindet der Film seinen figurativ-familiären Rahmen und tendiert zur konstruierten Breitenberichterstattung. Regie und Drehbuch spielen jene Haltung, auf die es ankommt, viel zu selten aus – Sandra Bullock verkörpert eine Mutter, die erst zur Mutter werden muss. Ihr verhärmtes Schauspiel spiegelt sich in den beiden Kindern, für die sie keine Namen hat.
Ihr "Junge" (Julian Edwards) und das "Mädchen" (Vivien Lyra Blair), um das sie sich nach dem Ableben ihrer Mutter (Macdonald) kümmert, gießen das emotionale Fundament dieses Films. Bullock ist glaubwürdig, wenn sie Seile spannt und den Weg zurück fixiert, wenn sie unter einer Decke ihren Kindern gestattet, die Augenbinde abzunehmen und wenn ihre Mutterwerdung im Zeichen einer Identitätswerdung des Anderen steht – der Name benennt das Ding, das Ding wird Mensch und der Mensch verhilft den Menschen zur Akzeptanz. Malorie (Bullock) – wir lernen sie als abschätzig witzelnde Malerin kennen – lernt diese Lektion. Die Kunst, das Auge, half ihr dabei nicht.