Bin ich krank, bin ich krank?

Antony Rizzi auf den mächtigen Schultern von Jan Fabre

Antony Rizzi beim ImPulsTanz Festival in Wien

Antony Rizzi zeigte sein Stück “drugs kept me alive” beim ImPulsTanz Festival in Wien (Foto: Wonge Bergmann)

Bin ich krank, bin ich krank – am I sick? Das ist wohl jener Satz, den Antony Rizzi in seiner Soloshow „Drugs kept me alive“ am häufigsten in den Raum stellt. Er tut dies provokant, nie wirklich erwartend, dass jemand aus dem Publikum diese Frage mit Ja beantworten würde. Ganz im Gegenteil. Sein fragendes Mantra stellt er in jenen Momenten, in welchen er auf der Bühne so agil wirkt, als könnten ihn keine 10 Pferde umbringen. Und doch ist der seidene Faden seines Lebens dünner als so manch anderer. Seit 1996 HIV-positiv weiß er zwar um seine wahrscheinlich verkürzte Lebenserwartung, ignoriert jedoch mit allen Mitteln den Tod. Das künstlerische Multitalent Jan Fabre, mit dem Rizzi seit vielen Jahren zusammenarbeitet, hat seinem Tanz-Mitstreiter einen Monolog geschrieben, der Rizzos Körpererlebnisse in all seinen Schattierungen preisgibt. In der Performance-Reihe „Troubleyn“ von Jan Fabre ist dieses Stück bestens aufgehoben. Das Bühnenkarree wird von ungezählten Medizinfläschchen umsäumt, aus welchen sich hie und da der Tänzer mehr als eine Handvoll bunter Pillen holt, um sie sich in den Mund zu stecken oder sich in ihnen zu wälzen. 2 große und mehrere kleine flache, mit Seifenwasser gefüllte Schalen samt dazugehörigen Pustevorrichtungen zum Seifenblasenmachen, ein Tisch mit einigen kleineren Requisiten und ein über der Bühne in Reichweite Rizzis angebrachter Schaumgenerator sind jene Objekte, die der Tänzer benötigt, um die spannungsgeladene Präsentation seiner drogenabhängigen Persönlichkeit anschaulich zu gestalten. Mit zwei kegelförmigen Hüten auf dem Kopf verleiht er sich selbst das Aussehen eines Derwisches und tatsächlich ist es die Ekstase des Tanzes und der Bewegung, die der Motor dieses Mannes zu sein scheinen. Diese und das Movens der Liebe, die Suche nach dem „perfekten Sexpartner“, wie Rizzi es unumwunden in seinem Monolog ausspricht, scheinen die absolute Triebfeder seines Lebens zu sein. So verwundert es nicht, dass er auch nicht davor zurückscheut, seine bevorzugten sexuellen Praktiken zu beschreiben, die genauso intensiv sein dürften wie der mannigfache Gebrauch von Drogen. Was dabei extrem erstaunt, ist die Fitness des Performers, der über eine Stunde lang ohne Unterlass über die Bühne wirbelt. Sei es in einem dem klassischen Ballett verpflichtenden Soloauftritt, seien es tänzerische Bewegungsmuster aus dem Forsythe-Repertoire, seien es Spielereien, die darauf abzielen, möglichst große Seifenblasen zu erzeugen. Die Hitze des Abends verhinderte so manche spektakuläre Blase, dennoch gelang es ihm mehrfach, eine dieser bunt schillernden Gebilde über seinen Körper zu ziehen. Damit veranschaulicht er seine Feststellung, dass er in einer durchscheinenden Blase leben würde – und macht zugleich auch klar, wie fragil dieses Gebilde ist, das auf der Bühne schon nach wenigen Sekunden zerplatzt. Trotz all der Clownerie, mit der sich Rizzi einen emotionalen Panzer geschaffen hat, lässt er in wenigen Augenblicken eine tiefe Traurigkeit durchblitzen. Darin wird klar, dass all das Getriebensein und ständige Suchen nach körperlicher Erfüllung kein Glück bedeuten und dass sich die Verdrängung und Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit nicht permanent aufrechterhalten lassen. Ein Schaumberg und Tausende von kleinen Seifenblasen, welche über der Bühne schweben und diese als einen entrückten Raum erscheinen lassen, der von einer anderen Welt zu sein scheint, umgeben das Geschehen mit einem zauberhaften, lyrischen Schleier, der jedoch keinen dauerhaften Bestand hat. Die Symbolhaftigkeit einiger Szenen steht in hartem Gegensatz zu Rizzis permanenter Erregtheit, ja werden von dieser über lange Strecken bewusst überspielt. Mitleid oder gar das Versinken in einen depressiven Zustand scheinen ihm ein Gräuel zu sein. So bleibt ihm nichts anderes übrig, als von einer körperlichen Sensation zur nächsten zu rasen, eine Pille nach der anderen konsumieren, um feststellen zu können, dass er noch nicht an seinem Ende angekommen ist. Erst in den finalen Augenblicken darf er, seiner Hüte entledigt und einige Züge seines Joint genießend, seine Augen schließen, nachdem die letzte, diesesmal rauchgeschwängerte und dadurch undurchsichtig gewordene Seifenblase zerplatz ist. Ein rauschhaft-komischer Abend mit tragischen, dunklen Flecken. Langanhaltender Applaus und Bravo-Rufe indizierten: Do not stop Rizzi – show us your next work!

Links:

ImPulsTanz Festival Wien
ImPulsTanz bei European Cultural News


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