„When We Fall Asleep Where Do We Go?“
(Darkroom Records)
Was also soll man sagen? Blut aus der Nase, Spinnen aus dem Mund, die Tüte überm Kopf – sind wir jetzt ordentlich geschockt? Naja, eher so mittel. Aber ist es das, was das Album mit uns machen will? Billie Eilish ist quasi über Nacht auf den Hyper-Radar katapultiert worden, mit jedem Clip ein wenig schneller und nachdrücklicher. Trotzdem möchte man annehmen, dass die Botschaft ihrer Platte nicht unbedingt darin besteht, uns zum nachdenken anzuregen, eher wirkt sie wie ein großer, böser Spaß, wie ein escape game. Eilish macht: „Buh!“ Und sagt: „Ich lade dir jetzt mal ein paar befremdlich Bilder, ein paar verwirrende Texte auf deinen Bildschirm und Du schaust mal zu, wie du damit klarkommst, wie du da wieder rauskommst.“ Man muß nicht alles hinterfragen, nicht hinter allem einen größeren Sinn sehen wollen, sie tut das ja auch nicht und hat Erfolg damit. Ihr Leben, von dem sie auf dem tatsächlich recht unterhaltsamen, phasenweise sogar sehr gelungenen Debüt singt, ist eben genau das: Verwirrend, befremdlich, deprimierend, schmerzlich, aber auch voller alberner Späße, wunderbarer Momente. Aber einen größeren Sinn darin sehen? Nö, nicht jetzt.
Sie macht einfach: Wenn der Film „Roma“ sie erwischt, dann schreibt sie einen Song darüber, der wiederum jeden erwischt, der ihn hört. Gefällt ihr ein Zitat aus der Serie „Sherlock“, wird daraus fix das passende Stück gezimmert („You Sould See Me In A Crown“). Wenn sie einen Jungen nicht bekommen kann, wird sie zur rachsüchtigen Göre und verwünscht ihn („Wish You Was Gay“), sie ist der „Bad Guy“, das aufgedrehte, übermütige Girl unter uns verstockten Moralaposteln und wenn Eilish davon singt, dass die guten Mädchen in die Hölle kommen, dann möchte man dort plötzlich auch hin, weil es mit dem Lucifer offensichtlich mehr Spaß gibt. Ganz nebenbei macht sie Gott (von dem sie sonst so gar nichts hält) zur Göttin und selbst das gelingt ihr mit einem Nebensatz ("All The Good Girls Go To Hell") weitaus überzeugender als im tranigen Rührstück „God Is A Woman“ ihrer photogeshopten Altersgenossin Ariana Grande.
Klar kann man sich (wenn sie mal wegschaut) so seine Gedanken machen, ob hinter dem Freakmädchen nicht auch eine durchaus ernstzunehmende Persönlichkeit um die Ecke linst. Denn natürlich tut es das. Dann, wenn sie von ihren Depressionen und von Suizidgedanken erzählt („Before I Go“), von Verlustängsten und drohender Einsamkeit („Ilomilo“), von der Teenagerliebe und allem, was an guten wie schlechten Erfahrungen dazu gehört. Hier nämlich wird ihre Stimme ganz dünn und zerbrechlich, dann sind die Monster und Dämonen plötzlich übermächtig und sie selbst ist gar nicht mehr so cool und selbstsicher („Bury A Friend“). Und auch da ist das Album bemerkenswert ehrlich und unmittelbar. Sie hat da zusammen mit ihrem Bruder Finneas O’Connell, der als Produzent verantwortlich zeichnet, ein fast frühreifes Werk hingelegt, düstere Drone-Beats, beschwingte Singalongs, geschmeidiger Dancepop, zarte Akustikliedchen, sie haben viel probiert und nichts wirklich falsch gemacht. Morgen ist das vielleicht schon wieder vergessen – für heute aber gibt es nicht viel Besseres. https://www.billieeilish.com/
15.08. St. Pölten, Frequency Festival
17.08. Hamburg, MS Dockville
22.08. Zürich, Open Air
07.09. Berlin, Lollapalooza