Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, Foto: Manecke (CC-BY-SA-2.0-DE)
Mit zwei mit Spannung erwarteten Entscheidungen hat das Bundesverwaltungsgericht am Mittwoch ein eindeutiges Zeichen gesetzt: Religiös begründete Unterrichtsbefreiung ist nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen zulässig. Und: Der schulische Bildungsauftrag hat Vorrang vor religiösen Auffassungen.Zu entscheiden war vom höchsten deutschen Verwaltungsgericht in der Revisionsinstanz in zwei Fällen. Der eine Fall betraf einen das Gymnasium besuchenden den Zeugen Jehovas angehörenden Schüler aus Bocholt. Seine Eltern hatten verlangt, dass er nicht an einer Unterrichtsveranstaltung teilnehmen müsse, in der der Film “Krabat”, der sich mit Praktiken schwarzer Magie beschäftigt, gezeigt werden sollte. Zuvor war im Unterricht – als Teil des “ordentlichen Lehrplans – das Buch “Krabat“ von Ottfried Preußler behandelt worden. Die Eltern vertraten die Auffassung, dass der Glaube der Zeugen Jehovas verbiete, sich mit schwarzer Magie zu befassen.
Der andere Fall betraf eine muslimische Gymnasiastin aus Frankfurt am Main; sie hatte eine Befreiung von der Teilnahme des im Lehrplan vorgeschriebenen koedukativen Schwimmunterrichts erstrebt. Die Begründung: eine gemeinsame Teilnahme von Schülern beiderlei Geschlechts sei mit muslimischen Bekleidungsvorschriften nicht vereinbar. Zudem sei es mit dem Religionsverständnis der Schülerin nicht vereinbar, mit dem Anblick männlicher Schüler in Badehose und mit nacktem Oberkörper konfrontiert zu werden.
Die jeweiligen Vorinstanzen hatten unterschiedlich geurteilt. Islamische Kreise hofften auf eine Fortführung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts von 1993; damals hatte das Gericht eine Befreiung einer muslimischen Schülerin vom koedukativen Schwimmunterricht aus religiösen Gründen zugelassen.
Die Entscheidungen
Das Bundesverwaltungsgericht ist diesen Wünschen nicht gefolgt, sondern hat zum Thema “Befreiung vom schulischen Lehrplan-Unterricht aus religiösen Gründen” jetzt eindeutige Grundsätze aufgestellt:
1.) Die Schule ist verpflichtet, das verfassungsrechtliche Gebot, bei der Ausgestaltung des Unterrichts Neutralität in religiöser Hinsicht zu wahren, nicht zu verletzen.
2.) Eine Unterrichtsbefreiung aus religiösen Gründen kann nur in Ausnahmefällen erfolgen: “Regelmäßig ist hierfür erforderlich, dass den religiösen Belangen des Betroffenen eine besonders gravierende Beeinträchtigung droht und der schulische Wirkungsauftrag im Vergleich hierzu lediglich nachrangig berührt wird.”
3.) Religiös begründete Tabuisierungen (wie im Fall der Zeugen Jehovas) sind immer unbeachtlich: “Das von den Klägern geltend gemachte religiöse Tabuisierungsgebot läuft der schulischen Aufgabe, die nachwachsende Generation vorbehaltlos und möglichst umfassend mit Wissensständen der Gemeinschaft und ihrem geistig-kulturellen Erbe vertraut zu machen, in ihrem Kern zuwider.”
4.) Eingriffe in die Religionsfreiheit durch die Anordnung der Teilnahme am gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht sind an den von der Schule verfolgten Erziehungszielen zu messen: “Insoweit sei ein Eingriff in das Grundrecht der Glaubensfreiheit (jedoch durch die staatlichen Erziehungsziele verfassungsrechtlich gerechtfertigt, die mit dem koedukativen Schwimmunterricht verfolgt würden.”
5.) Orthodoxen und sektiererischen Religionsauffassungen tritt das Bundesverwaltungsgericht eindeutig mit Verweis darauf entgegen, dass in der Schule keine Ausblendung der gesellschaftlichen Realität erfolgen darf: “Das Grundrecht der Glaubensfreiheit vermittelt grundsätzlich keinen Anspruch darauf, im Rahmen der Schule nicht mit Verhaltensgewohnheiten Dritter – einschließlich solcher auf dem Gebiet der Bekleidung – konfrontiert zu werden, die außerhalb der Schule an vielen Orten bzw. zu bestimmten Jahreszeiten im Alltag verbreitet sind. Die Schulpflicht steht nicht unter dem Vorbehalt, dass die Unterrichtsgestaltung die gesellschaftliche Realität in solchen Abschnitten ausblendet, die im Lichte individueller religiöser Vorstellungen als anstößig empfunden werden mögen.”
6.) Die Teilnahme am koedukativen Schwimmunterricht ist muslimischen Schülerinnnen immer zumutbar, wenn ihnen die Möglichkeit eingeräumt ist, einen Burkini zu tragen.
Die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts ist bislang erst in zwei knappen Presseerklärungen vom 11.09.2013 bekanntgemacht worden; für eine genauere Analyse wird der Wortlaut der Revisionsurteile abzuwarten bleiben.
Aber auch wenn der Wortlaut der Urteile noch nicht vorliegt, kann man feststellen, dass das Bundesverwaltungsgericht am 11. September 2013 religiöse Hardliner in ihre Schranken verweist und ihren Bemühungen, den erreichten Unterrichtsstandard in Deutschland zu torpedieren, entgegentritt.