Bilderbuch: Sexy aus der Nische

Bilderbuch: Sexy aus der NischeBilderbuch
„Schick Schock“
(Maschin Records/Virgin)
Mut zur Lücke? Nicht bei dieser Band, nicht bei dieser Platte. Denn spätestens im Dezember fallen sie einem ohnehin wieder auf die Füße, wenn es an die Vergabe der Listenplätze für’s Jahresranking geht und dann will man doch nicht die Spitzenreiter küren, ohne die Preisträger vorher wenigstens einmal, wenn auch verspätet, erwähnt zu haben?! Sowieso und überhaupt lassen sich ja zwei Dinge ganz einfach herunterschreiben – die gnadenlosen Verrisse und die himmelhoch jauchzenden Jubelarien. Das hier, man ahnt es, wird Letzteres. Wo also anfangen? Vielleicht bei den Gegensätzen im großen Gemeinsamen. Die alternative Popkultur des südlichen Nachbarlandes findet ja, wenn überhaupt, seit Jahres vorrangig in schattigen Nischen statt, für die Älteren unter uns liefern Attwenger oder Naked Lunch verlässlich Gutes nach, Kreisky, Soap And Skin, Der Nino aus Wien und Ja, Panik kamen später hinzu und wenigstens Andreas Spechtl und Band vermochten sich ein etwas breiteres Publikum erarbeiten. Doch nun schicken sich in kurzer Zeit gleich zwei Bands an, der öffentlichen Wahrnehmung gründlich den Marsch zu blasen und das erfreulicherweise nicht als krachlederne Mundartkapellen, sondern ganz Rock und Pop. Und zwar großgeschrieben und mit Ausrufezeichen.

Wo Wanda mit ihrem herrlichen Debüt „Amore“ das Klischee der Wiener Vorstadtprolls bedienen – also fertig, morbide, versoffen und großmäulig, beschließen Bilderbuch mit ihrem aktuellen Album „Schick Schock“ die zuvor begonnene Kehrtwende und kommen jetzt so verrucht, weird und exaltiert daher, wie nur Falco (der Name musste fallen) es konnte. Das ist natürlich seit unserer höchsteigenen New Wave nicht unbedingt niegelnagelneu, fällt aber in eine Zeit, da hierzulande die Altbekannten nicht eben durch Lässigkeit oder Wagemut auffallen. Bilderbuch sind also, wenn wir uns mal auf den akademischen Unbegriff vom deutschen Sprachraum beziehen wollen, momentan so rattenscharf wie einzigartig, optisch ein unbedingter und fast bacchantischer Genuss und deshalb jetzt und wenigstens diesen einen Sommer lang die Band der Stunde. Wer diese nicht allzu gewagte These dennoch auf Standfestigkeit hin überprüfen will oder muss, der sollte das bitte zusammen mit dem vorliegenden Bildmaterial tun, denn die Videos des Quartetts sind so unterhaltsam wie künstlerisch brillant.

Wie Sänger Maurice Ernst mit entrücktem Blick den Konturen und Bewegungen seiner „Maschin“ folgt und diese Quasierotik dem ganzen Stück zu einem unterschwelligen Knistern und Vibrieren verhilft, das ist schon eine ganz besondere Schau, von den kantigen Funkakkorden ganz zu schweigen. Oder die erwartungsfrohe Kinderhorde in Super Slow Motion, die bei „Plansch“ dem Sturm des Pools entgegenfiebert – begleitet von Zeilen wie: „Wenn Du Angst vor der Zukunft hast, kauf Dir einen Pool! Wenn Du alles hast, kauf Dir noch nen Pool! Wenn Du zu viel Geld hast, schmeiss es in den Pool! Wenn Du alles hast, ersauf Dich im Pool – Plasch!“ Zuvor schon der Auftritt im Seidenpyjama, esoterischer Kreistanz, Lotusblüte, Wiegeschritt, verzücktes Lächeln, die Befreiung: „Rum, Kokos für’s Karma – gib Dir mehr Zeit für Dich und OM.“ Schmutzig, albern, doppeldeutig bis versaut – es ist ihnen ein sichtliches Vergnügen. Und dem Betrachter und Zuhörer ebenso.
Musikalisch kocht das auf großer Flamme, es zuckt und kracht und kreischt an allen Ecken, barocker Pop, garstiger Fuzzrock, Hip Hop, der Gesang von Ernst zwischen schnurrender Schmeichelei und klirrendem Falsett – man kann gar nicht anders, als darüber in Verzückung zu geraten. Alles an dieser Band ist herrlich überdreht, grenzgängerisch und (um noch einen Begriff aus der Mottenkiste zu bemühen) kokett, sie lieben und zelebrieren die Irritation, die Verkleidung, die Attitüde. Vorbilder dazu werden reichlich benannt, zuvorderst Kanye West, den Ernst selbst als „genialen Idioten“ verehrt, natürlich Prince, Bowie, die Talking Heads. Die eigenwillige Vermischung der deutschen mit der englischen Sprache wiederum teilen sie mit den Kollegen von Ja, Panik, auch die sind damit schon seit 2005 im Rennen. Vorteil Bilderbuch: Sie haben entschieden mehr Sexyness. Oder eben: „Das ist das neue Gefühl – so magnifico. Wild Live, nimm deinen Lauf!“ Ein Depp, wer da die Police holt. http://www.bilderbuch-musik.at/
26.11.  Karlsruhe, Substage
05.12.  Bremen, Modernes
06.12.  Frankfurt, Gibson
07.12.  Köln, Gloria
09.12.  Hamburg, Uebel und Gefährlich
13.12.  München, Muffathalle
26.12.  Kremsmünster, Bezirkssporthalle
08.01.  Graz, Orpheum

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