Es ist das letzte große DDRFDJ-Titelbild der Jungen Welt. Bevor alles anders kam. Es zeigt, wohl eher ungewollt, das nahe Ende. Denn es zeigt junge Menschen in FDJ-Hemden. So jung, dass sie im Moment der Aufnahme noch nicht allzu lange in dem Verein gewesen sein konnten. Die ältere FDJugend hatte im Oktober 89 längst kapituliert, den Verein ignoriert oder zumindest kapiert. Ihre Blauhemden trugen jene jedenfalls schon lange nicht mehr. Freiwillig sowieso nie und nun gar nicht mehr. Blau waren da nur noch die Streifen auf den Fleischerhemden und die Jeans.
Aufgenommen ist das Foto einen Monat vor dem Ende der DDR – unseres, meines Heimtlandes. Das das Land meiner Jugend war, meiner ersten Liebe, meiner ersten Band, meiner drängelnden Jugendzeit. Eben das Land, das mir so nah war, weil man es nicht abstreifen konnte. Das Land meiner Freunde, meines Erwachens. Das Land, das sich alltäglich neu über mich zog wie ein kratzender Pullover. Nie aber wie ein Lieblings-Shirt. Das Land, in dem Zeitungen wie die Junge Welt nur schreiben durften, was man von ihnen verlangte. Aber sie haben es eben auch getan.
Wie an jenem 7. Oktober 1989. Als jedem klar denkenden Menschen längst bewusst gewesen sein muss, dass da irgendetwas schief läuft. Da ging es nicht mehr nur um einen kratzenden Pulli. Da ging es um Entscheidungen. Sie oder Du, andere oder ich? Prag oder Ungarn? Demo oder Ducken? Abhauen oder Dableiben? Honecker oder Gorbi? Begreifen oder Akzeptieren? Etwas tun oder nicht? Hinterm Fenster stehen und zusehen was passiert? Oder dabei sein, wenn es endlich um mehr als die Planerfüllung geht. Das haben viele begriffen. Damals. Andere nicht. „Ich bin für den Staat, und ich gehe mit der FDJ auf die Straße, auch weil ich gegen die Art bin, mit der bei uns in Leipzig an den vergangenen Montagen Leute durch die Straßen gezogen sind“, schrieb Evelyn Rieger aus Leipzig in der JW. Sie war damals 20. Könnte man als Entschuldigung gelten lassen.
Der Zukunft zugewandt, hieß es auf Seite eins an diesem Tag über jenem Foto in Anspielung auf die Hymne des Landes. Es war der Tag, an dem der geschichtsträchtige Satz „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ ausgesprochen worden ist. Und so wurden sie alle vom Leben bestraft. Und trauerten weiter der Vergangenheit hinterher. So wie heute noch. Daran hat sich nichts geändert.