Bike, Hike, Ski – die Hintere Schwärze und ihre Nordwand als Tagestour ab Vent.
Vier Uhr morgens. Ganz Vent schläft tief und fest. Ganz Vent? Nein! Der Briefträger eilt von Haus zu Haus des Bergsteigerdorfs im hintersten Ötztal. Auch eine Bauernfamilie ist bereits wach. Und das ist gut so. Denn anders wäre unsere Tour auf die Hintere Schwärze (3.624 m) und durch ihre Nordwand schon jetzt zu Ende.
Just in dem Moment, als ich mich auf mein Mountainbike schwingen will, fällt mir der platte Hinterreifen auf. Pumpe – nicht dabei. Bleibt nur eine Option: Dem Briefträger hinterher und hoffen, dass er Rat weiß. Tom hängt sich mit seinem (fahrtüchtigen) Rad an die Fersen des Postlers. Kann ihn nach einigen Minuten stellen und ihm unser Problem erläutern.
Um 4 Uhr morgens in einem Ort mit 130 Einwohnern eine Luftpumpe aufzureiben – gar nicht so einfach. Aber wenn nicht hier, wo sonst, fällt dem Briefträger sofort ein passender Haushalt ein. Am Reinstadler-Hof brenne bereits Licht. Tom klopft. Noch schlaftrunken öffnet die Bäuerin die Tür, zeigt sich sofort offen und leiht uns ihre Radpumpe.
Am liebsten würden wir sie gerade abschmusen. Unsere Tour ist gerettet und als Dankeschön verweise ich hier sehr gerne auf die Pension der Familie. Hintere Schwärze Nordwand, wir kommen!
Toureninfos Hintere Schwärze Nordwand
- Aufstieg: 2.200 Höhenmeter (davon 650 HM mit dem MTB)
- Abstieg: 2.200 Höhenmeter (davon 650 HM mit dem MTB)
- Länge: 30.1 km (davon 16 km mit dem MTB)
- Schwierigkeit: schwer – lange, hochalpine Tour mit 50-55° im Firn oder Eis (je nach Verhältnissen). Zustieg und Abfahrt über den Gletscher
- Charakter: Relativ einfacher, aber wunderschöner Nordwandanstieg in den Ötztaler Alpen. Als Tagestour von Vent eine konditionelle Herausforderung. Wer die Tour wirklich genießen will, sollte im Frühjahr einsteigen, wenn die Wand noch nicht blank ist.
- Ausgangspunkt: Vent im Ötztal (1.895 m)
- Stützpunkt: Martin-Busch-Hütte (2.501 m) – bis hier Auffahrt mit dem MTB möglich.
- Route: Vom Liftparkplatz in Vent im Ötztal (5 €/Tag) zunächst entlang der Forststraße (teilweise steil) am besten mit dem MTB (E-Bike von Vorteil) 8 km zur Martin-Busch-Hütte (2.501 m) radeln. Nach der Hütte auf markiertem Weg zum Marzellkamm aufsteigen. Am Plateau zweigt auf ca. 2.800 m links ein Steiglein (Wegweiser Hintere Schwärze) hinab ins Gletscherbecken ab. 100 HM Abstieg auf den Gletscher. Den Gletscher zunächst entlang der Moräne gerade empor. Danach in einem weiten Linksbogen unterhalb des Gletscherbruchs zur anderen Gletscherseite queren. Der Gletscher flacht bald ab und man hält in gerader Linie auf den Einstieg (3.300 m) in die Nordwand zu. Etwas rechts der Mitte die Nordwand gerade empor (260 HM, bis 55°). Entlang des Westgrats auf den Gipfel.
Für den Abstieg entlang des Westgrats retour. Oberhalb eines ca. 35° steilen Hangs kann man meist die Ski abschnallen. Im oberen Teil linkshaltend den Gletscher abfahren und am Plateau zur Aufstiegsroute queren. - Material: Ski-, Gletscher- & Steileisausrüstung
- Beste Jahreszeit: vom späten Frühjahr bis in den Frühsommer, solange die Wand noch nicht blank ist. Am besten mit Ski & Bike kombinieren!
Einradeln: Mit dem Mountainbike zur Martin-Busch-Hütte
Drei Bar im Hinterreifen, die Ski am Rucksack, den Rucksack am Rücken und die Fußballen hart auf den Pedalen, der Lichtkegel der Stirnlampe vor dem Vorderreifen. Acht Kilometer und knapp 600 Höhenmeter radeln wir entlang der mal sanft ansteigenden, mal flachen, mal furchtbar steilen Forststraße zur Martin-Busch-Hütte. Die steilen Rampen zwingen mit mehrmals, abzusteigen und das Rad zu schieben. Eine mühsame Angelegenheit. Körperlich fühle ich mich jetzt schon müde. Und wünsche mir wieder einmal ein E-Bike.
Nach eineinhalb Stunden endet die Tortur auf zwei Rädern. Rückblickend war die Mountainbike-Fahrt zur Martin-Busch-Hütte das Anstrengendste der gesamten Tour.Im Frühjahr ist die Straße wegen vieler Lawinenkegel häufig noch nicht mit dem Rad passierbar. Jetzt, Mitte Juni, ist sie schneefrei. Gleichzeitig locken die Hintere Schwärze und ihre Nordwand mit idealen Verhältnissen. Nach eineinhalb Stunden ist die Tortur auf zwei Rädern zu Ende.
An der Martin-Busch-Hütte tauschen wir die Radhose gegen die Skitourenhose. Während die ersten Alpenüberquerer der Saison schon in den Startlöchern ihrer letzten Etappe stehen, rücken wir ein letztes Mal auf Skiern aus.
Eingehen: Zustieg zum Marzellferner
Mittlerweile ist es Tag geworden. Das Niedertal, durch das wir zur Martin-Busch-Hütte hochgefahren sind, liegt noch im Schatten. Dafür strahlen die Gletscher und Gipfel schon in der Morgensonne. Froh, das Rad endlich abgestellt zu haben, steigen wir gemütlichen Schrittes auf den Marzellkamm auf.
Der Steig dorthin zweigt direkt hinter der Hütte links ab. 300 Höhenmeter legen wir bergauf zu Fuß zurück, bevor wir auf ein Plateau gelangen. Erstmals können wir hinab auf den Gletscher blicken. Seine Zunge wird uns zum Einstieg in die Nordwand der Hinteren Schwärze führen.
Ihr Gipfel versteckt sich allerdings noch. Dafür ragt ganz am hinteren Ende des Marzellferners der Similaun auf. Eine beeindruckende Pyramide, deren Nordwand ebenfalls ein bekannter Steilwandanstieg ist. Die Similaun Nordwand wird wegen des starken Gletscherrückgangs allerdings nur noch nach besonders schneereichen Wintern begangen.
Auf 2.800 Metern ist unser Aufstieg fürs Erste zu Ende. Vom Plateau müssen wir über steile Wiesen, dann über Geröll etwa 100 Höhenmeter ins Gletscherbecken absteigen. Der Steig ist weiterhin markiert und sehr gut sichtbar.
An der Moräne angekommen, deponieren wir unsere Zustiegsschuhe und rüsten für den Weiterweg auf Skiern um.
Hintere Schwärze: Über den Marzellferner zum Einstieg in die Nordwand
Makelloser, knuspriger Firn überzieht den Gletscher. Die Spalten liegen noch unter der Schneedecke. Wir seilen uns an und gleiten lockeren Schrittes die Zunge des Gletschers hinauf. In gerader Linie können wir einer kleinen Moräne folgen. Dabei halten wir uns eher am rechten Rand des Ferners, bis wir über einen sanften Aufschwung unterhalb eines Gletscherbruchs gelangen.
Unterhalb des Gletscherbruchs queren wir auf die linke Seite des Gletschers. Hier erhalten wir auch das erste Mal einen Blick auf die Hintere Schwärze & die Nordwand.Wir schwenken nach links, queren den Gletscher an geeigneter Stelle in einem weiten Bogen und setzen den Aufstieg am linken Rand fort. Dort flacht der Marzellferner bald ab. Ein weitläufiges Plateau liegt vor uns, an dessen Ende wir endlich die Hintere Schwärze und ihre Nordwand erblicken.
Eine wunderschöne Linie haben wir uns für heute ausgesucht – das bestätigt der erste Eindruck. Elegant schmiegt sich die Wand an die Nordseite der Hinteren Schwärze an. Vor unserer Tour hatte ich die Befürchtung, dass ich den Anstieg furchteinflößend finden könnte. Jetzt zieht er mich magisch an.
Nachdem wir den Bruch umgangen sind, flacht der Gletscher ab und wir können in gerader Linie auf die Nordwand zugehen. Elegant schmiegt sich diese Linie an die Nordseite der Hinteren Schwärze an. Wir steigen etwas rechts der Wandmitte, aber mit Abstand zu den Felsen auf.Die Wand ist steil, jedoch nicht übermäßig. Fast sanft schwingt sie empor – im unteren Abschnitt noch flacher, im Mittelteil anhaltend an die 50° steil, bevor sie sich im Ausstieg wieder zurücklehnt. Die Verhältnisse scheinen so perfekt wie wir es erwartet hatten. Matt schimmert die Firnauflage; von Blankeis keine Spur.
Wir halten am Plateau in gerader Linie auf die Nordwand zu und machen uns auf 3.300 m bereit für den Transfer von Ski auf Steigeisen.
Firnstapfen: Durch die Hintere Schwärze Nordwand
Diese Tour ist wunderbar abwechslungsreich! Nach der Mountainbike-Fahrt, einer Wanderung und dem Zustieg über den Gletscher per Ski setzen wir den Anstieg zur Hinteren Schwärze am Fuße der Nordwand mit Eisgeräten und Steigeisen fort.
Der Bergschrund ist quasi noch nicht existent und die Wand gewährt uns ungehinderten Zutritt. Wir entscheiden uns für eine Linie knapp rechts der Mitte. Ein Anstieg ganz am rechten Rand scheint mir aufgrund des brüchigen Felses und der warmen Temperaturen zu riskant. In den vergangenen Tagen dürften sich dort einige Blöcke gelöst haben, denn im Schnee sind noch tiefe Furchen erkennbar. Kleinere Brocken liegen im Auslauf der Wand verstreut.
Im unteren Abschnitt ist die Wand nur mäßig steil und wir können uns im Zickzack höherschrauben. Im Mittelteil der Nordwand – hier macht der Anstieg auf die Hintere Schwärze erst richtig Spaß!Der Firn knirscht unter den Füßen. Alle Zacken der Steigeisen graben sich in die Schneedecke. Herrliches Firnstapfen ist das! Auf den ersten 50 Höhenmetern ist die Wand nur mäßig steil. Im Zickzack schraube ich mich zügig höher und merke, wie gut ich noch vom Mount Logan akklimatisiert bin.
Etwa 100 Höhenmeter im Mittelteil schließlich sind anhaltend um die 50° steil. Auf den Frontzacken arbeiten wir uns in gerader Linie die Nordwand höher, bis sie sich leicht zurücklehnt und wir die Hintere Schwärze in leichter Kletterei (I-II) über den Westgrat erreichen.
Perfekte Verhältnisse. Vom Wandfuß bis zum Gipfelgrat ein Genuss.Junifirn
Es ist ein herrlicher Gipfelerfolg, den wir auf der Hinteren Schwärze feiern dürfen. Nach den Startschwierigkeiten heute Früh hat sich doch noch alles gefügt. Wir genießen die Stille und den Ausblick für einen intensiven Moment. Dann klettern wir den Westgrat retour zum Skidepot, verstauen die Eisausrüstung und schnallen die Skier an.
Carving-Schwünge über den planen Gletscher machen die Tour schließlich wirklich perfekt. Wir halten uns bei der Abfahrt im oberen Teil links, umfahren einen Bruch und queren am Plateau des Gletschers zur Aufstiegsroute hinüber.
Erst die apere Moräne am Ende des Gletschers bremst die makellose Abfahrt über den Junifirn. Skier und Skischuhe kommen wieder auf den Rucksackt. Rücken und Beine ächzen unter der schweren Last. Haben sie mich heute doch schon über 2.100 Höhenmeter getragen. Ein paar kommen gleich noch dazu.
Der Gegenanstieg vom Gletscherbecken auf den Marzellkamm ist ein grauenhaftes Übel. Die Freude an der Tour vermiest er uns jetzt aber auch nicht mehr. Der Rest der Tour vergeht dafür umso schneller: der Abstieg zur Martin-Busch-Hütte, das Vertilgen der köstlichen Knödelvariation und die Rückfahrt mit dem Mountainbike.
Die Hintere Schwärze Nordwand als Tagestour ab Vent – mit Bike, Ski und Firn eine konditionell herausfordernde Genusstour!
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