Leben in der Bundesrepublik Deutschland heißt, bei den Glücklichen und Unschuldigen zu leben, nicht wahr? Hier gibts keine Naturkatastrophen und an schmutzigen Kriegen beteiligen wir uns nicht und nachts stehen allenfalls ein paar Autos in Flammen. Irgendwie trifft es immer die anderen. Irgendwie ein bisschen zurecht, nicht wahr? Wir sind nie zur falschen Zeit am falschen Ort. Wir sind immer pflichtbewusst bei der Arbeit. Wir verdienen uns unseren Wohlstand durch harte Arbeit. Während die anderen über unsere Verhältnisse leben. Wir sind immer Zahlmeister und müssen immer aufpassen, dass uns die anderen nicht über den Tisch ziehen. Nicht wahr?
Nein, nicht wahr. Obacht.
Seit zehn Jahren treffen wir einmal im Jahr unseren "Experten", der mehr als Guido Knoppüber unsere BRD weiß, und mehr als Scholl-Latour über den nahen Osten. Es fängt immer harmlos an, aber am Ende gingen wir noch immer mit dem Gefühl nach Hause, dass wir eigentlich in einer Disney World leben. Wir lesen Zeitung, er Bücher. Ok, auch wir lesen Bücher. Aber er die, die in unseren im Literaturverzeichnis stehen. Er geht Quellen nach und ist oft vor Ort. Wir treffen uns immer im gleichen Lokal. Gema aufa Kaffee.
Was ich von ihm u.a. gelernt habe, ist auf die Details zu achten. In den Big Times sind auch kleine Meldungen wichtig, denn an ihnen lassen sich später evtl. andere Meldungen als manipuliert enttarnen. Aber nicht immer liegt er im Detail. Große Befunde, mit denen Mächtige große Entscheidungen begründen, sind meistens gefälscht. Und es werden Glaubenssätze geträufelt, die nur geglaubt, aber nie begründet werden. All das kann man inzwischen auch als aufmerksamer Internetnutzer wissen. Aber noch nicht so lange. Vielleicht auch nicht MEHR lange.
Im Handlungsverlauf wird man manchmal noch Zeuge einer besonderen Kunst: Des Bluffs mit Dreifachboden. Der Moment, in dem ein Bluff oder eine Täuschung enttarnt wird, genießt im Publikum besondere Aufmerksamkeit. Aber er genießt noch etwas. Blindes Vertrauen darin, dass das was unter der weggezogenen Decke gelüftet wird, die Wahrheit ist. Vor allem, wenn sie eine gewisse, vorherige Vermutungshaltung bedient. Ein so bedientes Publikum legt für geraume Zeit seinen Verdacht ad acta und beendet seine denksportlichen Übungen. Diesen Trick erleben wir gerade in der Berichterstattung über das Zwickauer Trio (z.B. beim Mord an der Polizistin in Heilbronn). Man räumt Versagen ein. Dann ein paar Befunde, von denen vermeintlich abgelenkt werden sollte..
Diese Momente, in denen wir einen Zipfel der Wahrheit, des wahren Gesichtes erhaschen: Die Fälle Murat Kurnaz und Kunduz, die verschlungenen Exportpfade unserer Waffenproduzenten, die Milliardenausgaben für Rettungsfonds als einer neuen Spielart eines Versailler Vertrages. Und die eingesparten Zinsmilliarden als Return für den Auftritt im Rollenspiel der schwäbischen Hausfrau. Die aufgedeckten Verbrechen der Potentaten, die uns sichere Öllieferungen garantierten. Das einvernehmliche Geschäftsmodell einer Schweiz, die süddeutschen Unternehmern und Erben anonyme Steuerhinterziehung ermöglicht. Die zahllosen Marodeure, die Traditionsunternehmen durch Fusionen an die Wand lenkten, die steuerfinanzierte Forschung und Produktion nach China verramschen und die am Ende abräumen und in Private Equity machen. Nicht zu vergessen, die zunehmende Arbeitslosigkeit und Armut, die sinkenden Reallöhne durch den EURO und "Zurückhaltung", die durch Rekordzahlen von "Beschäftigung" kaschiert wird.
Nirgendwo wird das Volk so von der Wahrheit fern gehalten wie hierzulande. Wir bekommen genau das Maß an Abfederung verabreicht, das uns von ernstzunehmender Auflehnung abhält. "Deutschland geht es gut." ruft die Kanzlerin den Riestersparern, Reallohnverlustigen, Aufstockern und Häuslebauern zu. Im nächsten Atemzug wiederholt sie ihre "Zusage", dass unsere Einlagen bei Banken sicher sind, damit wir morgen nicht alle gleichzeitig losrennen, falls wir ihr doch nicht glauben. Schaut nicht in den Abhang, schaut auf die Straße.
Und damit wir keine aktuelle Vorstellung vom Abhang entwickeln, senden sie jeden Samstag "Dolpherl TV". Es vergeht wirklich keine Samstagnacht ohne Auftritt vom echten Adolph H. ich dachte früher, dass das eine stumme, anonyme braune Klientel bedienen soll. Was es aber auch leistet, ist die Verfestigung längst überkommener Bedrohungsvisualisierungen. Wir sollen auf Schlangen vor den Bankschaltern achten, auf Straßenumzüge und auf Typen, die im Festsaal unter den Linden aufwiegelnde Reden halten. Und während wir darüber nachsannen, welches Antlitz der Weimarer Replay denn wohl tatsächlich haben könnte, spülte das Internet Worte und Bilder aus Halifax über den Atlantik.
Es war schon immer so, dass sich die Herren Offiziere aller Seiten schon anerkennend auf die Schultern klopften, während ihre überlebenden Soldaten noch die letzten Kriegsgräber aushoben. Ja, viele Verluste. Aber es stand ja auch viel auf dem Spiel. Unterm Strich blieb aber genügend übrig für die, deretwegen das ganze veranstaltet wurde.
Und wir dachten, wir wären die auserwählte Generation, die ungeschoren davon kommt. Allerdings, Kanonen und Bomben braucht es heute nicht mehr, um die Frage von Soll und Haben neu zu regeln. Massenvernichtungswaffen haben die nächste Stufe der Evolution erklommen. Die Interkontinentalrakete globalisierte das physische Vernichtungspotenzial. Die Neutronenbombe war schon ökonomischer, weil sie nur die Besitzer ausradierte, die Objekte der Begierde aber stehen ließ. Die neusten Erfindungen unserer hochbegabten Mathematiker verschonen denn auch das biologische Leben, beraubt es aber seines Besitzes.
In den Medien lesen wir Berichte wie zu einer Fussball EM. Wir gelten als Favorit, fühlen uns aber permanent vom Schiedsrichter verpfiffen. Das passt nur zusammen, wenn man erkennt, wer hier wirklich gegen wen antritt: Nicht die europäischen Nationen, oder diese gemeinsam gegen die Supermächte. Nein, wir spielen Arm gegen Reich. Wir bekommen nationale Fronten präsentiert, wo soziale am Werke sind. Woran erinnert uns das?