Big Thief
„Capacity“
(Saddle Creek/Cargo Records)
Menschen, die offensiv ihr Innerstes nach außen kehren, sind einem ja in der Regel eher suspekt, zu viel Nähe macht unsicher, zwingt den Gegenüber zur Anteilnahme, wo er besser der stille Beobachter geblieben wäre. In seltenen Fällen gerät solch eine intime Vereinnahmung allerdings auch zum Glücksfall, dieser hier ist einer. Adrianne Lenker, stoppelköpfige Sängerin der New Yorker Band Big Thief, macht kein Hehl daraus, dass nichts von dem, was sie singt, fiktiv, sondern alles sehr persönlich ist: „I haven’t really figured out how to write a fictional piece yet. Not that fiction doesn’t contain truth, but if there are any fictional elements that surface in the songs, they can still be true” sagte sie gerade dem Netzportal Stereogum. Mit der Auswahl der Fotos für die Cover ihrer Alben geht sie noch einen Schritt weiter, waren auf dem Debüt “Masterpiece” noch zwei Cousins zusammen mit ihrer Mutter zu sehen, ist es nun ein hochgeschätzter Onkel, der (selbst noch ein Kind) skeptisch aus der Vergangenheit dem Betrachter in die Augen schaut.
Das Selbstverständnis, mit dem Lenker also dem Zuhörer ihre Seele öffnet, ist durchaus und gerade in diesem nicht eben zimperlichen Geschäft ungewöhnlich, schließlich macht sich, wer wie sie bewusst Einblicke ins Familiäre gewährt, auch verwundbar. Eindrücklichstes Beispiel: Im Song “Mythological Beauty” singt sie von einem traumatischen Kindheitserlebnis, einem Unfall, in sehr anrührenden Worten, ihre Stimme dabei wie auf der ganzen Platte so wunderbar warm wie zerbrechlich. Gleich zu Beginn wiederum bei “Pretty Things” erzählt sie zu sparsamer Instrumentierung von ihrer Suche nach femininem Selbstverständnis, von der Rolle des Weiblichen in - ja, einem jeden von uns. “Femininity is not something that is weak or dainty in any way, or pretty even” so Lenker, “Femininity is like this energy that is inherent in all things - in men and in women and however you identify.” Ziemlich kluge Gedanken für ein so junges Mädchen und ebenso mutig, sie mit uns zu teilen. “Capacity” ist, das darf man zweifellos behaupten, ein weiteres Meisterwerk geworden. Obschon man mit ihrem Äußeren die Wildheit der jungen Sinead O’Connor assoziiert, rückt Lenker sowohl in puncto Gesang als auch der Bildgewalt und Metaphorik ihrer Stücke deutlich in die Verwandtschaft zu Kate Bush.
Und das ist keinesfalls zu hoch gegriffen – wen so gefühlvolle Lieder wie “Watering”, “Shark Smile” oder “Mary”, letzteres von einer Intensität, die kaum zu ertragen ist, wen diese Bekenntnisse innerer Zerrissenheit und grenzenloser Liebe nicht anrühren, für den ist das Leben mit all seinen Unwägbarkeiten, Abgründen und unverhofften Lichtblicken sicher nur die Hälfte wert. Die Dunkelheit sei dunkler auf diesem Album, aber auch das Helle heller, hat sie in besagtem Interview gemeint und so gibt es auf “Capacity” neben den vielen besinnlichen auch die lauten, die bedrohlichen und die frohen Momente. Etwa bei versöhnlichen “Haley”, das fast schon beschwingt von Rückkehr und Verzeihung handelt, im Titelstück wiederum schlingern und rumoren die Gitarren geräuschvoll im Hintergrund, fast ein Ausbruch: “Lost in your captivity, learning capacity for make-believe in everything”. Es ließe sich noch viel Gutes über diese Platte sagen, das Beste wird allerdings sein, man hört sie sich selbst an. So nah wie hier werden einem in diesem Jahr jedenfalls nicht viele kommen. http://www.bigthief.net/
15.08. Frankfurt, Batschkapp
16.08. Erlangen, Kulturzentrum E-Werk
24.10. Hamburg, Molotow
26.10. Berlin, Privatclub
„Capacity“
(Saddle Creek/Cargo Records)
Menschen, die offensiv ihr Innerstes nach außen kehren, sind einem ja in der Regel eher suspekt, zu viel Nähe macht unsicher, zwingt den Gegenüber zur Anteilnahme, wo er besser der stille Beobachter geblieben wäre. In seltenen Fällen gerät solch eine intime Vereinnahmung allerdings auch zum Glücksfall, dieser hier ist einer. Adrianne Lenker, stoppelköpfige Sängerin der New Yorker Band Big Thief, macht kein Hehl daraus, dass nichts von dem, was sie singt, fiktiv, sondern alles sehr persönlich ist: „I haven’t really figured out how to write a fictional piece yet. Not that fiction doesn’t contain truth, but if there are any fictional elements that surface in the songs, they can still be true” sagte sie gerade dem Netzportal Stereogum. Mit der Auswahl der Fotos für die Cover ihrer Alben geht sie noch einen Schritt weiter, waren auf dem Debüt “Masterpiece” noch zwei Cousins zusammen mit ihrer Mutter zu sehen, ist es nun ein hochgeschätzter Onkel, der (selbst noch ein Kind) skeptisch aus der Vergangenheit dem Betrachter in die Augen schaut.
Das Selbstverständnis, mit dem Lenker also dem Zuhörer ihre Seele öffnet, ist durchaus und gerade in diesem nicht eben zimperlichen Geschäft ungewöhnlich, schließlich macht sich, wer wie sie bewusst Einblicke ins Familiäre gewährt, auch verwundbar. Eindrücklichstes Beispiel: Im Song “Mythological Beauty” singt sie von einem traumatischen Kindheitserlebnis, einem Unfall, in sehr anrührenden Worten, ihre Stimme dabei wie auf der ganzen Platte so wunderbar warm wie zerbrechlich. Gleich zu Beginn wiederum bei “Pretty Things” erzählt sie zu sparsamer Instrumentierung von ihrer Suche nach femininem Selbstverständnis, von der Rolle des Weiblichen in - ja, einem jeden von uns. “Femininity is not something that is weak or dainty in any way, or pretty even” so Lenker, “Femininity is like this energy that is inherent in all things - in men and in women and however you identify.” Ziemlich kluge Gedanken für ein so junges Mädchen und ebenso mutig, sie mit uns zu teilen. “Capacity” ist, das darf man zweifellos behaupten, ein weiteres Meisterwerk geworden. Obschon man mit ihrem Äußeren die Wildheit der jungen Sinead O’Connor assoziiert, rückt Lenker sowohl in puncto Gesang als auch der Bildgewalt und Metaphorik ihrer Stücke deutlich in die Verwandtschaft zu Kate Bush.
Und das ist keinesfalls zu hoch gegriffen – wen so gefühlvolle Lieder wie “Watering”, “Shark Smile” oder “Mary”, letzteres von einer Intensität, die kaum zu ertragen ist, wen diese Bekenntnisse innerer Zerrissenheit und grenzenloser Liebe nicht anrühren, für den ist das Leben mit all seinen Unwägbarkeiten, Abgründen und unverhofften Lichtblicken sicher nur die Hälfte wert. Die Dunkelheit sei dunkler auf diesem Album, aber auch das Helle heller, hat sie in besagtem Interview gemeint und so gibt es auf “Capacity” neben den vielen besinnlichen auch die lauten, die bedrohlichen und die frohen Momente. Etwa bei versöhnlichen “Haley”, das fast schon beschwingt von Rückkehr und Verzeihung handelt, im Titelstück wiederum schlingern und rumoren die Gitarren geräuschvoll im Hintergrund, fast ein Ausbruch: “Lost in your captivity, learning capacity for make-believe in everything”. Es ließe sich noch viel Gutes über diese Platte sagen, das Beste wird allerdings sein, man hört sie sich selbst an. So nah wie hier werden einem in diesem Jahr jedenfalls nicht viele kommen. http://www.bigthief.net/
15.08. Frankfurt, Batschkapp
16.08. Erlangen, Kulturzentrum E-Werk
24.10. Hamburg, Molotow
26.10. Berlin, Privatclub