Biermann und das Lachen

Von Robertodelapuente @adsinistram
Richy und ich lauschten einem Radiobericht zu Biermanns Auftritt im Bundestag.     »Der Biermann, ganz der alte Pathetiker und Dramaturg, wie man ihn kennt. Mir kommt gleich der Kaffee aus der Nase«, sagte ich meinem Kollegen.    Er lachte herzlich mit und fragte mich: »War der nicht mal selbst Sozialist?«    Ich nickte und Richy sagte: »So ein Heuchler. Wendegewinner, was?«    In letzter Zeit reden wir in diesem Land ja viel von Konvertiten, die angeblich die schlimmsten Hardliner seien. Zum Islam Konvertierte ebenso wie zur Nichtraucherei Gekommene. Und der Renegat, den die SED damals nicht aufnehmen wollte, obwohl er scharf auf eine Mitgliedschaft war, ist da auch nicht besser. Der Seitenwechsel gebiert immer Scheuklappen.    »Der ist ja wie meine Alte«, sagte Richy nach einer Weile, »seitdem sie nicht mehr qualmt, hält sie alle Raucher für Verbrecher.«    Wir lachten wieder.

Wir kamen gar nicht mehr raus aus dem Lachen. Der Bericht war vorbei, aber für uns noch nicht. Die Heuchelei und das Anbiedern des Barden empörte uns nicht etwa. Wir fanden es peinlich, so dermaßen zum Fremdschämen, dass wir nur noch lachen konnten.
   Fast unisono stellten wir fest, dass Biermann ohne die »Drachenbrut« gar nicht im Bundestag zugegen gewesen wärst. Nur weil die SED so kleinkariert war, ihn aus diesem »besseren deutschen Staat« (sein O-Ton damals) zu werfen, wurde er ein bekanntes Gesicht für die breite Öffentlichkeit. Wer war denn dieser Biermann vorher schon? Ein Musikus, der im Westen ein kleines Publikum hatte. Wer Poesie und Pathos mochte, der kannte den späteren SED-Nachfolgekünstler schon vor seiner Ausweisung.

   »Kanntest du den etwa schon vorher, Richy?«
  »Nee, erst nachdem er nicht mehr rüber durfte. Plötzlich hatten die im Westen einen neuen Star.«
   Hochpopulär war er also davor nicht. Ein breites Publikum lernte ihn erst kenne, als er zu dem Mann wurde, den die SED nicht mehr bei sich haben mochte. Hätten ihn diese Windbeutel damals nicht vor ihren Schutzwall geschmissen, heute wüsste keine Sau mehr, wer er war. Im Bundestag wäre zur Feierstunde stattdessen Ralph Giordano als DDR-Kritiker von drüben aufgetreten und hätte gleich noch erwartungsgemäß ein bisschen gegen die Moslems in diesem Lande gehetzt. Insofern ganz gut, dass er da war. Das Politbüro hat weise entschieden.
   »Was wäre aus dem wohl ohne die SED geworden?«, fragte Richy.
   »Vielleicht Straßenmusikant. Oder ein richtig guter Musiker.«
   Richy wieherte. Aber ich meinte das ausnahmsweise mal ernst. Denn durch die Ausweisung machte er sein Schicksal zu einem Kunstprodukt und eben nicht mehr Kunst. Fortan reichte es, dass er der Biermann war, der von der Diktatur hinausgeworfen wurde. Was er konnte, war zweitrangig.
»Die jungen Leute von der Linkspartei im Parlament werden sich fragen, wer der alte Onkel ist«, spöttelte Richy.

   Wir lachten, als wir uns die ratlosen Gesichter vorstellten.
   »Hey Gregor, wer isn der Zausel«, sagte ich mit verstellter Stimme. Und ich ließ Gregor antworten: »Ick gloob, der is von die Puhdys.«  
   Der Musikus war in Wahrheit ein politischer Luftikus, bis ihm die Heimat entzogen wurde. Er sagte nicht immer Amen zu allem, das stimmt schon. Aber so richtig im Widerstand gegen das System war er nicht. Er wollte ja bleiben und mitwirken, SED-Mitglied werden und musizieren. Der Rauswurf wurde zu dem Moment, da aus dem Künstler einer wurde, der ja schon immer volle Kraft dagegen war.
   Ich habe vor einiger Zeit was zu Chodorkowski geschrieben. Das fiel mir nun weider ein. Den haben sie auch zu einem Oppositionellen aufgebaut, weil er zufällig, wie einst Chaplin in »Moderne Zeiten«, zu einem Fähnchen gekommen war und mit einem Anführer verwechselt wurde. Der Biermann ist letztlich auch nur so ein durch chaplinesken Zufall begünstigter Glücksfall. Die kleinen Tramps aus dem Politbüro machten aus ihm das, was er heute zu sein vorgibt.
   »Die jungen Linken werden gedacht haben, dass das Gaucks Stellvertreter ist«, sagte Richy nach einer Weile.
   »Mit Klampfe?«
   Wir kriegten uns nicht mehr ein.
Und dann noch diese schnodderige Antwort von ihm. Die war echt ne Nummer. Eine Wahl sei doch »kein Gottesurteil«, sagte er.
   »Den Wählern der Linken vorwerfen, sie wüssten nicht wie Demokratie geht, das können die«, sagte Richy, »aber selber ein Problem damit haben.«
   »Oh, gewagte Aussage für einen, der Union wählt.« 

   Richy zeigte mir den Stinkefinger.
   Gottesurteil ist eine etwas unglückliche Wortwahl. Aber in einer Demokratie ist die Wahl schon so etwas in der Art. Wie die alten kommunistischen Kader, die Die Linke in Thüringen und überall sonst in die Landtage und den Bundestag wählen, und sein Bundespräsident, hat Biermann dieses demokratische Grundelement wahrscheinlich immer noch nicht begriffen.
   »Kennst du das Paradoxon von Epimenides«, fragte ich meinen Kollegen, »das mit den Kretern, die alle lügen?«

   Er schüttelte den Kopf und winkte ab. Ich sagte ihm, dass das nicht so wichtig sei.
   Wenn alle demokratisch Ahnungslosen die Linkspartei wählten, dachte ich mir nur, dann ist Biermann wohl auch einer ihrer Wähler. Oder die Wähler sind eben nicht ahnungslos und damit Demokraten.
»Stell dir vor, ich hätte heute vor dem Bundestag gesprochen und hätte den Abgeordneten der Union vorgeworfen, seinerzeit auch ordentlich Stimmung gegen Dutschke gemacht zu haben«, habe ich mit Richy dann noch fabuliert.
   Er hat laut gelacht.
   »Warum habt ihr Hitler zugelassen?«, rief er mit lang gedehnter Stimme, als halte er eine Ansprache in Richtung Unionsblock.
   Wir stellten uns vor, wie die Abgeordneten sich angeschaut und den Kopf gekratzt hätten. Wie sie mich verspottet hätten, weil ich mich mit meiner Ansprache zeitlich ein wenig vertan habe. Wer zu spät kommt, den bestraft vielleicht nicht unbedingt das Leben. Manchmal folgt nur Hohngelächter. Aber das straft auch.
Und dann haben wir noch einmal gelacht. Über die Abgeordneten von Die Linke, weil die so wenig gelacht haben über diesen Bajazzo, der ihnen Dinge vorwarf, mit denen kaum einer von ihnen etwas zu tun hatte. Mensch, sagten wir, sind das wieder mal verbiesterte Leute. Deswegen sage ich euch im Vertrauen, Genossen: Man sollte lachen, wenn einem der Hofnarr des Systems begegnet. Empörung ist in so einen Fall in etwa so lächerlich, wie der Lächerliche selbst. Danke Wolf, für den amüsanten Vormittag. Nur singen hättest du nicht müssen. Das war ja nicht zum Aushalten.
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