Der für das Familienrecht zuständige XII. Zivilsenat hat Voraussetzungen konkretisiert, unter denen der Sozialhilfeträger von den Kindern eines Sozialhilfeberechtigten eine Erstattung seiner aufgewendeten Kosten verlangen kann.
Eine Verwirkung von Ansprüchen kann nur eingewandt werden, wenn das Zeitmoment erfüllt ist, d.h., wenn der Anspruch längere Zeit- mindestens ein Jahr – nicht geltend macht wird, obwohl der Berechtigte dazu in der Lage wäre. Ansonsten kann sich der Schuldner nicht darauf einrichten, dass der Anspruchsinhaber sein Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde (sogenanntes Umstandsmoment).
Weiter hat der BGH entschieden, dass eine psychische Erkrankung, die dazu geführt hat, dass der pflegebedürftige Elternteil der früheren Unterhaltsverpflichtung seinem Kind gegenüber nicht gerecht werden konnte, nicht als ein schuldhaftes Fehlverhalten im Sinne des § 1611 BGB mit der Konsequenz eines Anspruchsverlustes betrachtet werden kann.
Wegen der vom Gesetz geforderten familiären Solidarität rechtfertigen die als schicksalsbedingt zu qualifizierende Krankheit des Sozialhilfebedürftigen und deren Auswirkungen auf sein Kind es nicht, die Unterhaltslast dem Staat aufzubürden. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn der Lebenssachverhalt auch soziale bzw. öffentliche Belange beinhaltet. Das ist u. a. der Fall, wenn ein erkennbarer Bezug zu einem Handeln des Staates vorliegt.
Eine solche Konstellation lag der Senatsentscheidung vom 21. April 2004 (XII ZR 251/01 - FamRZ 2004, 1097) zugrunde, in der die psychische Erkrankung des unterhaltsberechtigten Elternteils und die damit einhergehende Unfähigkeit, sich um sein Kind zu kümmern, auf seinem Einsatz im zweiten Weltkrieg beruhte. Soziale Belange, die einen Übergang des Unterhaltsanspruchs auf die Behörde ausschließen, können sich auch aus dem sozialhilferechtlichen Gebot ergeben, auf die Interessen und Beziehungen in der Familie Rücksicht zu nehmen.
Der Ausschluss des Anspruchsübergangs auf den Sozialhilfeträger bleibt damit auf Ausnahmefälle beschränkt.
Urteil vom 15. September 2010 – XII ZR 148/09
AG Bottrop – 14 F 187/08 – Urteil vom 14. November 2008
OLG Hamm – II-2 UF 241/08 – Urteil vom 6. August 2009
(veröffentlicht in FamRZ 2010, 303)
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