Bewegung 15. Oktober: Mehr als nur Protest gegen Banken

Erstellt am 15. Oktober 2011 von Jacobjungblog

15.10.2011 – Heute versammeln sich weltweit Menschen auf Straßen und Plätzen, um gemeinsam zu protestieren und ihrer wachsenden Empörung Luft zu machen. Über den ganzen Globus verteilt beteiligen sich rund 1000 Städte in insgesamt 82 Ländern an den Demonstrationen.

In Deutschland locken entsprechende Veranstaltungen vor allem in Berlin, Frankfurt, München oder Köln tausende Menschen vom Sofa auf die Straße. Geschätzte 10000 Demonstranten ziehen in Berlin vom Alexanderplatz über das Brandenburger Tor bis zum Bundeskanzleramt. In Frankfurt haben sich rund 6000 Menschen vor der Europäischen Zentralbank (EZB) versammelt.

Von den Medien werden die Proteste der Einfachheit halber als Demonstration gegen die Macht des Bankensystems in Anlehnung an die amerikanische Protestbewegung „Occupy Wall Street“ dargestellt. In Wirklichkeit steckt jedoch weit mehr hinter der „Bewegung 15. Oktober“ als nur die Reaktion aufgebrachter Bürger auf die Selbstherrlichkeit von Banken und Finanzspekulanten.

Das beschränkte Verständnis der Konzernmedien

Ein Blick auf die heutigen Schlagzeilen der deutschen „Qualitätspresse“ zeigt, wie sich die konzernabhängigen Redakteure den Aufstand der Menschen in Deutschland und auf der ganzen Welt erklären. So titelt die FAZ „Occupy Wall Street: Die Protestwelle erfasst alle Kontinente“, die FTD „Nach Wall-Street-Demos: Zentausende protestierten gegen die Banken-Diktatur“ oder das Handelsblatt „Anti-Wall-Street-Demos: Es geht gegen die Banken“.

In der jetzigen Phase ist es opportun auf Banken und Banker, auf Finanzspekulanten und Geldmarkt-Jongleure zu schimpfen. Um sich dieser Haltung anzuschließen, braucht es kein revolutionäres Potenzial, keine Unzufriedenheit mit den herrschenden Verhältnissen und schon gar keine Auseinandersetzung mit den Folgen des raumgreifenden Turbokapitalismus.

In Zeiten, in denen Rentner ihre Investmentberater entführen und brave Bürger vor Gericht auf die Beratungspflichten von Bankmitarbeitern pochen, ist es nicht schwer, den Zorn der spießigen Mittelschicht auf die Geldinstitute zu lenken. Diese haben immerhin Traumrenditen für das Ersparte versprochen und die gierigen Erwartungen ihrer Kunden nicht erfüllt.

Allerdings lautet das Motto der Protestbewegung nicht #more-money oder #raise-interest sondern eben #globalchange. Und das bedeutet nicht mehr und nicht weniger als dass sich etwas ändern soll. Die Position der Banken ist dabei nicht Ursache sondern Symptom. Symptom für eine politische Realität in immer mehr Ländern auf der Welt, die das Wohlergehen der Mehrheit schamlos und konsequent der Gier einer Minderheit opfert. Und genau hieran soll sich etwas ändern.

An dieser Stelle endet die Empathie der Konzernmedien und dass muss sie auch. Schließlich profitieren sie als Teil der herrschenden Verhältnisse selber davon, dass die Wirtschaft die Politik als Marionette betrachtet und leistet durch die Art ihrer Berichterstattung einen wesentlichen Beitrag zur Erhaltung dieser Struktur.

#globalchange ist also weitaus mehr als nur der Widerstand gegen Banken und Geldinstitute, gegen Krisen an den Finanzmärkten und hochverschuldete Staaten. Doch was verbindet die Menschen, die ab heute ihre Häuser und Wohnungen verlassen, um gemeinsam auf der ganzen Welt zu demonstrieren?

Kein Follow-Up von Occupy-Wall-Street

Für die Medien folgt die „Bewegung 15. Oktober“ dem „Occupy-Wall-Street-Movement“, greift deren Zielsetzung auf und trägt sie weiter in die Welt. Das klingt zwar schlüssig, entspricht aber nicht der Wahrheit.

Der Aufruf zu den heutigen Demonstrationen geht auf die spanische Protestbewegung ¡Democracia Real YA!“ zurück, die ihre Anhänger bereits ab März 2011 zur globalen Mobilisierung aufgefordert hatte. Die zentralen Ziele gehen dabei deutlich über den Protest gegen die Macht des Bankensystems hinaus und wurden in der Folge von vielen Bewegungen, Organisationen und Sympathisanten auf der ganzen Welt aufgegriffen und weiterentwickelt.

Besonders aktiv zeigte sich hierbei der deutsche Ableger der Protestbewegung, der unter seinem Namen „Echte Demokratie Jetzt“ bereits im Juni diesen Jahres unter dem Hashtag #worldrevolution zu den heutigen Demonstrationen aufgerufen hatte. Dennoch heißt es in annähernd jedem heute erschienenen Zeitungsbericht, die Bewegung ginge auf Occupy-Wall-Street zurück, wobei das Movement in den USA erst vor vier Wochen entstanden ist.

Natürlich geht es hier nicht darum, sich um die Urheberschaft der Protestbewegung vom 15. Oktober zu streiten. Es ist völlig unerheblich, wer erstmalig hierzu aufgerufen hat. Allerdings verschleiert diese Darstellung den Blick auf die eigentlichen Ziele der Bewegung und erzeugt den Eindruck, als ginge es hier lediglich darum, sich gegen die Machtbestrebungen von Großbanken zur Wehr zu setzen,

Demokratiebewegung mit weitreichenden Forderungen

Die Absichten und Ziele der Bewegung gehen weit über eine kritische Auseinandersetzung mit dem Bankensystem hinaus. Den Protesten liegt die besorgniserregende Beobachtung zugrunde, dass moderne Herrschaftssysteme zwar dem Namen nach demokratisch sind, in Wirklichkeit aber den Willen, die Bedürfnisse und die Forderungen der Mehrheit dem Einfluss einer reichen und mächtigen Minderheit opfern.

Immer mehr Menschen leben am Rande des Existenzminimums. Sie haben keine Aussicht auf einen sicheren und würdigen Arbeitsplatz, auf Bildung und Ausbildung und auf eine gesellschaftliche Teilhabe. Die Sozialsysteme werden unter dem Druck der Wirtschafts- und Finanzkrisen immer weiter herunter geschraubt. Die fortschreitenden Verarmung, Verelendung und Perspektivlosigkeit einer rasant wachsenden Bevölkerungsschicht auf der einen, ist dabei nur die logische Konsequenz der ausufernden Gewinne reicher Minderheiten auf der anderen Seite.

Die Bewegung 15. Oktober wendet sich gegen diese Entwicklung und fordert eine fortgeschrittene Form der Demokratie, in der tatsächlich die Bedürfnisse der Mehrheit im Vordergrund stehen. Sie tritt für gerechte Sozialsysteme, den kostenlosen Zugang zu Bildung und Ausbildung und einen fairen Arbeitsmarkt ein.

Die Rolle der Banken innerhalb dieser Systeme ist nicht mehr als eine logische Folge der fortschreitenden Liberalisierung der Märkte, der ausufernden Gier einer Minderheit nach immer höheren Profiten und der zunehmenden Bereitschaft der Politik, denen, die bereits den größten Teil der Vermögen besitzen, zu noch mehr Reichtum zu verhelfen.

Die internationale Demokratiebewegung und ihre Proteste am 15. Oktober 2011 auf eine bankenkritische Position zu reduzieren ist der Versuch, von ihren eigentlichen Zielen abzulenken. Politische Parteien und Organisationen springen auf den Zug auf, versuchen die Demonstranten für sich zu vereinnahmen und verwässern deren Forderungen auf ein Maß, dem sich vom Politik-Darsteller über den Konzernvorstand bis hin zum Großinvestor und Finanzspekulanten annähernd jeder anschließen kann.

Es geht um echte Demokratie und Mitbestimmung, um eine gerechte Verteilung von Ressourcen, um die Chancengleichheit aller Menschen, um einen fairen Arbeitsmarkt, einen behutsamen und nachhaltigen Umgang mit der Umwelt, um das friedliche Zusammenleben der Völker und um das Ende eines Systems, in dem wenige Mächtige und Reiche über die Lebensumstände und die Existenz der Mehrheit entscheiden.

Es liegt nun an den Anhängern der Bewegung, dafür zu sorgen, dass ihre Ziele und Forderungen in die Öffentlichkeit getragen werden. So erfreulich es auch auf den ersten Blick auch erscheint, dass die Medien in diesem Fall über die Proteste berichten (bei den bisherigen Proteste in Griechenland, Spanien oder auch in Deutschland war das nicht so): Hierin liegt auch eine große Gefahr. Überlässt es die Bewegung jetzt ausgerechnet den Konzernmedien, über sie zu berichten und ihre Ziele im Eigeninteresse zu interpretieren, dann verspielt sie hiermit ihrer Chance auf tatsächliche Veränderungen und überlässt es ein weiteres Mal den Reichen und Mächtigen, über ihr Schicksal zu entscheiden.