Besuch der alten Dame

Alle hatten sie Ratgeber zum Hofprotokoll zur Hand. Wie reagieren, wenn man auf Frau Queen trifft und wie tief knickst man? Dann die Nachricht: Volker Bouffier hätte die alte Dame fast getätschelt. Nie zuvor war mir dieser Mann sympathischer als da. Radiosender waren ohnehin im Dauermodus. Eine Reporterin, die am Rollfeld stand, war tierisch gespannt, was Königin wohl heute tragen würde. Der Boulevard stand ganz in seinem Saft. Und man hat mal wieder deutlich gesehen, weshalb einst auf deutschen Boden keine gekrönten Häupter selbige verloren.
Besuch der alten DameIn Dürrenmatts »Besuch der alten Dame« kommt eine solche zurück in die Stadt. Sie wird mit allen Ehren empfangen, schließlich gilt sie mittlerweile als Berühmtheit. Im Laufe ihres Besuchs (und weil sie der Stadt ein Angebot macht, das diese im Grunde nicht ablehnen will) streifen die Einwohner ihren zivilisatorischen Tarnanzug ab und kehren eine andere Seite hervor. Ein bisschen so war es letzte Woche, als die Königin von der Insel auf der Insel der Seligen, vulgo »krisensicheres Deutschland« genannt, strandete. Alles wofür Monarchie, Aristokratie, Imperialismus und Privilegierung durch den Zufall der Familienzugehörigkeit steht, war urplötzlich kein Thema mehr, sondern bestenfalls ein Kavaliersdelikt, das man als Demokrat per definitionem schon mal stillschweigend hinnehmen kann. Dürrenmatt gab seine Roman den Untertitel »Eine tragische Komödie« - wahrscheinlich ist das zwangsläufig immer so, wenn alte Damen auf Besuch sind.

Es gibt scheinbar nach wie vor eine tiefe Sehnsucht in der Bevölkerung, ein Amt mitsamt der Familie, die einzig und alleine für selbiges in Frage kommt, zu mystifizieren. Die Demokratie ist da profan. Denn theoretisch kann ja jeder in ihr wen darstellen. Und die Leistungsgesellschaft? Klar, für die kleinen Leute zählt sie schon noch. Die sollen sich anstrengen. Der Geldadel braucht eh keine Anstrengungen. Und dem blaublütigen Adel sollte einfach alles in den Schoß fallen, weil es immer so war. Herr Guttenberg war ein Beispiel dafür, mit welchen Vorschusslorbeeren dieses Volk immer noch Adel ausstattet. Köpfe verloren Könige nie auf deutschen Boden. Heute sowieso nicht mehr. Enthauptungen sind selten geworden. Aber dass man Sehnsucht hat, den Adel weiter zu be-, wenn man ihn schon nicht enthauptet, sagt viel über dieses Deutschland aus.
Nur ein kurzer Absatz zum Maßstab, den dieses Deutschland hat: Wir wollen in diesem Lande keine Flüchtlinge empfangen, die vielleicht zu Sozialfällen werden können. Die größte Sozialschmarotzerin der Welt allerdings, die bekommt Wein kredenzt, dessen Flaschenpreis bei 2.200 Euro liegt. Der Besuch der alten Dame zeigte durchaus, wie verzerrt die Wahrnehmung im Lande mittlerweile ist.

Der Untertan ist halt immer noch tief in der Seele verankert. Und die Aristokratie beeindruckt fast wie eh und je. Revolution? Wenigstens Protestkultur? Menschen, die Queens zujubeln, die machen dergleichen nicht. Die finden nichts Kritikwürdiges an Gottesgnadentum und Privilegierung und verurteilen stattdessen alle, die ihren Platz in der Gesellschaft nicht kennen. Heute Queenwinken, morgen die Lokführer oder Postboten ausschimpfen, weil sie sich etwas anmaßen, was sich der Untertan nicht leisten sollte.
Dieses Deutschland wird sich sicher keinen König mehr leisten. Einer zu Besuch kehrt aber alle Affekte heraus. Aber es ist wahrscheinlich wesentlich mehr eine Gesellschaft, die die Aristokratie befürwortet, als eine, die demokratische Standards als Selbstverständlichkeit nimmt. Wer unkritisch Adel empfängt und daraus ein Volksfest macht, während er Streiks verteufelt und für gefährlich deklariert, der muss sich die Frage gefallen lassen, in welcher Gesellschaft er seinen Stand sieht. So richtig demokratisch wirkt das jedenfalls nicht. Aber wie sagte die Queen einst: »... a killer queen / gunpowder gelatine / dynamite with a laserbeam! / Guaranteed to blow your mind! / Anytime!«
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