Best of Joshu Sasaki

Vom kürzlich verstorbenen Joshu Sasaki ist offenbar nicht viel Schriftliches überliefert, aber vielleicht kommt das noch, die Aufzeichnungen einiger Teisho aus den 70er-Jahren sind bereits eine kleine Fundgrube dessen, was mir am japanischen Zen schmeckt. Noch vor einigen Monaten war ich darauf vorbereitet, eine ähnliche Analyse des Sasaki-Archivs zu machen wie bei Eido Shimano, dessen sexuelles Fehlverhalten allerdings im Verhältnis bedeutsamer erscheint. Mit Sasakis Tod dürfte er als Projektionsfläche "Sexmonster" kaum noch eine Rolle spielen. Obwohl sich beim Zen-Lehrer Doraku-an (Dr. Jörg Bernsdorfer) die seltsame Ansicht findet, man müsse jemandem, der eine Gefängnisstrafe wegen eines Finanzdeliktes abgesessen habe, diese noch Jahrzehnte später vorhalten und mit seinen Übergriffen auf Schülerinnen in Verbindung bringen. Doraku-an erfindet dafür - in eigenen Worten - sogar die Regel "not fooling around with female [sic]" also nicht mit Frau(en) rummachen, die es so gar nicht gibt und die im Übrigen einer, der wie Doraku-an offensichtlich eine Ehefrau hat, kaum selbst befolgen könnte. Wie ich anderswo schrieb, bezieht sich die ursprüngliche Regel des Palikanon allein auf Ehebruch, und da Sasaki nicht nach dem Vinaya ordinierte, kann man ihn bestenfalls in dieser Hinsicht auf die sila verweisen.
   Offenbar kann sich Doraku-an auch nicht vorstellen, dass die Würdigung der Erkenntnis eines Menschen nicht bedeutet, dass man sein sonstiges Verhalten per se gutheißt. Auf der anderen Seite ist die Vorstellung, man bekäme irgendwo einen moralisch einwandfreien Zen-Lehrer, geradezu naiv. Wenn wir uns das von den alten Meistern ausmalen, dann doch nur, weil wir sie a) nicht kannten und b) in der beschönigenden Überlieferung alles Störende weggelassen worden sein dürfte. Heute geht das nicht mehr so einfach. Wer verstehen will, wie sich Doraku-an über Sasaki täuscht, der lese also die unteren Textauszüge. Wer so denkt wie ich, aber im Gegensatz zu mir meint, dass man diese Lehrer in jedem Fall persönlich aufsuchen muss, der/die sage einem Typen wie Sasaki: "Zazen - but no Sanzen!" Oder klebe ihm eine. Recht viele Zeugen beschrieben, dass Sasaki seine Attacken bleiben ließ, wenn ihm deutlich Grenzen gesetzt wurden. Ansonsten geht man eben weg, oder übernimmt die Verantwortung dafür, dass man geblieben ist.
   Vergleiche mit begabten Schullehrern, wie sie Doraku-an formuliert, habe ich hier selbst gebracht. Wenn jemand ein guter Lehrer ist, aber "sein Fleisch schwach", dann entzieht man ihm nach Möglichkeit nicht seine Lehrerlaubnis, sondern stellt sicher, dass er mit denen keinen Umgang mehr pflegen kann, die er begehrt. Mich hat Sasaki nie begrapscht, darum bleibt er für mich ein Mann mit tieferen und interssanten Erkenntnissen. Änderte sich dieses Urteil wegen Begrapschens, dann zeigte sich darin meine Unfähigkeit zur Unterscheidung und meine falsche Zen-Übung. Natürlich geht es im Zen wesentlich um das Umsetzen der Erkenntnis in den Alltag, aber die befreiende Einsicht (kensho, satori) stellt ja gerade die eigentliche Herausforderung dar: Wie gehe ich nun mit der so gewonnen Freiheit um? Und nicht: Wie halte ich nun besonders penibel uralte Regeln ein? Man kann an dieser Freiheit scheitern, aber nicht zu erkennen, wenn sie einer erworben hat, führt zu reaktionärem Schubladendenken: Der Grapscher könne nichts begriffen haben (so als ginge es bei der Zen-Übung darum, zu verstehen, dass der Palikanon oder das Brahmajala-Sutra nichts als die reine Wahrheit verkündeten, mit all ihren Vorschriften und Maßregeln).    Brad Warner schrieb in seinem Blog davon, wie ihn Sasakis Teisho einst beeindruckten. Ich las sie jetzt zum ersten Mal und kann das nachvollziehen. Im Lichte der Enthüllungen über Sasakis Übergriffe auf Frauen bei den Sanzen-Sitzungen, wo der Lehrer ggf. mit jeweils einem Schüler oder einer Schülerin allein sein kann, stellte ich mir vor allem bei den Passagen, die von Mann und Frau handeln (s.u.), die Frage, warum Sasaki dann nicht auch die Männer mit Avancen überraschte, wenn das Ganze ein Teil von Zenübung gewesen sein soll, dem Sprengen von Erwartungen, Vorurteilen, Hemmungen, Begrenzungen. Die Ausreden in diesem Bereich sind sich doch sehr ähnlich. Damit kommt Sasaki also auch bei mir nicht davon. Ganz anders ist es mit den Teisho.   Es wäre interessant zu erfahren, ob Sasaki in den Jahrzehnten danach trotz seines persönlichen Fehlverhaltens diese Qualität in seinen Lehren aufrechterhalten konnte. Vielleicht schaffen es enge Schüler von ihm, weiteres Material zu veröffentlichen, wie es etwa noch immer die Gefolgschaft von Shunryu Suzuki tut. Hier also das m. E. Beste aus jenen Sasaki-Reden (in Klammern die Seitenzahl des PDF-Dokumentes) "Buddha is the Center of Gravity" (Lama Foundation 1974):
***Die erste Stufe der Zenübung ist, dich als Nichts zu manifestieren. [Du manifestierst dich als Nichts und zugleich etwa als Mann oder Frau (23).] Die zweite Stufe ist, dich völlig in Leben und Tod, Gut und Böse, Schön und Hässlich zu werfen. … Zen lehrt dich, Gott und den Teufel auf einmal zu schlucken. … Du wirst fähig, dich vollständig zu geben und in einer schönen Frau genauso heimisch zu fühlen wie in einer Laus oder einem Kerl mit gebogener Nase. (16)
Du magst eine schöne Frau und lehnst eine hässliche ab: Das ist nicht dein wahres Selbst. Dein wahres Selbst ist frei von Schönem und Hässlichem. (21)
Der Weg des Zen ist nicht der von Heiligen oder Sündern. … Wenn du Gott, Buddha oder die Quelle von allem erfährst, dann weißt du nicht, was du tust - so wie du, wenn du mit einem geliebten Menschen ganz eins bist, nicht weißt, ob du etwas Gutes oder Schlechtes tust. (21)
Daizazen, großes Zen, bedeutet, dich selbst zur Quelle des Universums zu machen und gleichzeitig diese Erfahrung als Objekt betrachten zu können. (22)
Wenn du erkannt hast, dass die Quelle von dir und von Gott ein und dieselbe ist, dann kannst du Verantwortung als Gott in der Welt übernehmen. (23) … Ihr müsst Verantwortung für diese menschliche Welt von Ursache und Wirkung übernehmen, sonst habt ihr kein Zen erlangt. (24)
Wenn du mir als Frau mit dem Gedanken zuhörst: „Das ist ein kleiner Mann mit einer kleinen Nase. Was, wenn ich ihn zum Ehemann hätte?“, dann hörst du mir nicht wirklich zu. Männer lauschen mir mit dem Gedanken: „Wie groß wohl sein Nabel ist?“ So zuzuhören ist, als würde man Augencreme ins Arschloch schmieren. (33)
Zen-Meister sind sehr unfreundlich. (37)
Ein Zen-Meister muss in jedem Augenblick in der Lage sein, zu töten oder getötet zu werden, sonst kann er kein Zen lehren. Töten bedeutet hier das Selbst töten. … Auch Liebe bedeutet, mit dem Geliebten jederzeit sterben zu können. (38)
Die Menschen entwickelten ihren Intellekt und missverstanden Zeit und Raum als Objekte, sie halluzinierten die Abfolge von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.Wenn ihr eine solch irrige Auffassung von Zeit habt, könnt ihr sie nie verstehen. (38) … Was ist Zeit? … Der Raum dieses Universums ist angefüllt mit Zeit. (33)
Ihr müsst mutig genug sein, eure Ohren zu verschließen, wenn dieser Roshi etwas Dummes sagt. Dann seid ihr wahre Schüler. (40)
Hyakujo lehrte fumae inga: Sei einfach, der du bist. (41)
Hyakujo ist der erste Zen-Meister, der davon sprach, dass Zen daishigyo ist: nicht nur Zazen-Meditation, sondern gyo, also Übung oder Arbeit, um Selbst zu manifestieren. (44)
Werdet zu Rauch! (45)
Wenn du deine Frau umarmst, musst du das mit deinem ganzen Wesen tun. … Dies wird gotaitochigenannt, das Darbieten des ganzen Körpers. (48)
Wenn du Rinzai-Zen machst, solltest du von niemandem abhängen, sondern allein voranstreben. (49)
Zu Zeiten Buddhas gab es keine Physik, also nannte er es „Buddha-Natur“. Heutzutage nennen es Physiker: Gravitationszentrum. … Zu existieren bedeutet, solch einen Schwerpunkt zu haben. … Die Religion des Buddhismus lehrt die Beziehung zwischen dem Menschen und diesem Schwerpunkt. Zen bedeutet, diese anzuwenden. … Für Zen-Mönche sind die Worte Zen und Buddhismus austauschbar. (54)
Zen ist für Kranke. Dieses Zendo ist ein Krankenhaus. (56)
Wenn du wirkliches Zazen übst, dann kannst du Zazen vergessen und dich deiner wirklichen Arbeit widmen. (56f.)
Form und Regeln sind wichtig. Wir wollen euch nicht darin gefangen halten, sondern damit euer Ego abschneiden. … Wenn ihr ohne diese Regeln üben könnt, müsst ihr nicht in einem Kloster sein. (59)
Wenn du erkennst, dass dein Gravitationszentrum mit dem des Universums identisch ist, wird dieses Bewusstsein bodaishin, der Bodhi-Geist. (62)
Buddha-Natur verwirklichen ist das Wissen und Gefühl, dass alles in der Welt eigene Kinder sind. (63)
Im Zen gibt es keine Wunder. (64)
Selbst ein Narr kann ein Zen-Meister sein. Ein Zen-Meister zu sein ist der einfachste Job der Welt. (74)
Ihr solltet niemanden kopieren. Hängt auch nicht an meine Erläuterungen. (77)
Wahre Freiheit ist, alles zu umarmen und zur gleichen Zeit in allem zu verweilen. (77)
Vollständiges Wissen, also die Wahrheit zu erkennen, bedeutet die Erfahrung, dass du die objektive Welt nicht vollständig verstehen musst, denn sie ist grenzenlos. Wenn du die objektive Welt als dich selbst erfährst, dann erkennst du, dass du sie nicht vollständig verstehen musst. (80)
Satori ist die Erkenntnis, dass dein Selbst alles vereint und von allem vereint wird. (81)
Ein Koan wird dir nicht als Objekt gegeben, das du verstehen sollst. Es wird dir gegeben, damit du dein eigenes Problem löst. (82)
Was ist das schlimmste Übel in der Welt? Zu töten? Zu stehlen? Zu lügen? Die Harmonie zu zerstören? Sich selbst zu belügen? … Im Buddhismus ist die schwerste Sünde, Gott oder das Gravitationszentrum [die Buddha-Natur] als Objekt anzusehen. (85)
Ihr esst hier kein Fleisch, aber auch Pflanzen sind lebendige Wesen. Ihr tötet sie. Wie könnt ihr es verhindern, eine Sünde zu begehen, wenn ihr eine Pflanze oder einen Moskito tötet? Zu töten bedeutet das Selbst zu töten. Andere zu töten, aber nicht das Selbst, ist Sünde. Wenn ihr anderes Leben tötet, müsst ihr selbst sterben. Mit dem Moskito zu sterben und wiedergeboren zu werden ist Zen. (85)

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