Was mit Spannung erwartet wurde und sich als Hurrikan eines Regieneulings entwickeln hätte können, entpuppte sich bestenfalls als laues Lüfterl. Dabei stellt sich die Frage, ist der Text so schwach oder glättet die Regie, was eine sachkundige Hand an Spannung und Tiefe diesem vielleicht entreißen hätte können? Thomas Glavinic hat sich zumindest mit der Weigerung, sein Stück unter der Regie von Lukas Holzhausen zur Erstaufführung zu bringen und mit der Idee, sich selbst als Regisseur zu betätigen, keinen großen Gefallen getan.
Ein extrem einfacher Plot
Der Plot ist allzu schnell erzählt. Ein junger Mann, Christoph, wacht am Morgen nach einer durchzechten Nacht in seinem vermüllten Wohn-Schlafzimmer (Bühne Hans Kudlich) mit einem Blackout auf. Er hat keine Ahnung mehr, mit wem er den Abend vorher verbracht hat und schon gar nicht, wer die Fremde in seinem Bett ist, die er offensichtlich mit zu sich nach Hause genommen hat.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der Christoph versucht, sich ihr gegenüber als ein für gewöhnlich einfühlsamer Mann zu präsentieren, der jedoch nach diesem One-Night-Stand keine Veranlassung sieht, die Beziehung weiter zu pflegen, offenbart ihm die aus der Ukraine stammende Anastasia, dass er sie in der Nacht zuvor aus den Fängen eines Zuhälters befreit hat. Oder dies zumindest vorhatte.
Hedonismus schlägt Gutmenschenträume
Was danach kommt, ist eine platte Auseinandersetzung zwischen den beiden, mit vereinzelten Klopfaktionen an Christophs Wohnungstüre und der Beteuerung seinerseits, dass er zu seinem Wort stehen würde. Dass er es am Ende doch nicht tut, ist vorauszuahnen. Zu klischeehaft hat Glavinic diesen Charakter ausgestattet. Der junge Mann ist ein Hedonist, liebt das Leben in Wien mit seinen Naschmarktgängen, um Trüffelsalami zu ergattern und seine Kochkurse, in denen er lernt, einen Käse zu verstehen. Zu sehr entspricht „Nasti“ den gängigen Vorstellungen einer jungen Frau, die durch eine gefakte Heiratsvermittlung zur Zwangsprostitution gezwungen wird. Das Gefühl, ihrem Zuhälter ihr Gebiss zu schulden, weil er es ihr bezahlt hat und das Wissen um die bevorstehenden Peinigungen, sollte sie es wagen, aus dem Milieu auszubrechen, lassen sie am Ende der Geschichte wieder in das Bordell zurückkehren.
Der zu Beginn vermeintliche Retter aus der Not erfährt zwar das Gefühl, nun in seinem Leben endlich einmal als Gutmensch tätig werden zu können. Mehr aber auch nicht. Das ihm bekannte Leben zählt schlussendlich mehr als die Hilfeleistung für eine Unbekannte. Noch dazu mit einem gewalttätigen Ungeheuer an ihrer Seite.
Eine tolle, schauspielerische Leistung
Selbst die tollen schauspielerischen Leistungen von Christoph Rothenbuchner und Nadine Quittner, die besonders hervorgehoben werden müssen, vermögen nicht, die Geschichte auf eine Ebene zu heben, von der aus sie spannend, mitfühlbar oder schockierend erlebt werden könnte. Und das ist die Crux dieses Abends. Sosehr die realistische Thematik per se mit Dramatik ausgestattet ist, so wenig ist davon in der Inszenierung zu spüren. Glavinic beschönigt in seinem Text nichts, deckt die gesellschaftlichen Wunden von Zwangsprostitution mit Mädchen aus Osteuropa nicht zu, er geht aber über die allgemeine, oberflächliche Beschreibung derselben auch nicht hinaus.
Der Publikumsspiegel funktioniert nicht
Sollte er den Versuch unternommen haben, dem Publikum einen Spiegel vorzuhalten, so erfasste dieser die Zusehenden in Schräglage, nur am Rande. Denn weder Christoph noch Nasti eignen sich besonders gut zu Identifikationsfiguren. Es sei denn, man ist ein junger, männlicher Bobo-Single mit Hang zum Kochen, sporadischen Bordellbesuchen und alkoholbedingten, temporären Amnesieanfällen, oder man ist in der Rotlichtszene beheimatet. Zumal für Letztere das, was auf der Bühne gezeigt und erzählt wird, wahrscheinlich nicht einmal einen kurzen Lacher wert ist.
Glavinic, der für sein literarisches Werk abseits des dramatischen Faches viele Stipendien und Preise erhielt, geht in diesem Kammerspiel den Weg des geringsten Widerstandes. Nicht über- und nicht untertreiben scheint sein Motto zu sein, eine für die Bühne jedoch nicht immer ratsame Vorgangsweise. Dabei legt er seinen Figuren in diesem Kammerspiel Sätze über Liebe in den Mund, die häufig auch unauthentisch wirken. „Mugshots“, benannt nach den Fotos, die in Amerika von Menschen gemacht werden, die polizeilich erfasst werden, erscheint als ein erster Gehversuch des in Graz geborenen und in Wien lebenden Autors auf einer Bühne. Mehr als zaghafte Schritte sind dabei leider nicht herausgekommen.
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