Eine Landschaft, unmöglich in Worte zu fassen. Zwei Seen, die unwirklicher nicht scheinen könnten. Und dazwischen ein Felsband, das dem Wanderer eine neue Welt eröffnet.
Übersetzt bedeutet Besseggen etwa „Sensengrat“. Äußerst treffend, denn messerscharf trennt der Grat zwei Seen. Und mit ihnen zwei Farbwelten. Der tiefer liegende Gjendesee schimmert türkis. Gletschersedimente trüben sein Blau und geben ihm milchig weiße Farbnuancen. Größere und kleinere Flüsschen tragen die Sedimente tief aus dem Hochgebirge des Jotunheimen Nationalparks. Mal in steilen Wasserfällen, mal in vielen Mäandern entleeren sie ihr Wasser in den See. In den höher liegenden Bessvatnet gelangt nur klares Schmelzwasser aus den umliegenden Gipfeln. Das Gletscherwasser fehlt hier. Der See kann seine dunkelblaue Farbe beibehalten.
Berühmtheit erlangen hat der Grat durch Henrik Ibsen, Norwegens bekanntestem Dichter. In seinem Roman Peer Gynt schickt er die Hauptfigur über den Besseggen.
„Sahst du jemals nah den Gendin-Grat? Der macht dir bang: Eine halbe Meile lang, wie ’ne Sense scharf ist der … „
Lang ist die Strecke allemal. Die Wanderung am Besseggen zieht sich über 14 Kilometer und 1.050 Höhenmeter zwischen den Orten Gjendesheim und Memburubu, die direkt am Gjendesee liegen. Fähren verbinden die beiden Stützpunkte und bringen die Wanderer zurück zum Start der Tour.
Von Gjendesheim nach Meburubu
Auf der Gratwanderung zwischen Gjendesheim und Memurubu ist nicht ein Gipfel, sondern der Weg das Ziel.
Der Weg beginnt gleich spektakulär mit einer leichten Kletterpassage. Den Wanderer begleitet von den ersten schüchternen Schritten an diese einmalige Aussicht auf den Gjendesee. Sie wird ihn in den kommenden Stunden nicht mehr loslassen.
Bald nach der Kletterstelle erreicht man ein Plateau. Von Steinen übersät wirkt es im Vergleich zu den Seen düster und grau. Ein arger Kontrast. Gemächlich ansteigend gelangt man über das Plateau schon in Kürze an den höchsten Punkt der Wanderung. Das Vesfjellet auf 1.743 Metern. Ein riesiger Steinhaufen markiert den Gipfel. Gehzeit bis hierher etwa eineinhalb bis zwei Stunden.
Ein Gipfel zur Draufgabe. Denn der eigentliche Höhepunkt der Wanderung wartet noch. Der Gjendesee erstreckt sich hier so weitläufig, dass man nicht einmal das Tagesziel erblickt. Geschweige denn sein Ende. Meburubu liegt ziemlich genau an der Mitte des Sees.
Seentrenner Besseggen
Wenige Meter wandert man vom Gipfel bergab, bevor man die Stelle erreicht, an der sich die beiden Seen küssen. Das Plateau läuft immer enger zusammen und bricht plötzlich ein einer steilen Stufe ab. An dieser Kante überblickt man erstmals eine Kulisse, weswegen jährlich bis zu 30.000 Wanderer diese Tour in Angriff nehmen.
Der Grat misst an seiner schmalsten Stelle nur mehr wenige Meter. Von diesem Aussichtspunkt aus wirkt er wie ein fragiles, dünnes Mauerteil, das mit letzter Kraft versucht, den dunklen See in seinem Becken zu halten. 400 Meter tiefer zieht sich der Gjendesee durch das schmale Tal. Dieser Ort ist magisch. Unglaublich. Man kann sich einfach nicht ausmalen, mit wie viel Zufall die Natur eine Landschaft solcher Einzigartigkeit formen konnte.
Den Felsabbruch überwindet man in leichter Kletterei. Hier kommen die ersten Wanderer entgegen, die den Grat aus der entgegengesetzter Richtung überschreiten. Wie Ameisen wuseln sie den Grat entlang. Am Steilstück kommt es zu kurzen Staus. Die bunten Norrøna Hosen und Jacken, die hier in Norwegen jeder trägt, heben sich auffallend vom Felsuntergrund ab.
Die Überschreitung der Engstelle erweist sich als relativ unspektakulär. Das Band ist hier sicher 50 Meter breit. Die Blicke huschen von links nach rechts und wieder nach hinten. Kein Aspekt dieser Szenerie soll dem Auge entgehen. Am gegenüberliegenden Ufer des Gjende ergießt sich ein Fluss in vielen Mäandern in den See. Seine milchig weiße Mündung ist weit hinein erkennbar. Ähnlich schön ist die Flussmündung in Memburubu. Die Herberge erreicht man nach kurzem Auf- und Abstieg. Wie eine lange Fahne ziehen sich die Sedimente in den See hinein, bevor sie sich nach und nach mit dem Wasser vermengen und verwischen.
Die Wanderung endet so großartig, wie sie begonnen hat. Bei der Bootsfahrt von Memburubu zurück nach Gjendesheim kann man die Wanderung nocheinmal nachverfolgen. Dieses Mal vom See aus.
Susis Fazit
Es ist nicht die körperliche Anstrengung, oder die technische Schwierigkeit, die diese Tour so besonders macht. Es ist die beinahe surreal wirkende Landschaft rund um den Grat, die den Besseggen von vielen anderen Wanderungen abhebt. Sie ist schlicht gesagt mit keiner anderen Bergtour zu vergleichen. Eine Tour, die auf ihrer gesamten Länge nichts an Schönheit einbüßt. Sie ist jeden Kilometer, ja jeden Schritt wert.
Ausrüstungstipps
Selbst wenn blauer Himmel und Sonnenschein auf den Bildern etwas anderes vermuten lassen: auf der Wanderung war es eisig kalt. Ein starker Wind fegte über das Plateau, mit ihm Temperaturen aus dem schneebedeckten Hochland des Jotunheimen. Auch mit Regenschauern muss man hier jederzeit rechnen. Eine Wind- und Regenjacke, Stirnband und Handschuhe gehören deshalb in jeden Rucksack.
Toureninfo
- Dauer: fünf bis sieben Stunden
- Länge: 14,3 Kilometer
- Höhenmeter: 1.055 hm
- Anforderung: leichte Kletterpassagen, Trittsicherheit
Was du sonst noch wissen solltest
- Man kann natürlich auch zuerst die Fähre nach Memburubu nehmen und dann zurückwandern. Dann hat man keinen Zeitdruck, die letzte Fähre zu erwischen. Wenn man am Vormittag aufbricht, geht sich die Wanderung zeitlich aber leicht aus. Das letzte Boot fährt in den Sommermonaten um 18 Uhr.
- Das Ticket für die Fähre kann man direkt am Boot kaufen. Bezahlung ist per Kreditkarte möglich. Informationen zu den Fähren gibt es hier.
- Der Besseggen gehört zu den beliebtesten Wanderungen in Norwegen. Dementsprechend viel ist am Grat los. Wir empfehlen, früh genug aufzubrechen.
- Wer sich das Geld für die Fähre sparen will, kann auch am Ufer des Sees zurück nach Gjendesheim wandern. Wir würden zwei Stunden zusätzlich einrechnen. Die Bootsfahrt ist aber eine tolle Belohnung für die lange Wanderung.