Noch immer wird ein verblüffend hoher Anteil von Regierungsaktivitäten ohne tiefgreifende Analyse durchgeführt (durch Kontrollgruppen, experimentelle Einführung oder Kosten-Nutzen-Analysen, nur um einige Beispiele zu nennen). Stattdessen stehen lediglich Annahmen dahinter (gerne auch ideologisch motiviert). Ein Beispiel dafür ist das Elterngeld, das seine Ziele völlig verfehlte. Unter der Annahme, dass mangelnde Einkommenskompensation die (ohnehin statistisch unzureichend belegte) Geburtenarmut bei Akademikerinnen auslöse, wurde das Elterngeld anhand des Netto-Einkommens geschaffen. Zwar eine vitale und aus der Familienpolitik nicht mehr wegzudenkende Maßnahme, änderte sie am Problem selbst gar nichts. Ob dies an der Unzulänglichkeit der Maßnahme selbst liegt oder daran, dass die Geburtenrate der Akademikerinnen niemals statistisch relevant niedriger war, ist immer noch unklar. Gerade diese Unklarheit belegt den Punkt.
Datenbasierte Politik (ebenso wie datenbasierter Journalismus) sind Trends der letzten halben Dekade. Einige Regierungen sind deutlich schneller darin, diesen Trend aufzugreifen als andere, vor allem die USA und Großbritannien. Die oberste Regulierungsbehörde OIRA, die direkt dem Weißen Haus untersteht, ist etwa ganz dem Prinzip der Kosten-Nutzen-Analyse und rigorosen Datenanalyse verpflichtet (und seit Cass Sunsteins Amtszeit 2009-2012 auch dem Nudging, aber das ist ein anderes Thema). Wie Scared Straight und andere Programme zeigen, sind wir allerdings immer noch am Anfang dieser - nicht unumstrittenen - Entwicklung. Bevor wir allerdings darauf eingehen, warum jemand ernsthaft etwas gegen effiziente Regierungsprogramme haben kann, müssen wir zuerst noch kurz den Nutzen datenbasierter Politik beleuchten.
Zum einen sparen effiziente Programme Geld, ohne dass deswegen auf Leistungen des Staates verzichtet werden muss. Dies ist ganz besonders im Interesse der Steuerzahler, die auf diese Art deutlich mehr für ihr Geld bekommen. Zum anderen können auf diese Art schädliche Programme vermieden werden, denn viele haben lästige Nebeneffekte. So gehört es etwa zum Dauerthema von Liberalen aller Schattierungen, die fehlenden Anreize zur Arbeitssuche bei hohen Sozialleistungen zu bejammern. Auch wohlmeinende Programme wie eine Mietbremse können allerlei lästige bis schädliche Nebenwirkungen haben. Durch datenbasierte Ansätze lassen sich diese früher identizieren und entweder durch schlauere Regeln umgehen oder aber führen zum Abbruch des Programms. Und zuletzt reduziert ein solcher Ansatz den Anteil der politics (wie parteipolitische Grabenkämpfe) und erhöht den der policies (etwa die Frage, ob die Mietpreisbremse auf dem Land, in der Kleinstadt und in der Metropole unterschiedlich greift und welchen Einfluss die Lebenshaltungskosten haben). Und genau da rennen wir in Probleme.
Bereits jetzt wird allerorten bedauert, dass die zeitgenössische Parteienlandschaft stark dem Konsens verpflichtet ist und die Unterschiede etwa zwischen SPD und CDU nur gradueller Natur sind. Es ist dieser Boden, auf dem Merkels "assymetrische Demobilisierung" gedeiht. Je mehr die Politik sich auf datenbasierte Ansätze verlässt, desto mehr verlagert sich die Regierungsarbeit weg vom Parlament in die Exekutive, und desto vorherrschender werden technokratische Ansätze und Problemlösungsmethoden. Für die Demokratie kann effizientere Regierung - der, wenn gefragt, jeder seine volle Unterstützung zusichern würde - tatsächlich Gift sein. Nicht umsonst sind es die großen, ideologisch motivierten Programme - etwa Herdprämie und Ausländermaut, nur um zwei zu nennen -, die weitgehend ohne vorherige Analyse oder belastbare Datengrundlage gestartet werden und hauptsächlich der Mobilisierung der eigenen Basis dienen. Das mag man bedauern, aber ohne solche Maßnahmen fehlt der Demokratie das Schmiermittel, und die Politik entfernt sich noch weiter vom Volk als ohnedem.
Zudem ist und bleibt Politik kein Geschäft, das komplett berechnbar wäre. Selbst die rigoroseste Analyse mag sich am Ende als falsch herausstellen. Betreibt man daher die analysebasierte Politik mit zuviel Eifer, kann es sein, dass effektiv mit den Methoden der Betriebswirtschaftslehre Politik gemacht wird und man sich der Versuchung hingibt, jeden Faktor in Zahlen zu gießen, und wo für diese keine empirische Basis besteht einfach attraktiv-komplizierte Formeln zu erfinden. Schnürt sich die Politik derart in ein Korsett, kommt das System zum Stillstand und kann nur noch winzige Reförmchen an bestehenden Regelungen produzieren, aber nicht mehr auf große Probleme reagieren, die sich vielleicht mittlerweile aufgetan haben.
Macht man sich aber bewusst, welche Grenzen bei datenbasierten Ansätzen bestehen und versteht sich auf das Bohren dicker Bretter, dann stellen diese Ansätze ein wertvolles Werkzeug dar, das politische Maßnahmen deutlich zielgerichteter, effizienter und gleichzeitig günstiger gestalten kann. Es wäre daher an die Zeit, dass der Bundestag sich diesen Ansätzen widmet.