Beschreibung eines Kontinents der gewollten Ungleichheiten

 

Über Peter Mertens Kritik des neoliberalen Europas.

Beschreibung eines Kontinents der gewollten Ungleichheiten

Quelle: Amazon

Im Grunde gibt es keinen NSA-Skandal. Und wenn man hierzulande die Rolle des BND bei den Abhöraktionen beleuchtet, dann sollte man auch nicht vom BND-Skandal sprechen. Was hier geschieht sind nämlich lediglich die geheimdienstlichen Auswirkungen eines neuen Kalten Krieges. Nicht mehr zwischen verfeindeten Blöcken, die in verschiedener Weltauffassung erstarrt sind, sondern zwischen zwei kapitalistischen Blöcken, zwischen Kontrahenten auf dem freien Markt - zwischen Wettbewerbern. Dass die Europäische Union mit den Vereinigten Staaten um die wirtschaftliche Oberhoheit auf Erden buhlt, steht für den belgischen Soziologen Peter Mertens fest. Er beschreibt in seinem Buch Wie können sie es wagen?, wie sich Europa in eine neoliberale Zone verwandelte.

Das Maastrichter Europa war nie als ein Europa der Menschen geplant. Auch nicht als ein Hort, der Bürger- und Menschenrechte als seinen größten Exportschlager erachtet. Das Europa nach Maastrichter Ausrichtung wollte wettbewerbsfähiger werden, im globalen Expansionsstreben absahnen, den Markt erobern und die Chinesen und Amerikaner im Wirtschaftskrieg ausstechen. BusinessEurope nennt Mertens dieses neue Europa der wirtschaftlichen Vorherrschaft.
Und dieses BusinessEurope geht zwar nicht über Leichen, wohl aber über schlecht bezahlte Jobs. Die Auflösung von Sozialstandards und die Einführung eines Niedriglohnbereichs sollten Europa in der Welt stärken. Mertens nennt das den "stillen Staatsstreich von BusinessEurope". Er sieht besonders Deutschland als den ideologischen Vorreiter dieses ganz besonderen europäischen Gedankens. Und er beschreibt, wie Belgiens Konservative immer wieder nach Berlin deuten und ihren Landsleuten sagen: So müssen wir auch werden. Hartz IV war richtig. Niedriglohn ist die einzige Chance. So lernt der Leser nebenbei noch die flämische Nationalbewegung kennen, die ihre Separationswünsche mit neoliberaler Agenda unterlegt und so den Nationalismus mit Wirtschaftsradikalismus verwebt. Flame zu sein bedeute nämlich auch, die wirtschaftlich schwache Wallonie mitzuziehen.
Wir kennen das ja auch in etwas anderer Weise in Deutschland, wenn wieder mal Bayern, Baden-Württemberg und Hessen tönen, dass sie die Republik ernährten und Bundesländer mitschleifen müssten. Nach Mertens ist die Renationalisierung Europas ein Nebenprodukt dieses Kontinents in Schocktherapie. Es entstehen überall wirtschaftlich orientierte Nationalismen oder Ökonomiepatriotismen, die Solidarität zu einer Tugend degradieren, die man sich leisten können sollte.
"Das Europa des Wettbewerbs und der Ungleichheit" ist kein Abfallprodukt des Krisenpakets, das die Medien in Europa in verschiedene Tranchen zerschnitten haben. In Euro-Krise, Wirtschaftskrise, Staatsschuldenkrise oder EU-Krise - ohne einfach mal von der systemimmanenten Krise zu sprechen, von einer Krise des Kapitalismus, der sich als einziges Regularium bloß noch eine unsichtbare Hand leistet. Viele Kritiker der EU sprechen in ihrem engstirnigen Betragen oft davon, dass die Europäische Union einen neuen Sozialismus züchte, eine Gleichmacherei und ein Herabdrücken des Lebensstandards aller Menschen. Kollektivierungen gibt es wohl. Aber all das geschieht nicht aus Mangelwirtschaft heraus, sondern ist die Geschäftsgrundlage der globalen Wettbewerbsfähigkeit, die man um jeden Preis erhalten und verstärken möchte.
Mertens spricht auch von Sozialismus und setzt ihm eine 2.0 dahinter. Das ist eine klare Abfuhr für den Sozialismus, den es schon mal gab. Etwas Neues muss her. Ein Sozialismus, der Werte nicht nur besitzt, sondern pflegt und garantiert. Er schreibt, dass der Kapitalismus immer wieder durchschimmerte in den letzten Jahrhunderten. Schon zaghaft in der Republik von Venedig. Oder im Genf des Herrn Calvin. Aber er war nie so weit, sich endgültig durchzusetzen. Erst mit der Industrialisierung gelang es die kapitalistischen Versuche nachhaltig zu installieren. Die Zeit war erst im 19. Jahrhundert reif für ihn. Alle Versuche vorher mussten scheitern. Warum also, fragt Mertens nun, sollte der Sozialismus nicht auch mehrere Versuche erhalten, bis er überlebensfähig werden kann. Die Grundlagen der heutigen Wirtschaft würden Mangel jedenfalls ausschließen. Und dass man alles verplanwirtschaften müsse, sagt ja auch kein realistischer Mensch. Nur manches müsste von der Allgemeinheit verwaltet und kontrolliert werden.
Der Kapitalismus hat nicht gesiegt. Er blieb übrig. Man kann das gut erkennen, wenn man in der gesellschaftskritischen Literatur unserer Tage querliest. Wagenknecht will einen kreativen Sozialismus und Mertens den Sozialismus 2.0. Das sind die Früchte, die ein maßloses System säte.
Wie können sie es wagen? fragt Mertens. Aber sie wagen es einfach. Ohne Rücksprache mit den Menschen. Rücksprache hält die Politik nur mit dem besseren Teil der Europäer. Mit Reichen, mit Konzernen und Managern. Die sagen, was gut für uns alle ist. Ja, und wie können wir es wagen, uns das gefallen zu lassen? Und wir sollten es als ersten Schritt nicht wagen, Mertens Buch einfach zu ignorieren. Wage zu wissen! Dieser Ausspruch der klassischen Aufklärung trifft bei Wie können sie es wagen? zu. Mertens ist ein moderner Aufklärer und vielleicht wird er einst genannt, wenn man von der Ära der Aufklärung 2.0 spricht.
Wie können sie es wagen? Der Euro, die Krise und der große Raubzug von Peter Mertens ist im VAT Verlag André Thiele erschienen.
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