Berufswechsel: Mein Weg vom Bankkaufmann zum Psychologen.

Von Rkoppwichmann

Ich habe selbst mehrere Berufswechsel hinter mir. Und coache auch Menschen, die einen beruflichen Quereinstieg vorhaben. Lesen Sie hier meine Erfahrungen und welche drei wichtige Dinge es braucht, um das zu schaffen.

Sie müssen es sich nicht so schwer machen wie ich.

Ich hatte die Mittlere Reife und wusste nicht, was ich beruflich machen wollte. Mein Vater riet mir: „Mach eine Banklehre, da hast Du einen sicheren Job.“

Früher war das ja so. In dem erlernten Beruf, egal ob man Bäcker, Schriftsetzer, Schneider oder Bankkaufmann lernte – man konnte davon ausgehen, dass man das sein Leben lang machen konnte. Das hat sich brutal geändert. Viele Berufe gibt es gar nicht mehr. Und die, die es noch gibt, haben oft Nachwuchssorgen oder werden durch die Digitalisierung bedroht.

Denn wer heute im Reisebüro arbeitet, als Übersetzer, Taxifahrer, Bibliothekar, Postbote, Kurier oder Korrektor kann sich ausrechnen, dass sein Arbeitsfeld von Computern oder Robotern übernommen wird.

Ich lernte also Bankkaufmann auf einer Sparkasse, ging dann zur Dresdner Bank ins Kreditrefererat. Damals war klar, wenn ich keine schlimmen Fehler mache, kann ich hier langsam aufsteigen und bis zur Rente bleiben. So ist das heute bei keiner Bank mehr. Und die Dresdner Bank gibt es auch nicht mehr.

Tja.

An so einem Ungetüm verbrachte ich Tage und Nächte. Hinten links sind Bandmaschinen, also das was heute auf einer Festplatte drauf ist.

Von der Bank über die Datenverarbeitung zur Werbung.

In der Bank arbeitete man so, wie man es heute gar nicht mehr vorstellen kann. Wollte der Chef einen Brief schreiben, rief er seine Sekretärin zu sich. Die kam mit einem Block und nahm in Steno auf, was der Chef sagte. Dann tippte sie es in eine Schreibmaschine.

Wenn Sie einen Fehler machte, musste sie versuchen, das zu auszuradieren. War es ein wichtiger Brief, musste sie ihn nochmal schreiben. Deswegen war TippEx damals eine Revolution, die vielen Sekretärinnen den Feierabend rettete. Dei größte technologische Neuerung, die die Korrespondenz erleichterte, war 1979 die Einführung des Telefaxgeräts. Ehrfürchtig standen wir anfangs neben dem Gerät und konnten uns nicht erklären, wie das funktionierte.

Aber ich war schon immer aufgeschlossen für neue Dinge und las damals eine Anzeige der IBM, die verhieß „Datenverarbeitung – die Zukunftstechnologie!“ Das interessierte mich und stellte ich mich im Rechenzentrum in Frankfurt  vor. Was man damals unter Datenverarbeitung verstand waren Lochkarten, mit denen große Firmen ihre Gehaltsabrechnungen machten. Und die IBM verarbeitete diese Lochkarten in großen Rechenzentren. So wurde ich Operator an einer IBM 360. Aber nach einem Dreivierteljahr frustrierten mich der Schichtdienst und die nicht vorhandenen Aufstiegsmöglichkeiten.

Von meiner damaligen Frau, die in einer Werbeagentur arbeitete, bekam ich den Tipp, es doch mal als Texter zu probieren: „Du kannst doch gut schreiben und hast viele verrückte Ideen!“

Klang gut aber ich wusste, da braucht man eine Mappe mit Arbeitsproben seiner Werbekampagnen. Hatte ich ja nicht. Da setzte ich mich hin, schnitt Bilder aus Zeitschriften aus und konzipierte fiktive Anzeigen für verschiedene Produkte. Ging zu einer kleinen Agentur in Frankfurt und fragte: „Können Sie mich brauchen?“

Die Leute waren sehr verwundert über meine Chuzpe, schauten sich meine Anzeigen an und fragten nach zwei Stunden: „Wann könnten Sie denn anfangen?“

So wurde ich Werbetexter. Eine tolle Zeit. Ein Jahr danach machte ich mich selbständig, hatte eigene Kunden, alles bestens. Aber dann kam eine Rezession, die Firmen sparten an der Werbung und ich verlor alle Aufträge. Und musste wieder einen Berufswechsel wagen.

Und dann landete ich dort, wo es viele hinzieht, die mit wenig Arbeit viel Geld verdienen wollen: in die Finanzdienstleistungsbranche. BONNFINANZ hieß das Unternehmen. Der große Vorteil: die hatten als erster Anbieter ein All-Finanz-Angebot. Früher war das ja segmentiert aber in meinem Bonnfinanz-Köfferchen hatte ich alle wichtigen Angebote. Vom Bausparvertrag über Fondsanlagen bis zur Lebensversicherung. Man konnte bei fast jedem Kunden einen Vertrag abschließen.

Nach einem Jahr erfolgreichen Verkaufens mit zwei, drei Besuchen am Abend fragte ich meinen Betreuer, wie es jetzt hier weitergehen könne. „Für dich geht’s super weiter“, sagte er ganz begeistert. „Du stellst jetzt Leute ein, die für dich arbeiten und verdienst an deren Provisionen mit!“

Hm, dachte ich. Das kann ja nicht so schwer sein. Anderen Menschen beizubringen, wie man Versicherungen verkauft, wenn ich es selbst ganz gut kann. Aber – und dieser Gedanke sollte mein ganzes weiteres Leben beeinflussen:

„Ich kann doch nicht den Rest meines Lebens mit Versicherungen verbringen.
Da bin ich doch unterfordert!“ 

Und dann war mir klar, was ich eigentlich machen wollte: Psychologie studieren!


Unterwegs auf dem steinigen zweiten Bildungsweg.

Das hatte nur einen Haken: ich hatte kein Abitur! Ich war damals vom Gymnasium in der Obertertia abgegangen, weil ich keinen Sinn darin sah, weiterzulernen. Und meine Eltern, beide ohne Abitur, respektierten das.

So war klar: ich musste das Abitur nachholen. Auf dem zweiten Bildungsweg. In Nürnberg gab es ein Kolleg, also eine Ganztagsschule, auf der man das machen konnte. Gedacht, getan! Ich zog mit meiner Frau nach Franken und ging brav jeden Tag wieder zur Schule.

Es war hart:

  • Vorher ziemlich freie Zeiteinteilung, jetzt morgens 5 Stunden Schule, manchmal auch nachmittags.
  • Pausenklingel und Klassenbucheintrag (und das mit 25 Jahren!)
  • Aber vor allem: Nochmal Caesars Gallischen Krieg aus dem Lateinischen übersetzen.
  • Infinitesimalrechnung und andere Sachen, von denen ich gedacht hatte, ich hätte sie für dieses Leben hinter mir.

Aber wer ein starkes Ziel hat, dem wachsen meistens Kräfte und Ausdauer zu.

Dann hatte ich nach 2 1/2 Jahren (!) das Abitur bestanden. Aber leider war der Schnitt mit 2,0 nicht gut genug für den Numerus Clausus in Psychologie. Es war klar: ich musste wieder warten.

Volunteers in Kfar Hahoresh, my first kibbuz.

In Israel auf den Studienplatz warten.

Und ich musste wieder arbeiten. Denn das Bafög war ausgelaufen. Da las ich, dass in Israel im Kibbuz immer Arbeitskräfte gesucht werden. Und dass das Wetter immer schön war.

Ticket gekauft, hingeflogen und mich in Tel Aviv zu einem Kibbuz vermitteln lassen. Dort pflückte ich Millionen Grapefruits (so kam es mir vor). Schlachtete Hühner (eine enorme Überwindung am Anfang) und baute Holzhäuser (solche grünen Baracken wie auf dem Bild oben).

Eine tolle Zeit! In den freien Stunden schaute ich mir das Land an. Und wartete ansonsten ein Jahr auf meinen Studienplatz. Der Bescheid kam dann für die Uni Heidelberg, meine Heimatstadt.

In der ersten Semesterwoche dann der große Schock! Ich hatte gedacht, jetzt geht es los mit Freud, Jung und Adler. Also den Inhalten, die mich zur Psychologie gebracht hatten. Nix da, wieder Mathematik. Statistik, Faktorenanalyse und stochastische Prozesse.

Ich war am Boden zerstört. Was tun? Wieder zurück ins Versicherungsgeschäft? Wieder einen anderen Beruf? In meiner Not ging ich in die Free Clinic, ein Selbsterfahrungszentrum, das sich direkt neben dem Psychologischen Institut befand. Und dort stolperte ich in meine erste Therapiegruppe. Die arbeiteten mit Gestalttherapie, Transaktionsanalyse, Rebirthing, Trancereisen … Also all den Methoden, die im Rahmen der Humanistischen Psychologie so entstanden waren.

Das rettete mich.

Ich beschloss, das Studium jetzt ganz effektiv nur auf die Pflichtseminare und Prüfungen auszurichten und hatte dadurch viel Zeit. Diese nutzte ich, um drei Therapieausbildungen in den sechs Jahren des Studiums zu machen:

  • Transaktionsanalyse (weil die auch Studenten aufnahmen)
  • Hypnotherapie nach Erickson (weil ich Gunther Schmidt und Bernhard Trenkle kennengelernt hatte)
  • Und HAKOMI.

Aufgrund dieser Ausbildungen konnte ich gleich nach dem Diplom (meine Diplomarbeit war die erste über NLP!) eine Praxis eröffnen. Die habe ich heute noch. Nach ein paar Jahren auch mit Kassenzulassung.

Und sehr bald gründete ich mit Freunden und Kollegen das HAKOMI Institute of Europe und war dort zwanzig Jahre lang im Lehrteam. Heute arbeite ich neben der Praxis als Führungskräftetrainer und Business-Coach, aber ausschließlich im Bereich Persönlichkeitsentwicklung.


Was braucht man für einen Berufswechsel?

Wie aus der Beschreibung meines beruflichen Lebensweg deutlich wird, wusste ich lange nicht, was ich wirklich wollte. Zudem war ich für vieles geeignet und habe vieles gern gemacht. Das ist nützlich, kann einem aber auch längere Umwege bescheren.

Im Idealfall fährt man ja wie Michael Schuhmacher schon als Siebenjähriger Kartrennen und weiß: „Ich werde mal Formel-Eins-Rennfahrer!“ Bei den meisten Menschen dauert es aber länger und läuft nicht so geradeaus.

Aus meiner eigenen Erfahrung und meiner Tätigkeit, wenn ich Menschen coache, die einen beruflichen Quereinstieg planen oder ganz den Beruf wechseln wollen,  sind es vor allem drei Dinge, die man braucht:

  • Ausdauer und eine gewisse Frustrationstoleranz
    Wenn Sie Glück haben, können Sie einen fliegenden Wechsel machen. Aber meistens läuft es nicht so glatt. Vielleicht müssen Sie erst mal noch eine Aus- oder Fortbildung oder ein Studium machen. Oder sich als Praktikant bewähren. Oder andere anstrengenden Aufgaben und langweilige Zeiten durchstehen.So wie ich mich nochmal mit Latein und Mathe herumquälen wusste, wobei ich wusste, dass ich das nie wieder im Leben brauchen würde.Um das durchzustehen, brauchen Sie die zweite Sache:
  • Ein klares Ziel, das Sie anzieht und das Sie erreichen können.
    Also keine verblasene Idee, die wenig Chancen hat. Keine Idee, die Ihnen jemand anderes aufgeschwätzt hat und der Sie folgen, weil nichts Besseres wissen.Es sollte möglichst ein Gebiet sein, für das Sie sich bisher auch schon interessiert haben – aber vielleicht nicht wussten, wie Sie einen Beruf daraus machen könnten.Ich habe schon als Zwanzigjähriger gern psychologische Bücher gelesen. Habe mit suizidalen Freunden nächtelange Gespräche über den Sinn des Lebens geführt. Konnte schon damals gut zuhören, weil es mich immer interessiert hat, wie andere Menschen so sind und denken.Und dann brauchen Sei noch …
  • Mut.
    Ein beruflicher Quereinstieg oder ein Berufswechsel ist kein Garant, dass Sie dann glücklicher werden. Vielleicht klappt das eine oder andere nicht. Oder der Weg ist steiniger als Sie ihn sich vorgestellt haben. Es hilft, wenn Sie in Ihrem jetzigen Beruf öfters das Gefühl haben: „Ich halte das keinen Monat mehr aus!“Aber es geht auch ohne diesen Leidensdruck. Vor allem, wenn Sie eine starke Idee haben, die Sie anzieht.Es ist also idealerweise so wie damals, als Sie sich verliebt haben.

Dies ist ein Beitrag zur Blogparade „Beruflicher Quereinstieg“ von Edda Klepp.

In diesem Blogartikel hat die Autorin ihren eigenen beruflichen Quereinstieg geschildert. In den Kommentaren dort finden Sie noch weitere Beispiele von Menschen, die es gewagt haben.

Haben Sie auch schon mal den Beruf gewechselt oder träumen Sie noch davon?
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