Beruf Fussballer Netzer: "Rebell" zwischen Genie und Wahnsinn. Ein Allrounder pur !

Von Gerd Bewersdorff @derallrounder

Fragen Sie einen deutschen Fussball-Fan nach Günter Netzer, so wird man zahlreiche und vielfältige Antworten bekommen. FIFA Weltmeister, Mittelfeldregisseur oder Legende von Borussia Mönchengladbach sind die üblichen Aussagen, doch auch prämierter TV-Experte oder "Rebell am Ball" gehören zu Netzers Karriere - und Anekdoten wie die seiner Selbst-Einwechslung.

Das waren Zeiten. Der Mittelfeldstratege in "Action". Bild Allrounder

In einem dürften sich alle einig sein: Er war ein Ausnahmefussballer, ein Ballkünstler zwischen Genie und Wahnsinn. "Ich sehe ein, dass ich laufen muss, obwohl ich es nicht gern mache, zumindestens nicht ohne Ball", so Netzer einst selbst über sich.
Seine Geniestreiche als genialer Mittelfeldstratege werden ebenso für immer unvergessen bleiben wie seine messerscharfen Analysen als TV-Experte. Ohne Zweifel ist Günter Netzer eine Ikone des deutschen Fussballs: "Ich traue mich, Dinge anzusprechen, die wirklich schlecht sind. Das ist mein Charakter, mein Naturell - auch als Fussballspieler schon gewesen!"

Welt- und Europameister

Als Spieler holte er im Verein mit Borussia Mönchengladbach die deutsche (1970, 1971) sowie mit Real Madrid (1975, 1976) die spanische Meisterschaft. Auch im Trikot des Deutschen Fussball-Bundes sorgte der Ausnahme-Spielmacher für Furore und feierte 1972 den EM- sowie 1974 im eigenen Land den WM-Titel.
Günter Netzer war in seiner Zeit eine Art Michel Platini oder Zinédine Zidane. Er hat nur 37 Länderspiele bestritten (sechs Tore). Ein Kölner namens Wolfgang Overath stand ihm im Weg. Der spielte mannschaftsdienlicher, und da in der Nationalmannschaft jeder Spieler ein Star war, waren diese nicht bereit, sich Netzer so unterzuordnen wie seine Mitspieler im Verein. Deshalb konnte er im DFB-Trikot selten so glänzen wie in jenem mit dem "B" in der Raute.
Sein bestes Länderspiel bestritt Netzer 1972 beim 3:1-Sieg in England. Es war das EM-Viertelfinale, es war der erste Sieg Deutschlands auf dem "heiligen Rasen", und Netzer verwandelte einen Elfmeter, bei dem der Ball an den Innenpfosten klatschte und von dort ins Tor rollte. Am Ende wurde er Europameister.

Ein Fussballer für die Pop-Welt

An großen Tagen war der "Zehner" mit den langen blonden Haaren zu allem fähig. Unvergessen bleibt auch das Europapokalspiel gegen Inter Mailand im Oktober 1971. Grandios dirigierte er die Gladbacher Borussia zum 7:1-Erfolg. Ein Spiel, was man getrost als "Netzer-Festival" bezeichnen darf. Bitter, dass dieses Duell keine offizielle Anerkennung erhielt, denn Inter-Angreifer Boninsegna wurde angeblich von einer Getränkedose getroffen und die UEFA annullierte das Ergebnis im Nachhinein.
Auf dem Bökelberg, der Heimat der Fohlen, ging stets ein Raunen durchs weite Rund, wenn er sich den Ball für einen Freistoß zurecht legte. Wenn er dirigierte oder mit seinen raumgreifenden Schritten aus der Tiefe des Raumes kam, war das Ästhetik pur.
"Er konnte meisterhaft dem Spiel verschiedene Tempi geben. Er ließ lange Pässe über 40 Meter fegen, spielte direkt, kurz oder lang, mit einem phänomenalen Gefühl für die Entfernung", schwärmte der ehemalige Bundestrainer Helmut Schön von seinem Mittelfeld-Strategen. Doch Schön wusste auch um die andere Seite: "Im Grunde war er der erste Fussballspieler, der in die Pop-Welt passte und dessen Appeal auf auf viele weibliche Fans, auf Show-Leute und Intellektuelle wirkte."


"Jetzt spiele ich"

Netzer war ein "Rebell", ein Querdenker, der sich seiner Qualitäten bewusst war und so auch vielfach auftrat. Er stand für die unbeschreibliche Leichtigkeit des Fussballs, wie sonst kaum einer. Eine der berühmtesten Anekdoten passierte 1973: Als er im deutschen Pokalfinale 1973 gegen den Erzrivalen 1. FC Köln nur auf der Bank saß und es in der Verlängerung 1:1 stand, wechselte er sich selbst ein und erzielte wenige Minuten später den Siegtreffer. "Jetzt spiele ich", soll Netzer zu seinem damaligen Trainer Hennes Weisweiler gesagt haben.
Im Anschluss daran wechselte er zu Real Madrid. Ausklingen ließ der Mann mit der Mann mit der blonden, wehenden Mähne seine Karriere bei Grasshopper Zürich. Auch nach seiner Profi-Karriere blieb Netzer dem Fussball verbunden und das mit Erfolg.
Besonders bei den deutschen Fans genießt Netzer, der ein Faible für schnelle Autos hat, auch dank seiner Tätigkeit als TV-Experte und seinen Sprüchen inzwischen Kultstatus. Nach 13 Jahren bei einem öffentlich-rechtlichen Fernsehsender beendete er allerdings nach der WM-Endrunde 2010 sein Engagement, das ihm unter anderem den Grimme-Preis, eine der renommiertesten Auszeichnungen für Fernsehsendungen in Deutschland, eingebracht hatte.

Nur wenige Spiele zur Unsterblichkeit

Doch nicht auf dem grünen Rasen und im TV-Studio machte Netzer eine gute Figur. 1979 stieg der gelernte Kaufmann beim Hamburger SV als Manager ein und führte das Team zu drei deutschen Meisterschaften sowie einem Sieg im Europapokal der  Landesmeister (1983). Dazu lotste er Star-Trainer wie den Wiener Ernst Happel und den Jugoslawen Branko Zebec sowie U.S.-Heimkehrer Franz Beckenbauer in die Hansestadt. Nach acht Jahren verließ Netzer die Stadt an der Alster, um sich abermals in ein neues Abenteuer zu stürzen. Er gründete eine Sportvermarktungsfirma.
Bis heute scheint sich Jünter, wie er in seiner Gladbacher Heimat liebevoll gerufen wird, scheinbar kaum verändert zu haben. Netzer war bzw. ist Spielmacher, Fussballphilosoph und Geschäftssmann, der sich nie gescheut hat den riskanten Pass zu spielen, den steinigeren Weg zu gehen oder neue Abenteuer zu wagen.
Wo gibt es heute noch solche Sportallrounder? Die vor allen Dingen Intelligenz vom Kopf zum Fuss ins Spiel bringen?
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