Die Serie „Vermischtes" stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.
1) How a Chase Bank Chairman Helped the Deposed Shah of Iran Enter the U.S.
Yet as the jet touched down, the only one waiting to receive the deposed monarch was a senior executive of Chase Manhattan Bank, which had not only lobbied the White House to admit the former shah but had arranged visas for his entourage, searched out private schools and mansions for his family and helped arrange the Gulfstream to deliver him. "The Eagle has landed," Joseph V. Reed Jr., the chief of staff to the bank's chairman, David Rockefeller, declared in a celebratory meeting at the bank the next morning. Less than two weeks later, on Nov. 4, 1979, vowing revenge for the admission of the shah to the United States, revolutionary Iranian students seized the American Embassy in Tehran and then held more than 50 Americans - and Washington - hostage for 444 days. [...] The hostage crisis doomed Mr. Carter's presidency. And the team around Mr. Rockefeller, a lifelong Republican with a dim view of Mr. Carter's dovish foreign policy, collaborated closely with the Reagan campaign in its efforts to pre-empt and discourage what it derisively labeled an "October surprise" - a pre-election release of the American hostages, the papers show. The Chase team helped the Reagan campaign gather and spread rumors about possible payoffs to win the release, a propaganda effort that Carter administration officials have said impeded talks to free the captives. [...] Mr. Rockefeller then personally lobbied the incoming administration to ensure that its Iran policies protected the bank's financial interests. [...] The hostages were released on Inauguration Day, Jan. 20, 1981, and a few days later Mr. Carter's departing White House counsel called Mr. Rockefeller to inquire about how the release deal affected Chase bank. "Worked out very well," Mr. Rockefeller told him, according to his records. "Far better than we had feared." (David D. Kirkpatrick, New York Times)
Die Recherche Kirkpatricks allein macht den kompletten, langen Artikel lesenswert. Welche Rolle die Bank im gesamten Iran-Drama spielte, ist bemerkenswert. Was ich für besonders auffällig halte, ist wie unglaublich schmutzig und skandalüberladen die republikanische Außenpolitik jener Tage war. Man vergisst über die posthum darüber gestreute Nostalgie und Propaganda gerne, wie umstritten Reagans Präsidentschaft zu ihrer Zeit war, und dass ihm wegen der Iran-Contra-Affäre (völlig zu Recht) ein Impeachment drohte!
Was die historische Forschung mittlerweile herausgearbeitet hat, bleibt leider weitgehend unbemerkt. Aber von der Wahlkampfhilfe der Ayatollahs für Reagan 1980 bis zur Finanzierung von rechtsgerichteten Massenmördern in Lateinamerika war die damalige Außenpolitik, zusätzlich bis zur Unkenntlichkeit verwickelt mit einzelnen mächtigen Wirtschafts- und Finanzinteressen, ein einziger clusterfuck, wie das die Amerikaner nennen. Das Ende des Kalten Krieges und die spätere Glorifizierung Reagans haben darüber ein Tuch geworfen. Letztere übrigens ist ein Projekt der späten 1990er, vor allem vorangetrieben durch den damaligen rechten Flügel der Republicans und seine Helfer wie Grover Norquist, der seither durch mehrere Radikalisierungswellen der Partei selbst wieder abgesetzt wurde. Das Ausmaß an Schmutz und Nebelkerzen, das mit dieser Geschichte einhergeht, ist bemerkenswert.
2) Hillary Clinton Wants a Fox News of the Left. Oh, and She Really Loathes Bernie Sanders.
It's hard to overestimate the influence of Fox News. The radio talkers are one thing. Drudge is one thing. Breitbart is one thing. And they all form a cohesive ecosystem that envelops the conservative movement these days. But without Fox News they have no anchor. Fox is the sun around which they all revolve. The problem, though, is that I suspect there's no market for a Fox of the left. MSNBC is part of the way there, and they don't have a fraction of the influence of Fox. For whatever reason, liberals simply don't want to spend hours each day watching Fox-style propaganda. We prefer our propaganda in the form of humor; movies and TV shows; and subtler news outlets that temper their point of view with lots of actual facts about things. A media empire of the left probably wouldn't be a moneymaker. There are times when I wonder how things would be different if Rupert Murdoch had simply met different people at various times in his life. It's not as if he's been a consistent conservative ideologue, after all. He just wants to make money. But willy nilly, he discovered that he could make money in America with conservative news, so that was that. Conservative it would be. And our country has never been the same. (Kevin Drum, Mother Jones)
Ich habe hier ja auch schon darüber geschrieben, dass es kein Zufall ist, dass so etwas wie rechtes Kabarett (vor allem gutes) praktisch nicht existiert. Die andere Seite der Medaille ist sicherlich, dass es weder linkes talk radio noch ein linkes FOX News gibt. Selbst so etwas wie die NachDenkSeiten bleibt in Reichweite und Zugkraft deutlich hinter seinen rechten Pendants zurück. Das ist kein Zufall. Ich finde auf der anderen Seite Drums beiläufige Einordnung der meisten Hollywood-Produktionen als spiegelbildlich linke Propaganda spannend. Zumindest was das Potenzial, damit Geld zu machen, angeht, hat er sicherlich Recht. Die modernen Hollywood-Blockbuster, die auf Diversität achten und weibliche Hauptfiguren etablierten - hauptsächlich aus dem Hause Disney - haben Milliarden und Abermilliarden Dollar gemacht. Interessante Analogie in jedem Fall.
3) Why Political Science Doesn't Like Term Limits
A huge chunk of American gun culture basically boils down to a way for grown men to play soldier without ever having to actually put themselves in a harm's way. This image encapsulates a strain of modern masculinity that wants all of the "toughness," but none of the risk. https://t.co/CEvlEU36If
- Jarret Ruminski (@TheDevilHistory) January 20, 2020
Ich will hier gar nicht die Werbetrommel dafür rühren, diese man babies in echte Kriegseinsätze zu schicken; abgesehen von der durchaus attraktiven Absurdität, sie mit den Realitäten eines echten Konflikts zu konfrontieren, sind das ja nur Kriegsverbrecher im Wartestand. Für uns Europäer ist die gesamte Ikonographie, mit der sich vor allem die moderne Second-Amendment-Bewegung umgibt und die von NRA und GOP so massiv unterstützt wird, mehr als verstörend. Diese Leute organisieren sich als paramilitärische Verbände, und man kann an solchen Aufmärschen immer wieder erkennen, welche Bereitschaft, ja, welches Verlangen nach politischer Gewalt da teilweise vorherrscht. Um etwas Küchentischpsychologie zu betreiben: Dass die ganzen Waffennarren sich permanent in eine Welt imaginieren, in der die Democrats ihnen jeden Moment ihre Spielzeuge und Phallussymbole wegnehmen könnten, mag mit dazu beitragen, eine Wandlung dieser Leute in Richtung der SA zu verhindern. Man sieht ja gücklicherweise auch, dass Extremisten wie diejenigen, die jüngst im amerikanischen Nordwesten Gebietsbesetzungen vornahmen und schwer bewaffnet der Staatsgewalt trotzen, wenig Nachahmer finden. Aber: rhetorisch stellt sich die Bewegung jedes Mal hinter diese Leute, nur um dann wenn es doch zu Gewalt kommt mit nichts etwas tun zu haben zu wollen. Zuletzt soll auch noch einmal auf den Punkt des Tweets hingewiesen werden: Die Auftritte dieser Typen sind größtenteils Show, ein Feiern toxischer Maskulinität. Letztlich ist es vor allem Ausweis einer ungeheuren Fragilität, in der die eigenen Männlichkeitskonzepte auf die plakativste und plumpste Weise - mit paramilitärischen Drohgebärden - dargestellt werden. Hier findet sich die direkte Parallele zu SA und anderen Konsorten; wie Hans Theweleit bereits in den 1970er Jahren herausgestellt hat, trieben verquere Männlichkeitsideale und deren Herausforderung in einer modernen, progressiven Ära auch unsichere Männer in die Arme der Braunhemden.
Achtung, es folgt der schwachsinnigste Redebeitrag der Woche im Deutschen Bundestag: „Nüchtern betrachtet sind Fahrräder in hohem Maße unpraktisch und gefährlich." pic.twitter.com/Tqs1oGEL4s
- Daniel (@SecretCoAuthor) January 17, 2020
Ich finde es ja manchmal echt erheiternd, welche Urständ die rechten identity politics feiern können (nicht, dass die linken davon immun wären, selbstverständlich). Man muss aber schon echt tief in den Kaninchenbau eingedrungen sein, um aus der Konsequenz, dass Autofahrer regelmäßig Fahrradfahrer umbringen, die Fahrradfahrer der Unverantwortlichkeit zu ziemen. "Was machen die auch auf dem Fahrrad, wo auch Autos unterwegs sind?!elf!!!" Das Niveau, das die AfD in den deutschen Bundestag trägt, ist schon echt erbärmlich.
6) Sorry, But Democrats Have to Compromise and Republicans Don't
The liberal share of the population has steadily increased over the past few decades, but it still tops out at 26 percent. That means Democrats need about two-thirds of independents to create a majority. And that means appealing to the center-or in some places to the center-right. It's the only way to get to 51 percent. Republicans, by contrast, start out with 35 percent. If they manage to appeal to just the conservative portion of independents, they can get to 51 percent. So that's what they do. [...] But how do Republicans get away with being so damn extreme? Shouldn't that scare off the moderates? Maybe it should, but again, life isn't always fair. Conservatives, by definition, want to keep things the same, and being extreme about keeping things the same is just not that scary. Liberals want to change things, and being extreme about change is scary. So Republicans can win even with a nutball right-wing caucus making up a big chunk of their party. Democrats can't. This is a drag. But the fact remains that America has historically progressed in tiny spurts: a few years during the New Deal; a few years in the mid-60s; a few months (literally) after Obama was elected president. There are modest wins and modest losses the rest of the time, but that's all. The American public just can't handle very much liberal progress at a single time, and if you don't like that, you need to figure out how to sell liberalism so well that the chart above turns significantly upward. Give me a call when you figure out how to make that happen. (Kevin Drum, Mother Jones)
Ich fürchte, dass Kevin Drum Recht hat. Die Polarisierung, Radikalisierung und Wählerschichtung in den USA ist extrem asymmetrisch. Ergo kommen die Republicans mit Zeug durch, bei dem die Democrats keine Chance hätten. Das ist grotesk, unfair und für das Land und die Demokratie in höchstem Maße schädlich. Aber was hilft's? Die ständige Frage nach der electability, mit der Sanders und Warren kritisiert werden, ist peripher relevant. Aber an der Peripherie wird die Wahl halt entschieden. Von weit über 60 Millionen Stimmen entschieden 2016 immerhin rund 77.000. Viel peripherer wird es nicht.
Den Europäern hilft, dass Erdogan von ihnen mindestens genauso abhängig ist wie sie von ihm. Der türkische Präsident ist in der Außenpolitik ein Scheinriese. Er droht damit, den Flüchtlingsdeal mit der EU aufzukündigen, obwohl seine Regierung das Geld dringend braucht, um die rund dreieinhalb Millionen syrischen Flüchtlinge in der Türkei zu versorgen. Die EU sollte weitere Zahlungen an Bedingungen knüpfen, etwa daran, dass Ankara keine Flüchtlinge gegen deren Willen nach Syrien zurückschickt. Dort, wo die Europäer tatsächlich verwundbar sind, tragen sie größtenteils selbst die Schuld daran. In Griechenland haben es die nationale Regierung wie die EU über Jahre hinweg versäumt, eine auch nur halbwegs belastbare Infrastruktur für Schutzsuchende aufzubauen, weshalb dort nun bereits ein moderater Anstieg der Flüchtlingszahlen eine humanitäre Krise auslöst. Würde Brüssel ein einheitliches Asylsystem etablieren, Erdogans Drohpotenzial wäre mit einem Schlag geringer. Auch in Libyen füllt die Türkei vor allem jenes Vakuum, das die Europäer hinterlassen haben. Das beste Mittel gegen Autokraten wie Erdogan ist eine eigenständige, souveräne europäische Außenpolitik. (Maximilian Popp, SpiegelOnline)
Der nette Vorschlag hier ignoriert leider Erdogans Drohung. Ja, der Mann ist ein Scheinriese, aber wenn die EU die Hilfsgelder streichen würde, ist Erdogan halt nicht auf die Option beschränkt, sie entweder weiter durchzufüttern oder nach Syrien zurückzuschicken. Er drohte bereits 2016/17 damit, die Flüchtlinge stattdessen quasi "powered by Turkey" direkt nach Westen durchzuschleusen. Dreieinhalb Millionen Flüchtlinge, die plötzlich an die EU-Außengrenzen geschippert werden? Das ist nicht so absurd, wie es sich anhört. Denn Erdogan IST ein angeschlagener Scheinriese, ein Westentaschendiktator, der selbst mit massivem Wahlbetrug, Verstaatlichung der Medien und massiver Gewalt keine Wahlergebnisse in seinem Sinne mehr garantieren kann. Aber in einem solchen Zustand sind solche Typen besonders gefährlich. Was hat er schließlich zu verlieren? Es ist völlig unvorstellbar, dass ein Macho wie Erdogan vor der EU einknickt (einer von einer deutschen Frau geführten EU, zu allem Überfluss!) und wie ein geprügelter Hund in Ankara vors Parlament tritt. Dass es ein regionaler Despot ist, der keine Weltmacht darstellt, war auch für Putin richtig. Obama bezeichnete Russland ja treffend als "Regionalmacht", mit intendiert abwertendem Unterton. Nur lässt sich "Obervolta mit Atomraketen" (Adenauer) halt nicht wie der geprügelte Hund nach Hause schicken; stattdessen nutzte er seine ganze Regionalmacht und machte ein riesiges Fass in der Ukraine auf. Erdogan hat zwar keine Atomraketen, aber Obervolta mit einer Flüchtlingsbombe ist er halt doch. Um den Widerling wird die EU-Außenpolitik nicht herumkommen.
Bernie Sanders is a fragile candidate. He has never fought a race in which he had to face serious personal scrutiny. None of his Democratic rivals is subjecting him to such scrutiny in 2020. Hillary Clinton refrained from scrutinizing Sanders in 2016. It did not happen, either, in his many races in Vermont. A Politico profile in 2015 by Michael Kruse argued that Sanders had benefited from "an unwritten compact between Sanders, his supporters, and local reporters who have steered clear" of writing about Sanders's personal history "rather than risk lectures about the twisted priorities of the press." The Trump campaign will not steer clear. It will hit him with everything it's got. It will depict him as a Communist in the grip of twisted sexual fantasies, a useless career politician who oversaw a culture of sexual harassment in his 2016 campaign. Through 2019, Donald Trump and his proxies hailed Sanders as a true voice of the people, thwarted by the evil machinations of the Hillary Clinton machine. They will not pause for a minute before pivoting in 2020 to attack him as a seething stew of toxic masculinity whose vicious online followers martyred the Democratic Party's first female presidential nominee. "Nobody likes him, nobody wants to work with him, he got nothing done. He was a career politician. It's all just baloney, and I feel so bad that people got sucked into it," Hillary Clinton says in a forthcoming documentary. She stood by those words in an interview with The Hollywood Reporter last week. At the Sundance Film Festival in Utah this past weekend, Clinton told Jeffrey Goldberg, The Atlantic's editor in chief, that Sanders-alone among the Democratic aspirants in 2020-had refused to meet with her. If Sanders wins the Democratic nomination, you will hear Clinton's negative assessment of him repeated so often by pro-Trump talkers that you will almost think Clinton is Trump's running mate. Trump will terrorize the suburban moderates with the threat that Sanders will confiscate their health insurance and stock holdings, if not their homes. Trump accused Democrats of pro-ayatollah sympathies for noticing that his story about the killing of Qassem Soleimani was full of holes. In 1980, Sanders joined a left-wing party whose presidential candidate condemned "anti-Iranian hysteria around the U.S. hostages" being held at the U.S. embassy in Tehran, suggesting that "many of them are simply spies ... or people assigned to protect the spies," as Ronald Radosh reported in The Daily Beast. Imagine what Trump and his team will do with that. (David Frum, The Atlantic)
Ich halte es auch für weitgehend unterschätzt, ähnlich wie 2016, wie wenig angegriffen Bernie bisher ist. Clintons giftiger Ausfall mit " nobody likes him" ist ja quasi der schlimmste persönliche Angriff, den er bislang auf nationaler Ebene erdulden musste. Und wie bereits 2016 ist das Absicht seitens der Republicans. Ihre Rechnung ist offenkundig, dass Sanders gewinnen könnte, und wenn er gewinnt, dann werden sie ihn zerstören wie sie zuletzt McGovern zerstört haben. Nun muss diese Rechnung natürlich nicht aufgehen. Es könnte auch alles so laufen, wie die Bernie-Anhänger es sich vorstellen, und dann würden die Republicans dumm aus der Wäsche schauen. Nur weiß ich eines: Egal, wie dumm Trump ist, egal, was für niedrige Instinkte die GOP-Abgeordneten motivieren, ihre Strategen und Taktiker hinter den Kulissen sind clever. Wenn die in zwei aufeinanderfolgenden Wahlen auf die gleiche Strategie setzen, würde ich zumindest in Erwägung ziehen, dass sie Recht haben könnten.
Wirtschaftliche, geldpolitische, „unternehmerische" Bildung findet praktisch nicht statt.⁰Meine Tochter (15) fragt, was „Geld überweisen" ist. Wo soll das enden?
- Alex (@AlexE1789) January 30, 2020
Ich komme über diesen Tweet nicht hinweg. Da beklagt sich ein gestandener, bürgerlich-konservativer Vater darüber, wie schrecklich seine Kinder in der Schule indoktriniert werden, weil über Klimawandel und Nachhaltigkeit gesprochen wird (die halt in den Bildungsplänen verankert sind), während wirtschaftliche Grundbildung nicht beigebracht wird. Und der Kern dieser Kritik ist natürlich ebenso alt mittlerweile wie grundsätzlich richtig. Deswegen hat Baden-Württemberg das in den letzten 20 Jahren auch in den Bildungsplänen verankert; Wirtschaftsunterricht ist inzwischen Standard. Aber damit kommen wir zum Problem dieses Tweets. Da steht dieser gutbürgerliche Papa und meckert, dass seine Fünfzehnjährige Tochter nicht weiß, was eine Überweisung ist. Und sorry, aber es ist nicht die Aufgabe der Schule, ihr das beizubringen, lieber Papa, sondern die der Eltern. Die Schule bringt auch das Schuhe binden nicht bei, oder wie man staubsaugt, oder wie man ein Mittagessen kocht. Das gehört zum Bereich Lebenstüchtigkeit, und das ist Kernaufgabe der Eltern. Wie kann man einerseits die Schule in Bausch und Bogen verdammen und sich über ihre Nutzlosigkeit auskotzen, und andererseits sämtliche Verantwortung von sich auf diese ach so schlimme Institution übertragen? Das geht doch überhaupt nicht zusammen. Es wäre echt viel geholfen, wenn manche Eltern etwas mehr Verantwortung für sich und ihre Kinder übernehmen würden. Rant Ende.
Bundespräsident Horst Köhler begann 2005 seine Rede vor der Knesset auf Hebräisch, dann sprach er deutsch. Zuvor hatte es darüber Streit gegeben, in dem der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki Köhler beigesprungen war. Es sei blanker Unsinn, wenn in Israel behauptet werde, die deutsche Sprache sei durch die Sprache der Nazis diskreditiert. "Wahr ist vielmehr, dass die deutsche Sprache von den Nazis missbraucht und von Hitler und vielen seiner engsten Mitarbeiter verhunzt wurde." Reich-Ranicki war in doppeltem Sinn ein guter Zeuge - der "Literaturpapst" hatte das Warschauer Getto überlebt. Nun musste sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier entscheiden, welcher Sprache er sich bedient, in der Gedenkstätte Yad Vaschem, am 75. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers in Ausschwitz: Er entschied sich komplett gegen die deutsche Sprache. Er begrüßte die Anwesenden auf Hebräisch und sprach dann englisch weiter. Er habe den verbliebenen Opfern ersparen wollen, die Sprache der Täter hören zu müssen, hieß es zur Begründung. [...]Die Liebe zum eigenen Land aber ist kaum vorstellbar ohne die Liebe zur eigenen Sprache. Und der deutsche Bundespräsident bleibt doch ein Deutscher - egal, in welcher Sprache er gerade spricht. (Stefan Berg, SpiegelOnline)
Ich stimme Berg darin zu, dass die Begründung mit der Sprache der Täter nicht sonderlich überzeugend ist. Aber ich finde es trotzdem sinnig, dass Steinmeier da auf Englisch redet, schlicht aus praktischen Gründen. Die wenigsten Knesset-Abgeordneten werden fließend Deutsch sprechen; Englisch dagegen ist, egal wie man persönlich dazu steht, die lingua franca dieses Planeten. Damit wird man halt verstanden. Steinmeier hätte schlicht seinen Zuhörern die Notwendigkeit von Simultanübersetzern ersparen können wollen. Und gleichzeitig dazu beitragen, dass wir uns alle in der Weltsprache unterhalten können. Aber vielleicht ticke ich da auch nur komisch?
Angesichts des zynischen Versuchs des russischen Präsidenten Wladimir Putin, Polen eine Mitschuld am Zweiten Weltkrieg zuzuschieben, darf es von deutscher Seite keine Zweideutigkeiten geben. Polen war Opfer des deutschen Überfalls und Opfer des Hitler-Stalin-Paktes. Einen großen Teil ihrer Verbrechen begingen die Nazis im besetzten Polen. Millionen ihrer Opfer waren Bürger Polens. Allerdings war es eben auch eine Geste mit Brüchen. Morawiecki forderte eine Art Gesamtgedenken an Holocaust und Gulag, an Verbrechen der Nazis und der Sowjets. Damit hat er jene Einzigartigkeit des Völkermords an den europäischen Juden infrage gestellt, die im Zentrum des deutschen Gedenkens steht und stehen muss. Es ist ein weiteres Zeichen einer Entfremdung, die auch, aber keineswegs nur mit Geschichtspolitik zu tun hat. Für Deutschland ist das Verhältnis zu Polen das komplizierteste, das es zu einem Nachbarland unterhält. Besonders plakativ zeigt sich das im Streit über das von den USA mit Sanktionen belegte deutsch-russische Pipeline-Vorhaben Nord Stream 2. Aus Sicht Polens ist empörend, wie sich Deutschland über Bedenken und Ängste der Mittel- und Osteuropäer hinweggesetzt hat. Die Bundesregierung konnte ihrerseits nicht fassen, dass Polen in Washington darum warb, den EU-Partner Deutschland mit Strafen zu belegen. Deutschland gehört überdies zu den EU-Ländern, die zumindest ursprünglich besonders alarmiert waren wegen der Demontage der unabhängigen Justiz durch Polens national-populistische Regierung. (Daniel Brössler, SZ)
Ich verstehe beide Seiten, sowohl das Unwohlsein der Polen bei der deutschen Außenpolitik als auch das deutsche Unwohlsein bei der polnischen Innenpolitik, das ich sehr emphatisch teile. Polens Absinken weg von der Demokratie hin zum Autoritarismus ist sehr bedenklich. Und dass die Polen jegliche deutsch-russische Annäherung, die sie aus der Beziehung herausschneidet, als inhärent bedrohlich empfinden - umso mehr angesichts der aggressiven russischen Geschichtsklitterei bezüglich des Hitler-Stalin-Pakts - ist ebenso nachvollziehbar. Ich finde es auch nachhaltig problematisch, dass Polen im Umgang mit dem Holocaust stets mit ebenso großer Aggressivität versucht, Polen und Juden gleichzusetzen und sich selbst in das große Holocaust-Narrativ einzubauen. Ein gutes Zeichen ist umgekehrt, auf wie wenig Probleme nicht nur Deutschlands Beteiligung, sondern sogar Deutschlands Führung einer EU-Battlegroup im Land hat. Polen ist letztlich auch tief verunsichert; Trumps Außenpolitik dürfte die Gemüter in einem Land, das sich von Russland (nicht zu Unrecht) deutlich mehr bedroht sieht als Deutschland, nicht eben beruhigen. Die Herausforderung der deutschen Außenpolitik, hier taktvoll aufzutreten, ist daher mehr als einsichtig.