Ausstellungsankündigung
Seit nahezu fünf Jahrzehnten hat das Fotografenpaar Bernd und Hilla Becher weltweit an einer umfassenden Bestandsaufnahme der Industriearchitektur gearbeitet. Sie dokumentierten Fabrikhallen, Gasbehälter, Stromverteiler, Fördertürme, Stahlöfen, die als anonyme Funktionsarchitektur nicht zum Kanon der Kunstgeschichte zählen und durch die urbanistische bzw. wirtschaftliche Entwicklung dem Verfall preisgegeben waren. Diese Gebilde wurden schon bald von der Kunstgeschichte als „anonyme Skulpturen“ (Karl Ruhrberg) erkannt. Auf diese Weise wird die Aufmerksamkeit auf die plastische Schönheit von industriellen Zweckbauten gelenkt, die gewöhnlich von unbekannten Architekten errichtet wurden.
Charakteristisch für den Stil der Fotografen Bernd und Hilla Becher sind die präzise Festlegung der Aufnahmebedingungen und das Bemühen um größtmögliche Sachlichkeit und Objektivität in der Wiedergabe des Bildgegenstands. Gewöhnlich werden die Gebäude frontal, von leicht erhöhtem Standpunkt, zentriert und bei Lichtverhältnissen erfasst, die eine gleichmäßige Durchzeichnung sämtlicher Gebäudeteile erlauben und dramatische Licht-Schatten- Effekte ausschließen. Auf diese Weise wird die von der Umgebung isolierte Physiognomie der Gebäude mit geradezu anatomischer Präzision freigelegt. Dieser dokumentarische Ansatz lebt von dem leidenschaftlichen Interesse am Gegenstand in Kenntnis von historischen Vorläufern wie Karl Blossfeldt, Eugène Atget, Albert Renger-Patzsch oder Walker Evans. Ziel ist die bestmögliche Lesbarkeit und Vergleichbarkeit der baulichen Strukturen. Auf inszenatorische und manipulierende Eingriffe im Bild verzichteten die Künstler Bernd und Hilla Becher weitgehend.
Die vorliegende Bildauswahl von Bergwerken und Eisenhütten konzentriert sich erstmals auf den Typus der Industrielandschaften, bei denen es nicht um die Darstellung einzelner architektonischer Objekte geht, sondern um die Situierung ganzer Anlagen und Werkkomplexe der Schwerindustrie in ihrem urbanen und landschaftlichen Umfeld. Solche „Panoramablicke“ auf die Industrie haben die Bechers von Anfang ihrer Arbeit an immer wieder gemacht, aber zunächst unter Verschluss gehalten. Erst als sie sich mit ihren typologischen Reihungen von freistehenden Gebäuden durchgesetzt hatten, entschlossen sie sich zu einer Ausstellung und Publikation der Industrielandschaften, in denen Produktionsstätte, Siedlung und Natur miteinander verbunden sind.
Ein Großteil der Aufnahmen ist im Ruhrgebiet entstanden. Ergänzt wird die Auswahl durch Fotografien aus dem Siegerland, aus Großbritannien, Frankreich und den USA, so dass sich im vergleichenden Sehen eine Sprache industrieller Architektur entdecken lässt, die sich unabhängig von regionalen und nationalen Grenzen im Lauf eines Jahrhunderts entwickelt hat.
Nachdem die Eisenverhüttung als Industrie das Ruhrgebiet fast gänzlich verlassen hat und auch der Kohlebergbau in Europa vor dem Aus steht, stellt diese Sammlung eindrucksvoller Bilder einen inzwischen schon nostalgischen Rückblick auf eine vergangene Epoche der Industriegeschichte dar. Heute stehen viele der Anlagen zwar unter Denkmalschutz – auch eine Folge der Fotografien von Bernd und Hilla Becher – doch zahlreiche Industrie-Architekturen wurden bereits restlos zerstört und abgerissen. Die ehemals blühenden Industrielandschaften hinterließen Brachflächen, deren Neubewirtschaftung noch aussteht. Umso eindrucksvoller sind die Bildlandschaften der Bechers, die, als stille Monumente, einerseits die Vergangenheit des Ruhrgebiets unvergessen werden lassen und andererseits eine visuelle Argumentation für den notwendigen Strukturwandel einer ganzen Region darstellen.
Die Ausstellung wurde vom Josef-Albers-Museum Quadrat in Bottrop und ihrem Leiter Heinz Liesbrock konzipiert. Zur Ausstellung ist ein Buch mit mehr als 150 Duotone-Tafeln und einem Text von Heinz Liesbrock im Schirmer/Mosel Verlag erschienen.
Quelle: Stadtmuseum München
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Wann und wo
Münchner Stadtmuseum
St.-Jakobs-Platz 1
80331 München
20. Mai bis 11. Septemper 2011