Neue Dokumente belegen, dass die Bundesbehörden über die Schweizer Medikamententests in der DDR bestens im Bild waren. Was sie nicht wussten: Auch die Stasi hatte ihre Finger im Spiel.
Am 17. Oktober 1985 landete eine Karte im Postfach von Jean-Pierre Bertschinger beim Bundesamt für Gesundheitswesen (BAG). «Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie den Morgen des 4. November für den Besuch der zwei Gäste aus der DDR opfern», schrieb darauf Alfred Herzog, der damalige Geschäftsführer des Branchenverbands Interpharma.
Heute liegt die unscheinbare Notiz an den Chef der Sektion Pharmazie des BAG im Bundesarchiv in Bern, angeheftet an drei gelbe A4-Seiten mit dem sperrigen Titel «Besuchsprogramm für den Aufenthalt von Prof. Dr. U. Schneidewind und Dr. J. Petzold». Es war ein wichtiger Besuch für die Basler Pharmaindustrie. Ulrich Schneidewind war stellvertretender Minister für Gesundheitswesen der DDR, Oberpharmazierat Joachim Petzold leitete das «Beratungsbüro für Arzneimittel (Import)», kurz BBA. Sie kamen, um für ein Angebot zu werben, mit dem sich der finanziell marode Arbeiter- und Bauernstaat dringend benötigte Devisen beschaffte: klinische Medikamentenversuche an ostdeutschen Patienten.
Für die DDR waren die Tests eine wichtige Einnahmequelle, für die Schweizer Pharmafirmen eine willkommene Gelegenheit, günstig Medikamente ausprobieren zu lassen (siehe auch «Medikamentenversuche: Wie Schweizer Pharmafirmen DDR-Patienten ausnutzten» aus Beobachter 13/2013). Bis zum Ende der DDR 1990 wurden dort mehr als 30 Medikamente aus der Schweiz getestet – in zahlreichen Fällen vermutlich ohne die Zustimmung der Patienten. Akten aus dem deutschen Bundesarchiv in Berlin belegen, dass es dabei zu mehreren Todesfällen kam. So überlebten vier von 30 Testpatienten die Versuche mit dem Sandoz-Blutdrucksenker Spirapril nicht. Weitere Todesfälle gab es im Zusammenhang mit Antidepressiva.
Besuche zur «Kontaktpflege» seien durchaus üblich gewesen, sagt Joachim Petzold heute: «Wir waren immer von den Unternehmen eingeladen.» Im November 1985 war der Gastgeber der Schweizer Branchenverband Interpharma, und der liess seine Verbindungen spielen. Weiterlesen…
EXKLUSIV: Das Besuchsprogramm
Dieser Artikel ist im BEOBACHTER 4/2014 vom 21. Februar 2014 erschienen.