Berlinale 2013: “A Single Shot”

© Berlinale / Sam Rockwell als John Moore mit Carla (Amy Sloan)

© Berlinale / Sam Rockwell als John Moore mit Carla (Amy Sloan)

Es ist nur ein einziger Schuss der durch die einsamen, vernebelten Wälder irgendeines amerikanischen Kaffs hallt, dann ist Simon tot. Er war über viele Jahrzehnte John Moores bester Kumpel, hat sich aber eine schwere Schuld aufgeladen, die er nicht weiter zu tragen im Stande war. Es ist auch nur ein einziger Schuss der den Gangster Waylon tötet, der ein Mädchen in seiner Gewalt hält. Es ist ein erlösender, präziser Schuss. Ein Schuss tötet dann auch John Moores Hund. Es ist eine erste Warnung, denn Moore hat einen fatalen, wenn auch ungewollten Fehler begangen.

Sam Rockwell spielt diesen John Moore, vollbärtig und mit hinterwäldlerischem Südstaatenakzent, bei dem viele Worte wie verschlucktes Gemurmel klingen. Kaum wiederzuerkennen streift er durch die Wälder, seiner Beute auf der Spur. Ein Reh soll als Nahrung dienen, in seiner Hütte hat er eine ausreichend große Kühltruhe stehen, in der er das Frischfleisch lagern kann. Sein gezielter Schuss geht ins Leere. Denkt er zumindest. Das Reh läuft davon, doch John hört eine Frauenstimme aufstöhnen. Schnell rennt er dem Wimmern entgegen und sieht, was er angerichtet hat. In seinem Beisein stirbt die Frau an der Schussverletzung. Ein einziger Schuss. „A Single Shot“ von Regisseur David M. Rosenthal, der mit diesem auslösenden Moment einen Film beginnt, der sich zu einem spannenden Psychothriller entwickelt. Denn während Moore – man kann es kaltherzig nennen – seine Tat verschleiern möchte, die Leiche des jungen Mädchens auf einem alten Bauplatz verschachert, findet er eine kleine Kiste voll mit Geld, dass ihm aus seiner finanziellen Notlage helfen soll. Die Paarung aus totem Mädchen und gestohlenem Geld zieht für ihn allerdings allerlei Probleme nach sich.

William H. Macy spielt den leicht skurrilen Rechtsanwalt Pitt

William H. Macy spielt den leicht skurrilen Rechtsanwalt Pitt

So zielgenau wie die Schüsse in „A Single Shot“ fallen, so präzise versteht es der Film sich zum Psychothriller aufzuspielen, in dem lange Zeit nicht klar ist, wer sich gegen John gestellt hat. Mit einer Kleinstadt im Nacken, in der sich alle Menschen auf die er trifft durch Worte und Taten verdächtig machen, sowie nächtlichen Einbrüchen in seine Behausung, Drohanrufen und weiteren merkwürdigen Zwischenfällen, entwickelt sich ein großartig inszeniertes Katz- und Mausspiel, immer vor dem Hintergrund der Einsamkeit und Stille, in der diese waldstarke Umwelt getaucht wird. Einen großen Teil zu der atmosphärischen Meisterleistung trägt die Musik des Isländres Atli Örvarsson bei, immer schrill und lauter werdend, wenn es für den Film notwendig wird. Die Töne erinnern eher an einen Horrortrip, bei dem in jeder Sekunde der Motorsägen-schwingende Massenmörder hinter der nächsten Tür hervor springen könnte. Erinnerungen werden wach an das nervenaufreibende Zupfen von Geigensaiten, wie man es in „127 Hours“ zu hören bekam.

Sam Rockwell gibt sich als die personifizierte Einsamkeit, dort in diesen unheimlichen und verlassenen Wäldern lebend. Zwar arbeitet er hartnäckig daran, seine Ex-Frau für sich zurück zu gewinnen, doch diese lebt ein besseres Leben, hat ihn schon verbannt. Das treibt die Verzweiflung dieser Person nur noch mehr in die Enge. Er muss sich selbst das Recht beschaffen, seinen Sohn sehen zu dürfen, entdeckt dabei aber nur die babysittende Arbeitskollegin mit ihrem Freund, beide nackt, ein Porno begleitet das muntere Treiben, während der kleine Sohnemann alleine im Nachbarzimmer schreit. Aber auf diese Welt hat John leider keinen Einfluss mehr, so gern er ihn hätte. Da wird auch der exzentrisch bunt gekleidete Dorfanwalt, ein clowneskes Intermezzo von William H. Macy, nichts dran ändern können. Es ist Sam Rockwell anzumerken, dass er immer genau dann seine schauspielerische Stärke entfaltet, wenn er mit sich allein gelassen wird. In „Moon“ ist er auf einer Raumstation gestrandet, hier nun mit seiner Verzweiflung, seinen Gefühlen. Das Einsamkeitsgefühl hat Herr Rockwell sichtlich perfektioniert.

Seinen größten Moment hat Rockwell dann, wenn er unter Tränen versucht seiner Schuld zu entkommen. Aber am Ende bringt ihn diese Schuld doch noch ins Grab, legt sich wie eine Last auf ihn, so sehr er sich dagegen aufbäumt, kann er sich der Verantwortung nicht mehr entziehen.

 


A Single Shot_Hauptplakat


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