Berlin: Warum die Mieten steigen

Von Andrejholm

Berlin: Fette-Mieten-Party als Protest gegen Gentrification

In den inzwischen populär gewordenen Bezugnahmen zu Gentrification-Theorien wird regelmäßig ein Bild des kulturell induzierten Wandels beschworen: „Erst kommen die Künstler/innen und Alternativen, dann steigen die Mieten…“. In den wissenschaftlichen Debatten hingegen werden politische und ökonomische Faktoren der Stadtentwicklung als zentrale Ursachen von Aufwertungsprozessen ausgemacht. Drei Meldungen aus den letzten Tagen verweisen auf die tatsächliche Relevanz solch einer polit-ökonomischen Perspektive.

  • Die taz beschreibt die Fakten: Neukölln, jetzt 23 Prozent teurer
  • Der Tagesspiegel verweist auf einen Aspekt der verfehlten Wohnungspolitik in Berlin: Trotz Expertenkritik: Wohnraumgesetz angenommen
  • Die Immobilienzeitung berichtet über die Anlagestrategien und Gewinnerwartungen des Immobilienmarktes: Berlin ist attraktiver als Wien

Mietsteigerungen und Verdrängungsprozesse sind – so mein Argument – kein natürlicher Effekt der Stadtentwicklung, sondern unmittelbarer Ausdruck von politischen Entscheidungen und ökonomischen Interessen. Das klingt wie ein Allgemeinplatz („Wussten wir doch alles schon“) formuliert aber einen Anspruch, der in den wohnungspolitischen Debatten nur selten eingelöst wird. Wer nicht nur teuren Mieten in der Innenstadt haben will, wird sich vor allem mit der Stadtpolitik und der Wohnungswirtschaft auseinandersetzen müssen.

Die von mir ausgewählten Beiträge verweisen auf eine Dreieck von Stadtpolitik, Wohnungswirtschaft und steigenden Mieten:

Die Fakten: flächendeckende Mietsteigerungen in der Innenstadt. Die taz berichtet in ihrem Berliner Lokalteil über den drastischen Anstieg von Neuvermietungsmieten seit 2007: Neukölln, jetzt 23 Prozent teurer. Eine Auswertung von Wohnungsangeboten auf dem Online-Immobilienportal ImmoScout24 (hier als pdf) weist für die Wohnungsangebote im Innenstadtbereich zwischen 2007 und 2010 eine Steigerung um durchschnittlich 14 Prozent auf. In einigen Quartieren liegen die Werte deutlich darüber. Die Entwicklungen können als relativ deutlicher Gentrifcation-Indikator verstanden werden, weil sich die lokalen Wohnungsmärkte für ärmere Haushalte zunehmend schließen.

Was hat die Politik mit steigenden Mieten zu tun? Ein aktuelles Beispiel: Der Tagesspiegel berichtet wie fast alle anderen Berliner Zeitungen auch über die Entscheidung des Bauausschusses im Berliner Abgeordentenhaus, mit einem sogenannten „Wohnraumgesetz“ den Sozialen Wohnungsbau in Berlin faktisch abzuschaffen: Trotz Expertenkritik: Wohnraumgesetz angenommen. Im Kern ginge es, so der Tagesspiegel, darum

…dass Eigentümern von Sozialbauten Schulden erlassen werden, wenn sie vorzeitig Kredite der landeseigenen Förderbank zurückzahlen. Im Gegenzug sollen sie Teile der Sozialwohnungen weiterhin zu günstigen Mieten anbieten.

Die Sozialwohnungen mit den ‘weiterhin günstigen Mieten’ beschränken sich im Entwurf des Gesetzes auf maximal 50 Prozent der jetzigen Bestände und ‘günstig’ bezieht sich auf die gerade deutlich angestiegenen Mietspiegelwerte der jeweiligen Baualterklassen. Die Option die Mietpreis- und Belegungsbindungen für momentan noch 160.000 Sozialwohnungen zur gezielten Versorgung von Haushalten mit geringen Einkommen zu nutzen, wird so quasi ohnen Gegenleistung aus der Hand gegeben. Statt dessen wird insbesondere in den attraktiven Innenstadtlagen der Verdrängungsdruck steigen. Schon jetzt sind in ehemaligen Sozialwohnungsanlagen drastische Mieterhöhungen, gezielte Verdrängung der Altmieter/innen und Umwandlungen in Eigentumswohnungen zu beobachten. Gentrification hat hier unmittelbare (wohnungs)politische Ursachen.

Was hat der Immobilienmarkt mit den steigenden Mieten zu tun? Aufschluss darüber gibt die Immobilienzeitung. In einem Bericht werden die aktuellen Anlagestrategien eines österreichischen Immobilienunternehmens (conwert) beschrieben: Berlin ist attraktiver als Wien. Während das Geschäft mit den Wiener Zinshäusern höchstens 3 Prozent Rendite pro Jahr einbringt, verspricht sich Volker Riebel von conwert Immobilien Invest in Berlin Gewinne von bis zu 8 Prozent. Ein klarer Anreiz für den Wechsel des Rennpferdes. In Wien soll fast die Hälfte des Immobilienvermögens verkauft werden um neuen Investitionsspielräume für Berlin zu öffnen.

Genau das ist der Grund, warum sich conwert von einem guten Teil der Zinshäuser in Österreich trennen will und auch schon getrennt hat: Der Verkaufserlös steigerte sich im ersten Quartal 2011 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 44% auf 65,3 Mio. Euro. Zudem ist von Januar bis März ein Verkaufserlös in Höhe 99,3 Mio. Euro erzielt worden, der erst im zweiten Quartal ergebniswirksam wird. In Deutschland hat das Unternehmen dagegen Anfang des Jahres bereits zugeschlagen und 1.700 Wohnungen in Berlin erworben. Sie würden eine Rendite von 7,9% bringen, so Riebel. Zudem geht er davon aus, dass der Leerstand von 9% schnell reduziert werden kann. Immerhin habe man vor allem in nachgefragten Westberliner Bezirken sowie „ein wenig am Prenzlauer Berg“ eingekauft.

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Mietsteigerungen sind also weniger ein Effekt von veränderter Nachfrage der Wohnungssuchenden, sondern vor allem Ergebnis der Gewinnerwartung von Eigentümer/innen und institutionellen Anlegern.