Was wurde im Vorfeld der Tempelhof-Entscheidung nicht alles geschrieben, gesagt und plakatiert: 100% Stillstand, Partikularinteressenvertreter, Neubauverhinderer, Öko-Spießer, Egoisten, Volksverdummer…
Es war viel überhebliche Polemik im Spiel, in den Wochen vor dem Volksentscheid. Peinlich für Senat und seine Neubaufreunde nur, dass die volksverdummmenden egoistischen Ökospießer mehr Stimmen mobilisieren konnten als die Regierung.
Doch das Votum ist alles andere als dumm, sondern zeigt zur rechten Zeit, dass viele Berliner/innen den Versprechungen und Vekündungen des Senates nicht länger vertrauen und sich von der immobilienwirtschaftlichen Milchmädchenrechnung “Neubau löst die Wohnungsfrage” nicht länger einlullen lassen.
Verantwortlich für die Abstimmunsgschlappe sind Wowereit, Müller und Co., denn sie haben die Frage zur Bebauung in Tempelhof in eine Abstimmung über die Wohnungspolitik des rot-schwarzen Senats verwandelt. Fast schien es, als seien die Prognosen für 100% Tempelhof in dem Maße steigen, wie Regierung und Wohnungswirtschaft die wohnungspolitische Bedeutung des Vorhabens betonten.
Wirtschaftslobby entdeckt die Mieterstadt
Einen besonderen Mobilisierungseffekt für 100% Tempelhof hatte sicher die Marketingkampagne “Aktionsbündnis Tempelhof für alle” (an der sich das ‘Who is Who’ des Berliner Establishments von der IHK bis zum Paritätischen Wohlfahrtsverband beteiligten) und die deutliche Positionierung des SPD Landesparteitages.
Mit einer offensive Kampagne für eine Randbebauung haben sich ausgrechnet die Lobbyverbände der Wirtschaft (z.B. die IHK, der Verein Berliner Kaufleute und Industrieller, die Unternehmensvereinigung Berlin-Brandenburg, die Handwerkskammer und der Verein der Bauindustrie) sowie Akteure der Wohnungswirtschaft (z.B. BBU, BFW, degewo und Stadt und Land) für die Zukunft der “Mieterstadt Berlin” stark gemacht. Auf der Webseite der Kampagne heißt es:
Die Mieterstadt Berlin braucht dringend bezahlbaren Wohnraum, gerade auch in der Innenstadt. Berlin boomt und braucht Wohnraum für alle – für die schon lange hier Lebenden und die Hinzukommenden, für unsere Studentinnen und Studenten, unsere Familien, Lebensälteren und Singles. Wir wollen Berlins Wohnungsneubau nicht nur in den Außenbezirken gestalten. Berlin soll überall lebenswert und auch in der Innenstadt bezahlbar bleiben.
Klingt gut, aber so einige mögen sich gefragt haben, was diese geballte Wirtschaftskraft bisher für die bezahlbaren Wohnungen getan hat und warum ausgerechnet die 4.700 Wohnungen auf dem Tempelhofer Feld jetzt helfen sollen.
Viele fanden es offensichtlich merkwürdig, dass ausgerechnet all jene, die ein eigenes ökonomisches Interesse am Neubau haben im Vorfeld der Abstimmung die Melodie der sozialen Wohnungspolitik und der preiswerten Mieten anschlugen.
Doch die Kampagne steht in der Kontinuität der Berliner Immobilien-Verwertungs-Koalition, die hauptsächlich auf Neubau setzt, um sich das gute Geschäft im Betand nicht zu verderben und gleichzeitig neue profitable Investitionsfelder zu erschließen. Frau Kern vom BBU hat schon vor über einem Jahr auf einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung die fehlende Akzeptanz für Neubauprojekte als das größte Hindernis für eine soziale Wohungspolitk bezeichnet.
Die SPD und der Neubaumythos
Auch die Senatsvertreter (vor allem der SPD) wurden nicht müde, überall und jederzeit zu erklären, warum ausgerechnet die 4.700 Wohnungen auf dem Tempelhofer Feld die Wohnungsmisere in Berlin lösen werden. Klaus Wowereit warb noch auf dem SPD-Landesparteitag eine Woche vor der Abstimmung für die Baupläne. Die Delegierten stimmten einstimmig für den Antrag “Chance für Berlin, Raum für uns alle – Das Tempelhofer Feld entwickeln. Jetzt!”.
Chancen für Berlin. Raum für alle. Größer hätte der Kontext des Volksentscheid nicht aufgespannt werden können.
„Wir wollen Wohnen statt Egoismus“, rief Wowereit den Delegierten zu.
Die von der Initiative vorgebrachten Zweifel, dass es möglicherweise nicht bei den 4.700 Wohnungen bleiben könnte, wies er als unlautere Unterstellung zurück und beschimpfte die Initiative für den Volksentscheid. Dem Protokoll des Parteitages zufolge sagte Wowereit:
Volksentscheide seien zur Partizipation der Bürgerinnen und Bürger eingeführt worden, “nicht zur Volksverdummung”.
Auch hier scheinen die Motive deutlich. Gerade weil es kein überzeugendes Konzept für eine soziale Mietenpolitik im Bestand gibt, wird die Flucht in den Neubau forciert. Die Unfähigkeit, 140.000 Sozialwohnungen dauerhaft zu sichern, 280.000 kommunale Wohnungen für eine wirklich soziale Wohnungsversorgung einzusetzen und die fast 500.000 Mieter/innen in den innerstädtischen Aufwertungsgebieten nachhaltig vor Verdrängung zu schützen, ließ sich am besten mit einem Zukunft suggerierenden Neubauplan kaschieren.
(Zum Thema Volksverdummung passt es ganz gut, dass der CDU-Stadtrat Spalleck in Mitte erst nach dem Volksentscheid eine Liste mit innerstädtischen Baugrundstücken für über 16.900 Wohnungen veröffentlichte)
100% soziale Wohnungspolitik
Doch die Berliner/innen sind nicht so doof, wie ihnen oft nachgesagt wird und haben mehrheitlich verstanden, dass die Frage einer sozialen Wohnungsversorgung nicht mit 4.700 Wohnungen auf einer Freifläche entschieden wird.
Das Abstimmungsergebnis ist nicht nur eine Entscheidung über die Zukunft des Tempelhofer Feldes, sondern auch ein deutliches Mißtrauensvotum gegen die halbherzige Wohnungspolitik der vergangenen Jahre. Was es braucht in Berlin ist ein wohnungspolitisches Gesamtkonzept, dass den dauerhaften Erhalt von preiswerten Bestandsmieten, die Schutz der Mieter/innen vor Verdrängung und einen kommunalen oder zumindest gemeinnützigen Wohnungsneubau umfasst.
Mietergruppen und stadtpolitsche Initiativen haben in den vergangenen Monaten und Jahren eine Reihe von sehr konkreten Vorschlägen erarbeitet. Es wäre an der Zeit, mit deren Umsetzung zu beginnen. Die nun aus den Reihen der SPD formulierten Vorschläge für Runde Tische, Stadtforen, Dialoge, um die Regierungsprojekte und Investitionspläne “besser zu vermitteln”, zeigen, dass die Botschaft des Volksentscheides noch nicht wirklich angekommen ist.
Was es braucht ist kein Runder Tisch und kein neuer Dialog, sondern vor allem eine Aktionsplan für eine soziale Wohnungspolitik. Im Bestand und beim Neubau: 100% sozial.