Ich schoss sofort in die richtige Reihe der Wechselzone. Jetzt musste ich nur noch ein paar hundert Meter all die anderen Athleten der späteren Startwellen im Slalom überwinden und schon konnte der Neo ganz aus. Mein Herz pochte bis zum Hals. Das Laufen in dieser Gummihaut ist so anstrengend. Meine Beine fühlten sich an wie Blei. Ich sprang über die Mittelinseln der Parkhäfen, die in meiner Reihe alle paar Meter auftauchten. Irgendwann war ich dann ganz vorn angekommen. Der Fluch dieser einstelligen Startnummer! Viele Räder waren noch da. Also ich bin zumindest nicht die Letzte. Konnte gefühlt eigentlich auch nicht sein. Denn ich dachte schließlich, ich wäre auch im Wasser rasend unterwegs gewesen. Ich strampelte mit den Beinen und spürte die Blicke der Zuschauer auf meinem Rücken. Heidenei. Das Ding musste doch irgendwie ausgehen. Der klebte an mir, als wäre ich schon eine Stunde damit umher gerannt. Haut und Neo waren eins. Während ich so weiter strampelte, konnte ich schon einmal die Startnummer umbinden und das Edge starten. Die schwarze Gummihaut flog dann irgendwann rückwärts an die Seite zu meiner Tasche. Ordnung ist alles. Die Füße spülte ich nicht wie geplant ab. Müssten einigermaßen sauber gewesen sein von der Aktion mit dem Neo. Strümpfe schenkte ich mir auch. Landeten mit einem Wurf nach hinten beim Neo. Schuhe an, Helm und Brille auf. Irgendetwas hatte ich doch sicher vergessen. Diese Mini Wechselzone machte mich verrückt. Ich redete mir aber ein, dass mein Rad, Helm und die Startnummer alles waren, was ich wirklich brauchte. Neben den Schuhen. Ich schaute mehrmals an mir runter, aber müsste alles so stimmen. Ich weiß noch, dass ich kurz zur Nachbarin ‘Vorsicht’ sagte, als ich mein Rad vom Ständer hob und auf dem Weg zur Radstrecke tippelte.
Ich stieg wie immer etwas bedächtig auf mein Rad. Ich muss betonen, dass ich mit diesem roten Renner in diesem Jahr erst ganze zwei Mal unterwegs war. Es ging mit ihm ein Mal zum See schwimmen und den Velothon habe ich ebenfalls mit ihm bestritten. Berlin Triathlon war entsprechend Ausfahrt Nummer drei. Dafür verstanden wir uns aber ziemlich gut auf den neun Runden mit den vier Kurven immer im Karree. So wie auch mit Chris von den Flitzpiepen. Ich hatte ihn kurz vor dem Ausstieg aus der Spree überholt und nun rollten wir zeitgleich los. Als hätten wir uns abgesprochen, wechselten wir brav alle paar Kilometer mit der Führungsarbeit ab. Zogen uns an andere Grüppchen heran. Nach etwa drei Runden konnten wir in einer größeren Gruppe untertauchen.
Als sie uns zu langsam wurde, ging es weiter zur nächsten. Das Windschattenfahren war an diesem Tag auch mehr als angebracht. Die leichte Brise, die beim Laufen kaum zu spüren war, nagte auf dem Rad ganz schön an den Kräften. Für mich heißt es hinter den großen Männern auch nicht etwa ausruhen. Um deren Schnitt mitzufahren, musste ich trotzdem ordentlich treten.
In den Kurven wurde es Runde für Runde härter. Da bremste ich zwar nicht, aber mir fehlte die Kraft, um direkt an den Herren dran zu bleiben. Zum Glück schaffte ich aber den Anschluss immer wieder. Das lag nicht zuletzt auch an den Zuschauern, die an den Ecken die Athleten ordentlich anfeuerten. Ich rauschte da zwar irgendwie mit einem Tunnelblick entlang und konzentrierte mich auf die anderen Fahrer der Gruppe, aber schön war es dennoch. Zwei Mal rief ich Chris zu, dass wir jetzt weiter arbeiten müssten und einmal an einer Gruppe vorbei sollten, um dann auf eine andere aufzuschließen. Zwischendrin motivierte er mich dann dazu, dass wir uns weiter an die Spitze einer schnelleren Gruppe schieben könnten. Was super war, denn so kamen wir ganz locker um die letzten Kurven. Es passte wirklich alles.
Ich war aber absolut im Rennmodus. Ich griff meinen Lenker fast ausschließlich unten. Dachte gar nicht darüber nach, wie kaputt meine Arme eigentlich waren und wie eisig sich dieser nasse Tri Suit in den ersten Runden an meinem Bauch anfühlte. Die Kurven nahm ich deutlich mutiger als in den vergangenen Jahren. Ich bremste nicht, sondern trat fleißig weiter in die Pedale. Ja, auch wenn das für einige vielleicht ein Witz sein mag, für mich ist das ein bedeutender Schritt nach vorn. Der Velothon hatte mir sehr viel Sicherheit gegeben. Ich glaube, ich wäre den Triathlon sonst auch nie so angegangen, wie ich es dieses Mal wagte. So konnte ich nicht nur deutlich schneller sein, als noch vor drei Jahren, sondern sogar noch einiges an Zeit im Vergleich zum Vorjahr gutmachen. Ich vermisste zwar das Liegen auf dem Aerolenker und den anderen Druck auf der Pedale, aber es war ein riesen Spaß, der das alles wieder gut machte. Ich hatte die Kraft, um an einigen Gruppen dran bleiben zu können und musste nie ganz allein fahren.
Trotz Hindernisse – kurz vor der dritten Kurve stand ein Baucontainer – gab es während der Zeit, die ich auf der Strecke verbrachte keine großartigen Vorkommnisse. Die Handzeichen waren von den meisten mehr als deutlich. Nur hin und wieder schummelten sich einige Herren von den Seiten in die Gruppen. Von Runde zu Runde wurde es voller. Abbremsen musste ich aber dennoch nur zwei Mal richtig hart. In diesem Momenten hoffte ich sehr, dass mir niemand hinten reinfährt. Kurz vor der Kurve nach der jede neue Runde beginnt, blieb jemand nicht auf seiner Spur neben mir sondern schnitt mich. Auf der Geraden auf der anderen Seite des Blocks standen Hütchen und weil sich da jemand direkt vor dem Hütchen vor mir einsortieren musste, ohne zu warnen musste ich nicht nur dem Hütchen ausweichen, sondern auch ihm und entsprechend hart bremsen.
Ich hätte vielleicht noch aggressiver fahren können. Aber zwei Hindernisse standen mir dabei ganz klar im Weg. Meine Angst, zu viel von den Beinen zu verlangen, deshalb nicht mehr gut über die Laufstrecke zu kommen und Krämpfe zu riskieren. Das vergangene Jahr hängt mir immer noch in den Knochen. Vielleicht ja mehr im Kopf. Aber Lehrgeld gezahlt und noch nicht ganz damit abgeschlossen. Indizien gab es einige. Rückblickend waren es aber vielleicht einfach nur Indizien. Dennoch glaube ich, dass ich mich gut verhalten habe. Ich nahm das erste Gel nach 15km. Hatte bis dahin auch die Hälfte meiner Flasche Tee ausgetrunken. Das zweite Gel folgte nach 35km Kilometern zusammen mit dem letzten Schluck Tee. Ich war auf Kurs und fühlte mich auch recht gut damit. Meine Oberschenkel zuckten hier und da, aber das sollte mit dem Laufen sicher noch einigermaßen klappen. So die erste Annahme. Kopfzerbrechen bereitete mir allerdings, dass ich mein kleines Tütchen Pillen nicht in meinem Radtäschchen sondern in meiner Sporttasche hatte. Mein TriSuit war bereits gesalzen und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass jetzt so eine sorgfältig verpackte Salztablette nötig wäre. Es waren noch knapp eineinhalb Runden zu fahren. Ich versuchte die Beine zu entspannen und mich schon einmal mental auf das Laufen einzustellen. Ich trat ganz locker, öffnete schon einmal meine Schuhe etwas. Ich fragte zur Sicherheit noch einmal Chris, ob wir denn nun endlich fertig seien. Denn auch wenn das Rennen super war, freute ich mich natürlich auf das Laufen. Nach dem entsprechenden Handzeichen ließ ich mein Rad auf der linken Straßenseite ausrollen.
Absteigen. Vor der gelben Linie, die wirklich nicht zu übersehen war. Schnell in die Wechselzone zu meinem Platz rennen. Dabei irgendwie geschickt den Forerunner drücken, ohne das Rad fallen zu lassen oder selbst hinzufallen. Fahrrad aufhängen und los. Stress. All der Kram. Als erstes Schuhe wechseln. Gel greifen. Helm vom Kopf. Wieder diese Blicke der Zuschauer auf dem Rücken. Salztabletten. Ja, wo denn nur. Kurze Wende zur Sporttasche. Alles versifft vom Neoprenanzug. Zum Glück war die Tüte der Tabletten dicht. Ich griff zwei. Beide Rückseiten der Oberschenkel waberten vor sich hin. Bloß nicht falsch loslaufen. Tabletten jetzt? Ach quatsch. Es gab ja direkt nach dem Start eine Wasserstation. Da muss ich nicht jetzt noch meine Flasche greifen, trinken, wegstellen und und und. Also Visor gegriffen, aufgesetzt und los. Locker. Immer aus der Hüfte. Wenn Krämpfe nahen, bloß nicht zu viel Kraft aufwenden. Während ich in meinen Körper horchte, also ganz tief, zog ich die Startnummer nach vorn. War das jetzt das gleiche Gefühl, wie ein Jahr zuvor? Oder doch anders? Ich rannte um Helfer herum und die Wechselzone hinab zur Spree, wo der Kasten für die Zeitmessung stand. Wenn ich meine gestoppten Wechselzeiten abziehe, bei denen die meiste Zeit für das Überwinden der Wechselzone benötigt wurde, komme ich auf einen knappen 37er Schnitt. Die Zuschauer jubelten. Keiner vor mir. Niemand hinter mir. Ich hielt nach 1:06:40 meinen Arm an dieses blaue Ding. Das waren dann also vier Minuten weniger als im Vorjahr, als ich mich topfit fühlte und weitere 10 Minuten schneller als vor drei Jahren. Aber ich höre: nichts! Kein Piepsen. Also nicht so, wie nach dem Schwimmen. Mache zwei Schritte zurück und will noch einmal den Arm hinhalten. Die Zuschauer brüllten mich an mit ‘Weiter’. Die Helferin wiederholte das noch einmal. Ja, doch. Ich laufe ja schon. In die richige Richtung.
Eine Hand hielt das Gel fest. Die andere locker die zwei Tabletten. Die wanderten direkt in den Mund. Ich griff an der ersten Station ein Wasser und überlegte kurz, wie ich das jetzt noch einmal geschickt in den Mund bekomme. Also möglichst viel davon. Nicht auf die Brille. Nicht ins Gesicht. Nicht auf den Anzug oder den Boden. Einfach in den Mund. Aber da schwappt alles schon vorn und hinten über. Ich drücke den Becher zusammen und manövriere halbwegs elegant den letzten Schluck dahin, wo er hingehört. Die Tabletten sind erst einmal weg und ich froh. Alles Wichtige war erledigt. Klar, dass mir da schon bekannte Gesichter entgegen kamen. Ok, die würde ich nicht mehr aufholen. Aber das sollte mich nicht abhalten, zumindest ein paar andere einzusammeln. Ich schaute auf die Uhr und war mir recht sicher, dass es für eine neue Bestzeit reichen würde. Aber wieder eine Notiz an mich: Nächstes Mal schreibe ich mir ALLE Zeiten auf den Arm oder lerne sie eine Woche vorher auswendig. Die 55 Sekunden zur neuen Laufbestzeit bei einer olympischen Distanz hätte ich mir schon noch irgendwie aus den Rippen leiern können. Aber echt jetzt! Klar war das Laufen ebenfalls sehr anstrengend. Natürlich. Ich hatte sogar so etwas wie Seitenstechen. Passiert äußerst selten und meist gar nicht beim Triathlon. Mein Herz pochte, als wollte es aus den Ohren hinaus. Vielleicht sind 55 Sekunden doch nicht so einfach aufzuholen. Vermutlich wäre es auch etwas mehr gewesen, denn man möchte wenn schon denn schon sicher gehen, dass es hinhaut mit der Bestzeit. Aber vielleicht wären die Sekunden ja schon drin gewesen. Man hätte es zumindest probieren können. Wenn man nur davon gewusst hätte. Also ich. Auf jeden Fall rauschte die Strecke irgendwie an mir vorbei. Die 10km waren gefühlt schnell abgelaufen, obwohl die Zeit nicht gerade eine Höchstleistung war. Nach dem intensiven Radabschnitt war aber einfach nicht viel mehr möglich. Die Sekunden wurmen mich dennoch. Ich ruhte mich beim Laufen keinesfalls auf meiner Radleistung aus. Dennoch hätte ich hier und da noch einen Zahn zulegen können. Ok, ich habe bei keiner Getränkestation gestoppt. Riss immer die Becher an mich und was es an Wasser bis in den Mund schaffte, reichte auch aus, um mich bis zur nächsten Verpflegungsstation zu bringen. So ein drei Punkte Wurf zwischendrin musste einfach sein und sorgte für ein Grinsen, das eine ganze Weile anhielt.
Nach der ersten Runde nahm ich ein Gel. Da waren die Sieger bereits im Ziel. Etwas verwirrend waren irgendwie die Wegweiser für die zweite Runde. Als ich die erste beenden wollte, kam ich zu einer Weggabelung. Welche Seite ich nun nutzen sollte, um die zweite Runde anzugehen, war im kurzen Gewühl nicht leicht auszumachen. Nach etwas Geiere fand ich dann meine Richtung. Hechtete nach einem Becher Wasser, um das Gel herunter zu spülen. Es erfüllte seinen Job und ich lief einfach ziemlich ausgeglichen weiter. Ich konnte – vielleicht wollte ich auch nicht richtig kraftvoll laufen. Ich versuchte nicht nachzulassen und mich darauf zu konzentrieren, immer schön locker zu bleiben. Das funktionierte ziemlich gut auf der langgezogenen Puschkinallee, wo sich die Läufer wie Perlen an einer Kette in beide Richtungen aneinander reihten.
Am Ende, kurz vor der Elsenbrücke ging es quer durch den Park, einige Stufen folgen, bevor wir an der Spree entlang unter der Brücke hindurch zum Wendepunkt kamen. Da wurde es immer etwas zäh. Es wurde zwar auch langsam deutlich wärmer, aber das gefiel mir. Hin und wieder konnte ich in der Masse an Läufer Bekannte ausmachen. Leider waren die meisten schneller. Das motivierte aber auch auf den letzten Kilometern. Ich wartete immer wieder auf die Kilometeranzeigen. Mit einem Mal wurde es immer anstrengender. Also erhöhte ich die Schrittfrequenz und versuchte zu anderen aufzuschließen. Die Helfer waren dabei eine große Hilfe. So wie die meisten Helfer auf der Strecke applaudierten, sich die Gesichter merkten und einem freudestrahlend mitteilten, dass man ja schon auf der zweiten Runde wäre, schickten mich die letzten Helfer auf die Zielgerade. Da freute ich mich schon über meine Bestzeit und dass alles so gut geklappt hatte!
Nach 2 Stunden 26 Minuten und 3 Sekunden piepte der letzte blaue Zeitmesskasten neben mir laut und deutlich. Geschafft. Geschafft. Geschafft. So läuft das, wenn’s läuft! Wie auch bei den vergangenen Starts hieß das Platz 2 in meiner AK Wertung und Platz 11 bei den Damen. Fun Fact: Wäre ich diese Zeit vor zwei Jahren gelaufen, hätte ich in der Gesamtwertung Platz 2 erreicht. Jetzt (drei Jahre später) muss man dafür noch eine halbe Stunde schneller sein. Unglaublich was die Damen da für ein Tempo vorgelegt haben. Glückwunsch natürlich an sie und alle, die gesund ins Ziel gekommen sind. Meine persönliche Heldin des Tages ist eine Athletin aus Finnland. Sie sah ich in der zweiten Runde am Straßenrand sitzen. Zunächst sah es nach einer größeren Verletzung aus, die auch versorgt werden musste. Allerdings waren es nur Schürfwunden und sie brachte das Rennen tatsächlich zu Ende. Ich staunte nicht schlecht, als ich sie auf der Laufstrecke und später im Ziel traf. Wie ich von ihr erfuhr, war noch einmal alles einigermaßen gut ausgegangen und sie konnte sich mit den Verbänden an den Armen und Beine einigermaßen bewegen. Also musste sie finishen. Schließlich war sie für den Triathlon extra nach Berlin gekommen.
Im Ziel genoss ich die Zeit der Zufriedenheit. Jubelte anderen Athleten zu und wartete auf einige, die ihren ersten Triathlon absolvierten. Wieder einmal ein wunderbarer Tag mit unglaublich vielen schönen Momenten, den ich erleben konnten.