Das Erfolgsmärchen geht weiter: Während klassische Soaps wie Herzflimmern und Anna und die Liebe wegen rückläufiger Quoten ins Spartenprogramm (auf ZDFneo und Sixx) verdrängt werden, verzeichnet die Pseudo-Doku Berlin – Tag & Nacht von RTL2 einen Rekord nach dem anderen. Seit dem Wochenende ist sie das erfolgreichste TV-Format bei Facebook. Mit mehr als einer Million Fans hat die Serie sogar den RTL-Dauerbrenner Gute Zeiten, schlechte Zeiten (GZSZ) überholt.
Hatte Berlin – Tag Nacht zum Start im September 2011 noch Probleme und blieb bei den Zuschauerzahlen unter dem Senderschnitt, mauserte es sich innerhalb kürzester zu einem Überraschungserfolg. Bis zu 1,3 Millionen Menschen sitzen täglich vor dem Fernseher, um das Neueste aus der RTL2-WG zu erfahren. Zum Vergleich: GZSZ schalten am Vorabend rund vier Millionen Zuschauer ein.
Dafür kostet die bekannte Soap, die es bereits seit 1992 gibt, in der Produktion deutlich mehr als ihr RTL2-Pendant. Warum ist Letzteres dennoch so erfolgreich? Und das, obwohl die Presse nicht gerade viel Lob für die Vorabendserie übrig hat: Von «debilen Debatten» schrieb Spiegel Online zum Start. Die BZ sah gar die «Invasion der Prolls» über uns hereinbrechen. Nur Welt Online fand etwas versöhnlichere Worte: «Unterhaltsamer als eine Waschmaschine im Schongang ist das schon.» Was also macht den Erfolg aus?
Die Charaktere bei Berlin – Tag & Nacht werden von Laiendarstellern verkörpert, die bereits in ähnlichen Formaten TV-Erfahrungen gesammelt haben oder sich erstmals schauspielerisch ausprobieren. Entsprechend unperfekt wirken ihre Konversationen am WG-Frühstückstisch und ihre Statements in die Kamera. Doch genau das sollen sie sein. Vor der Wackelkamera wird geflucht, um Worte gerungen und auch mal Schwachsinn geredet, um möglichst authentisch zu wirken. Laut Senderangaben steht nur fest, was passiert, nicht aber was genau gesagt wird. Hier sei Improvisation gefragt.
So verschwimmen auch die Grenzen zwischen der Figur und der Person, die sie spielt. Dabei ist es unwichtig, wie die Darsteller in Wirklichkeit heißen und dass sie gar nicht zusammenleben. Jeder füllt seine Rolle aus, ob es nun die des WG-Papas Joe, des Partyhengstes Ole oder der Intrigantin Jessie ist. Wie viel der Laien tatsächlich in ihnen steckt, bleibt unklar – was wiederum einen gewissen Reiz ausmacht. Die Castingverantwortlichen haben jedenfalls ganze Arbeit geleistet und Klischees mit Gesichtern versehen.
Die Themen der Serie sind aus dem Leben gegriffen, genauer gesagt aus dem Leben der WG-Bewohner. Mit Streitereien um den Putzplan und eventuelle Neuzugänge im Gemeinschaftsloft dürfte sich der eine oder andere Zuschauer zwar mehr identifizieren können als mit kurzfristigen Knastaufenthalten oder vorgetäuschten Schwangerschaften. Dennoch werden die Ereignisse kohärent auserzählt und in den Kontext des Berliner Großstadtlebens eingebettet. Weil da titelgetreu Tag und Nacht gezeigt wird – natürlich auf 50 Minuten Sendezeit komprimiert – hat man das Gefühl, einem der WG-ler in der Hauptstadt jederzeit über den Weg laufen zu können.
Die Vernetzung auf Facebook macht sich das zunutze und lädt die Zuschauer nicht nur dazu ein, Fan zu werden. Sie animiert diese auch, in Interaktion mit den Figuren zu treten, deren neueste Streitereien, Liebeleien und Spinnereiren zu bewerten und zu diskutieren. Denn die WG nutzt das Serienprofil, um dort aktuelle Kommentare, Bilder und Videos zu posten, bereits Gesendetes zu resümieren oder auf noch nicht Gesendetes vorzubereiten. Selbstredend steht dahinter zu großen Teilen die RTL2-Onlineredaktion – doch die macht ihren Job zugegebenermaßen sehr gut.
Der Anschein, dass die Darsteller die Facebook-Seite höchstpersönlich mit News füttern, wird jedenfalls sehr geschickt geweckt. Das liegt daran, dass das soziale Netzwerk in die TV-Handlung eingebunden wird. Die Verquickung beschränkt sich nicht auf einen optischen Hinweis während jeder Folge. Darin werden die Bewohner zudem beim Surfen im sozialen Netzwerk gezeigt, filmen sich selbst mit der Handykamera und kündigen an, den Clip später ins Netz zu stellen.
Eine gelungene Illusion, die die Zuschauer dauerhaft für das Format interessiert. Mehr als 215.000 von ihnen unterhalten sich auf der Facebook-Präsenz von Berlin – Tag & Nacht über die Pseudo-Doku und mit ihren Figuren. Bei GZSZ sind es gerade einmal knapp 15.000. Die Fans wissen es eben zu schätzen, wenn man nicht nur hinter die Kulissen blicken kann, sondern mittendrin ist. Auch wenn sich über die Künstlichkeit dieser Kulissen trefflich streiten ließe.
Fans können Berlin – Tag & Nacht hier kostenlos online schauen.
Berlin – Tag & Nacht, werktags, 19 Uhr, RTL2
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RTL2-WG feiert Rekord – «Berlin – Tag & Nacht» ist Facebook-Millionär
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