Die Kastanienallee 86 soll für 1,3 Mio. Euro verkauft werden (Bild: pimp)
Die unsanierte Fassade mit den Transparenten und Polit-Installationen („Kapitalismus normiert – zerstört – tötet“) wirkt in der pastellfarbenen Umgebung von Prenzlauer Berg schon jetzt wie eine letzte Reminiszenz des Aufbruchs der Hausbesetzungen Anfang der 1990er Jahre. Kurz nach der Wende besetzt, bietet die Kastanienallee 86 bis heute für etwa 40 Bewohner/innen einen Freiraum und ein Dach über den Kopf. Wohngemeinschaften, Veranstaltungsräume und das stadtbekannte Tuntenhaus würde es ohne die durch die Hausbesetzung erlangten Mietkonditionen nicht geben.
Doch der Kapitalismus – hier in Gestakt des Immobilienmarktes – macht auch um ein politisches Hausprojekt keinen Bogen. Die bisherigen Eigentümer sind mit ihren Sanierungsplänen gescheitert und wollen das Haus nun wieder verkaufen.
Über die Allgemeine Immobilien-Börse (Sitz: Hubertusalle 45, 14193 Berlin-Grunewald) wird das Haus in der Kastanienallee für 1,3 Mio. Euro zum Kauf angeboten. Das entspricht einem Quadratmeterpreis von fast 950 Euro/qm – für ein weitgehend unsaniertes Haus ein stolzer Preis.
Die momentanen Jahreseinnahmen (Netto-Kalt-Mieten) werden mit 51.800 Euro angegeben – das entspricht einer durchschnittlichen monatlichen Kaltmietbelastung von 3,11 Euro/qm. In Aussicht gestellt werden den potentiellen Käufer/innen Jahreseinnahmen von 170.000 Euro. Das würde einer monatlichen Kaltmiete von über 8 Euro/qm entsprechen. Schlecht für die jetzigen Bewohner/innen – gut für die künftigen Eigentümer/innen: Die Soll-Rendite wird mit 13,1 Prozent angegeben. Ein rundum lohnendes Angebot, dem eigentlich nur noch die jetzigen Bewohner/innen im Wege stehen.
Mit dem Kaufangebot geht die jahrelange Auseinandersetzung der Bewohner/innen mit wechselnden Hausbesitzern in eine neue Runde. Hatte zunächst 1999 eine Düsseldorfer Steuerberater, der die Rückübertragungsansprüche erworben hatten, das Haus übernommen, versuchten seit 2004 die Herren Brauner, Witte und Schlothauer mit einer eigens gegründeten Kastanienallee 86 GbR ihr Glück. Der eigenwillige Plan, die preiswerten Mieten in den Wohnungen durch einen hochpreisigen Dachgeschossausbau zu finanzieren, erwies sich als nicht praktikabel. Zumal die Bewohner/innen auch wenig Interesse hatten, auf ihre Gemeinschaftsbäder im den Dachräumen zu verzichten.
Schlothauer und Co. scheinen nun einzusehen, dass die Kastanienallee mit ihren Bewohner/innen unter die Kategorie Risikokapital zu zählen ist und wollen das Haus wieder loswerden. Die aufgerufene Summe (1,3 Mio Euro) wird den Druck auf das Hausprojekt erhöhen – aber eben auch das Risiko der nächsten Eigentümer/innen steigern. Im Exposé ist von den Bewohner/innen keine Rede, dafür werden die für das Immobiliengeschäft zentralen Koordinaten in großen Lettern angepriesen:
Gelegenheit in Prenzlauer Berg! Sanierungsobjekt im Baudenkmalbereich. Abschreibungsobjekt im Sanierungsgebiet
Technische und bauliche Daten zum Haus fallen schon fast in den Bereich des Kleingedruckten:
Es handelt sich um ein fünfgeschossiges Wohn- und Geschäftshaus, bestehend aus einem Vorderhaus, einem Seitenflügel sowie einem Gartenhaus. Das Objekt verfügt über 25 Wohn- und 1 Gewerbeeinheit. Das Haus bedarf einer umfassenden Sanierung. Es besteht die Möglichkeit, das Dachgeschoss auszubauen. Eine Abgeschlossenheitsbescheinigung liegt vor.
Renitente, selbstbewusste und gemeinsam auftretende Bewohner/innen werden in so einer Verkaufswerbung nicht erwähnt. Aber diese Auslassungen im Exposé können durch die unmittelbaren Eindrücke bei etwaigen Besichtigungsterminen sicher schnell und nachhaltig kompensiert werden. Wie heisst es in der Verkaufsanzeige so schön:
Wir freuen uns, wenn dieses Objekt Ihr Interesse findet und stehen Ihnen gerne für eine Besichtigung zur Verfügung!