Bild von “Free Schwabylon” (denen es auf ironische Weise gelingt, den Unsinn der Schwaben-Debatte bloßzustellen)
Berlin diskutiert mal wieder seinen Schwabenhass. Auslöser diesmal: keine ironischen Plakate gegen die westdeutsche Dominanz in Prenzlauer Berg, keine Buchveröffentlichung zu Müttern in Prenzlauer Berg und kein Thierse-Interview, sondern hässliche Parolen an den Wänden.
Statt über die fatale Geschichtsvergessenheit zu debattieren, die in einer unweit der Synagoge in der Rykestraße gesprühten Parole “Kauft nicht beim Schwab’n” deutlich wird, geht es mal wieder um die Gentrification-Kritik und ihre angeblichen Sündenböcke.
Die Kommentare zu einem Interview in der taz (“Schwabenhass ist ein Phantom”) offenbaren das ganze Elend der Debatte. Unbelegt steht hinter vielen Wortmeldungen die Formel ”Gentrification-Kritik = Schwabenhass = Fremdenfeindlichkeit”. Das Argument einmal geschluckt, verbietet sich dann natürlich jede Kritik an Mietsteigerungen und Verdrängung. So jedenfalls lesen sich eine Reihe der Kommentare. Selbst meine Forderung, sich mit Mietfragen statt mit Schwaben zu beschäftigen, wird in einen Beleg des angeblichen Ressentiments umgedeutet.
Mir ist nicht ganz klar, worauf diese Debatten abzielen. Sollen jetzt alle eine schlechtes Gewissen bekommen, die sich über die letzte Mieterhöhung geärgert haben, oder gegen die Modernisierungsankündigung oder Umwandlung in ihren Häusern protestieren?
So ärgerlich, hässlich und dumm Parolen gegen Schwaben, Witze über Ostfriesen oder Klischees über Ossis und Wessis* auch sein mögen – ich verstehe immer noch nicht, warum sich ausgerechnet die stadt- und mietenpolitischen Initiativen damit herumschlagen sollen.
Der Schwabenzirkel – oder wie sich eine Diskussion im Kreise dreht
In den Kommentaren zu meinem Interview in der taz (“Schwabenhass ist ein Phantom”) gibt es gleich mehrere Beiträge, die fest davon ausgehen, dass Parolen wie “Tötet Schwaben”, “Schwabe verpiss dich” oder eben auch “Kauft nicht beim Schwab’n” Teil eines “Antigentrifizierungs-Bewusstseins” (Bajramaj) wären. An anderer Stelle wird behauptet “Schwabenhass ist die Gentrifizierungskritik der dummen Kerls” (Thomas_More) und ”das Phänomen des ‘Schwabenhasses’ ist deshalb interessant, weil eine hier fast lupenrein sehen kann, wie soziale Konflikte ethnisiert werden” (O.F.). Das ist erstaunlich, denn weder die anonymen Parolen noch die gentrifizierungskritischen Gruppen in der Stadt haben einen solchen Zusammenhang (Schwaben = Gentrification = soziale Frage) behauptet. Trotzdem – und deshalb spreche ich auch von einer Phantom-Debatte – werden die schwabenfeindliche Plakate, Parolen und Grafittis zur Projektionsfläche für die Kritik an der Gentrification-Kritik.
Erstaunlicher Weise sind es fast immer diejenigen, die eigentlich ganz gut erklären könnten, warum “Schwaben” und “Gentrification” zwei sehr unterschiedliche Paar Schuhe sind, die einen solchen Zusammenhang immer wieder behaupten, um sich dann umso vehementer davon abzugrenzen und ihn mir und anderen um die Ohren zu hauen.
Als Beleg für einen Zusammenhang “Schwabenhass” und Gentrification-Kritik wird in der Regel auf die angeblich weit verbreiteten Parolen und aufgeschnappte Kneipengespräche in Neukölln verwiesen. Mag sein, dass es das gibt. Ich bin nur noch selten in Prenzlauer Berg und noch seltener in Neuköllner Kneipen – und kann das nicht wirklich gut einschätzen. Ich frage mich aber, was die Gentrificationkritik damit zu tun haben soll und warum ich “meine Hände nicht in Unschuld waschen” (Thomas_More) könne?
Ich mag mich mit Neuköllner Kneipengesprächen und den Fassaden um den Kollwitzplatz nicht so gut auskennen – was ich ganz gut einschätzen kann, sind jedoch die unzähligen Stadtteilinitiativen, Mietergruppen und wohnungspolitischen Protestmobilisierungen in der Stadt. In keiner dieser Gruppen – die ich mal pauschal als den Kern der Berliner Gentrification-Kritik umschreiben würde – wird über Schwaben diskutiert, die allermeisten fordern ihr Recht auf Stadt ein, wollen die nächste Mieterhöhung verhindern, kritisieren die Regierung oder wollen die kapitalistische Organisation der Wohnungsversorgung überwinden. Sind die jetzt für den “Schwabenhass” verantwortlich? Werden mit Forderungen nach mehr Mieterrechten, gegen die Privatisierung von Wohnungen oder für eine soziale Wohnungspolitik gegen Schwaben gerichtet Ressentiments geweckt oder gerechtfertigt? Ich verstehe es nicht.
Noch skurriler wird es, wenn aus meiner Forderung, doch lieber über Mietenpolitik zu diskutieren (statt über die angebliche Rolle der Schwaben im Gentrification-Prozess), der Vorwurf abgeleitet wird, ich würde ”nichts anderes als linke Überfremdungsängste artikulieren” (BaldBerliner). Hää? Wer über Mieten reden will schürt “linke Überfremdungsängste”?
Ausgerechnet jene also, die die städtischen Veränderungen als soziale, ökonomische und politische Frage thematisieren, werden in den Kommentaren in die Nähe von Rassisten und Nazis gestellt (siehe taz-Kommentare von fariz, andreas, unbequemer, verlusterfahrung etc.).
Ich könnte es mir einfach machen und den Wortmeldungen die Intention unterstellen, den städtischen sozialen Bewegungen durch Diffamierung schaden zu wollen. Ich könnte wohlwollender auf die Thematisierung von Ausgrenzung und Diskriminierung schauen und mir würde trotzdem nicht viel mehr dazu einfallen, als immer wieder zu sagen, dass die Gentrification nichts mit den Schwaben zu tun hat… Aber genau da sind wir wieder am Ausgangspunkt angelangt und drehen uns im Kreis. Bis zum nächsten Mal, wenn es wieder heisst: ”Schwabenhass. Klappe die Fünfte…”
* Aufzählung von in bundesdeutschen Alltagsdiskursen gängigen Zuschreibungen herkunftsbezogner Gruppenzugehörigkeiten, die i.d.R. (bis auf die Ostdeutschen) keinem strukturellem Unterdrückungsverhältnis oder materiellen bzw. rechtlichen Benachteiligungen unterworfen sind.