Verdrängungsgefahr jenseits der klassischen Altbau-Gentrification
Wenn von Gentrification und Verdrängung die Rede ist, dann geht es meist um Altbauten. Gerade die repräsentativen Gründerzeitwohnungen der Innenstadtviertel standen lange Zeit im Fokus des Modernisierungs- und Umwandlungsgeschehens. “Kein Wunder,” – war oft zu hören – “das sind ja auch wirklich gute Wohnungen und es können eben nicht alle im schön sanierten Altbau wohnen…”.
Die Entwicklungen in den Hochhäusern rund um das Kottbusser Tor zeigen, dass mittlerweile die Mieten selbst im sogenannten Sozialen Wohnungsbau die Verdrängungsschwelle überschreiten. Jedes Jahr werden die Mieten im Rahmen der Förderverträge erhöht und liegen trotz einer vom Senat festgelegten “Kappungsgrenze” bei 5,35 Euro/qm. Das mag angesichts der Mietsteigerungen in anderen Wohnungsmarktsegmente undramatisch klingen, ist es aber nicht.
Eine Umfrage in den Häusern ergab, dass jeder zweite Haushalte schon jetzt mehr als die Hälfte des Einkommens für die Miete aufbringen muss. Die letzte Mieterhöhung kam im April. Christoph Villinger beschreibt in der taz (“Kotti wird ein teures Pflaster”) die Folgen:
„Suchen Sie sich doch eine neue Wohnung, wenn Sie die Mieterhöhung nicht bezahlen können.“ Als im April bei vielen BewohnerInnen in den Hochhaus-Blocks auf der Südseite des Kottbusser Tors die vierte Mieterhöhung innerhalb kurzer Zeit ins Haus flatterte, beschwerten sich einige beim Eigentümer. Doch „ihr Ansprechpartner“ auf Seiten der zuständigen Hermes Haus- und Vermögensverwaltung fertigte sie kurz angebunden ab und wies nur in Richtung Stadtrand, etwa Marzahn. Parallel verschickt das Jobcenter Friedrichshain-Kreuzberg Aufforderungen an von Hartz IV lebende MieterInnen, „die Kosten ihrer Unterkunft zu senken“. Denn auch den Sozialbehörden sind die Mieten im sogenannten sozialen Wohnungsbau inzwischen zu teuer.
“Wir wollen in Kreuzberg bleiben!”
In den von der GSW und Hermes verwalteten Häusern am südlichen Kottbusser Tor leben etwa 1.000 Haushalte, etwa 80 Prozent der Bewohner/innen habe türkische Wurzeln und viele leben mit ihren Familien in der dritten Generation in Kreuzberg.
Das ist kein Zufall, denn unsere Migrationsgeschichte begann mit strengen Reglementierungen: erst durften wir nur in Wohnheimen leben, auch danach hatten die angeworbenen „Gastarbeiter“, unsere Eltern und Großeltern, nicht die Freiheit, sich eine Wohnung da zu suchen, wo es ihnen gefiel. Wegen der niedrigen Löhne zogen sie in die vernachlässigten Gebiete am Rande Westberlins.
Während 1989 das politische Personal Westberlins die Entlassung der Ostberliner_innen in die Marktwirtschaft feierte, erhielten viele von uns Stempel mit der „Zuzugssperre für den Bezirk Kreuzberg“ in unsere Pässe gedrückt. Unsere Erfahrung mit Entrechtung und Reglementierung in dieser Gesellschaft ist lang. Wir haben jedoch Kreuzberg zu unserem Zuhause gemacht.
Soziale Mietpreise müssen auch am Kotti gegen die Eigentümer durchgesetzt werden.
Weil sie auch in Kreuzberg bleiben wollen, haben sich die Bewohner/innen der Häuser im Herbst letzten Jahren zur Mietergemeinschaft Kotti&Co zusammengeschlossen und organisieren seither den Protest gegen die unsozialen Mieten im Sozialen Wohnungsbau. Sie haben sich mit anderen Mieterinitiativen zusammengeschlossen (Mietenpolitisches Dossier), ihre Forderungen an die Regierung übergeben, Runde Tische initiiert und Gespräche mit den Eigentümern und Hausverwaltungen gesucht. Das Resultat all dieser Initiativen lässt sich relativ einfach zusammenfassen: Nichts.
Gestern haben die Mieter/innen von Kotti&Co eine Straßenfest genutzt, um ein Protestcamp auf dem Platz vor ihren Häusern aufzubauen. In einer Erklärung der Initiative heisst es:
Wir haben uns jetzt zu einem “Protestcamp” entschlossen bis die Landesregierung eine Lösung für den sozialen Wohnungsbau findet.
Protestcamp von Kotti&Co: “Wir werden bleiben. Wir wohnen hier. Wir sind sowieso hier.”
Die Forderungen der Initiative sind klar formuliert:
- Kommunalisierung des Sozialen Wohnungsbaus!
- Übernahme der Verantwortung und der Wohnungen durch die Stadt – Umsetzung der sozialen Pflicht, bezahlbaren Wohnraum für schlechter Verdienende zur Verfügung zu stellen!
- Bis zur Kommunalisierung des Sozialen Wohnungsbaus durch die Stadt die Einführung einer Kappungsgrenze von 4,-€ pro Quadratmeter (siehe Hamburg).
- Rücknahme der Kostensenkungsforderung durch die Jobcenter.
- Rückzahlung der zuviel gezahlten Mieten an die Mieter durch die Hausverwaltungen oder die IBB (analog zu der bis 2011 geltenden Kappungsgrenze von 5,35€).
- Antirassistische Schulung für diejenigen Jobcenter-Mitarbeiter_innen, die es nötig haben.
Die Forderungen sind keine unrealistischen Wunschträume, sondern brauchen nur eines: den politischen Willen zu ein paar Entscheidungen. Leider sieht es genau danach zur Zeit nicht aus und das Protestcamp droht zu einer Dauereinrichtung zu werden. Kotti&Co werden, wie alle anderen Mieterinitiativen in der Stadt, einen langen Atem brauchen.