Berlin, Potsdamer Platz

Berlin, Potsdamer Platz
Anfang Januar am Potsdamer Platz. Nur leicht bewölkter Himmel über Berlin. Es ist halb fünf aber noch hell. Das fällt mir sofort auf, als ich aus den Einkaufsarkaden komme. Auf den Gesichtern der Passanten Entspannung. Darüber, dass die Festivitäten nun alle vorbei sind und man wieder dem normalen Alltag nachgehen kann. Dass alle sozialen Pflichten erledigt sind, und die Geschäfte wieder geöffnet. Der Dezember ist immer eine Abfahrt auf dem Rodelhang Richtung Ziel bei dem man unterwegs andauernd zu einem "besinnlichen" Beisammensein eingeladen wird. Die Art von Beisammensein, wo man zwar zusammensitzt, aber in Gedanken daran, an was man noch denken muss. Mit zwischendurch verstohlen Blicken aufs iPhone, ob es von irgendwem irgendetwas neues gibt.. Die Feste geben diesem dunklen Monat wenigstens einen Sinn und ein schönes Licht. Wer Glück hat, kommt dazu, etwas zu lesen oder zu hören. Alle geistreichen Deutschen aus unserer Geschichte haben irgendwann etwas zu Weihnachten oder Silvester oder die Zeit "zwischen den Jahren" (die formloseste aller Zeiten) aufgeschrieben. Da kann man mal sehen, wie wenig sich doch in den letzten hundert Jahren in Berlin verändert hat. Zwischendurch war es mal komplett anders. Aber jetzt ist es eigentlich fast wieder so, wie es bei Tucho steht.
Und dann kommt der Januar. Alle Erwartungshaltung fällt von einem ab. Eine Zeit im hier und jetzt. Es liegt Schnee und man freut sich schon, wenn es mal nicht minus zehn Grad hat sondern nur null. Und wenn die Wege geräumt sind. Am Potsdamer Platz räumen Arbeiter die letzten Gestelle der Rodelbahn ab. Ein Tieflader steht quer über dem Platz. An den Straßenrändern hohe Berge von dreckigem Schnee. Das letzte Jahr war gar nicht schlecht, wenn man mal ehrlich ist. War seit langem das erste ohne größere Befürchtungen, Ärger und Stress. Und für das neue ist man noch ein bisschen optimistischer. Sagen auch andere. Traut man sich als Deutscher fast gar nicht mehr. Sind jahrelang nur von Ängsten getrieben worden. Doch jetzt zum ersten mal das bewusste Gefühl, das vielleicht erstmal abgeschüttelt zu haben. Ein Gefühl der Aufgeräumtheit, Souveränität und Erwachsenheit. Wie kann es nur so sein, dass unsere Eltern auf alten Fotos schon im Alter von fünfzehn so ernst und erwachsen aussehen und die meisten Typen in der Berliner S-Bahn so um ende dreißig immer noch infantil wirken? Machte Angst früher erwachsen und heute unmündig? Ich kann es mir nicht erklären.
Es dauert immer eine Zeit, bis man den Potsdamer Platz komplett überquert hat. Die Ampelschaltungen in Berlin sind so, dass man als Fussgänger nicht beide Fahrbahnen in einer Ampelphase schafft. Außerdem muss man höllisch aufpassen. Man kann es sich hier überhaupt nicht leisten, den Verkehr aus den Augen zu lassen. Autofahren oder zu Fuss unterwegs sein und in Gedanken woanders, das sollte man sich in Berlin abgewöhnen. Die Sitten sind hier inzwischen so verroht, dass einem nicht nur was passieren kann, aus Unachtsamtkeit der anderen. Nein, immer mehr legen es darauf bewusst an, die Kreuzung zu beherrschen. Wer ihnen nicht ausweicht, wird angefahren. Und dann wird weitergefahren. Und wenn der Typ doch erwischt wird, kriegt er Rückendeckung von irgendeiner deutschen Gesetzeslücke. Da kommt dann von irgendwo ein Zwillungsbruder daher und erklärt die Vereinbarkeit von Maserati und Hartz IV.
Womit wie beim peinlichsten Berliner des Jahres 2010 sind: Harald Ehlert, der Erfinder des Unwort "Social Profit". Der ein Unternehmen darauf gegründet hat, öffentliche Fördermittel aus dem Sozialhaushalt Berlins auf sich zu lenken, zu verteilen und sich selbst einen großzügigen Obulus einzustecken. Er hatte verstanden, was es mit der normativen Kraft des Faktischen auf sich hat. "Social Profit" - gib dem Kind einen Namen, dann klingt das so, wie etwas selbstverständliches und modernes. Es ist und bleibt aber Abzocke öffentlicher MIttel. (Ehlert steht damit aber in einer Reihe mit den Vorständen einer Hypr Real Estate, Depfa oder Deutsche Bahn.)
Irgendwann ist man dann endlich drüben. Hier, am Leipziger Platz, der sich in östlicher Richtung entlang der Leipziger Straße unmittelbar an den Potsdamer Platz anschließt, war während der DDR nüschte. Nur das Sechseck blieb immer erkennbar. Heute stehen hier wieder ein paar Bürohäuser. Die Baulücken waren lange Zeit mit Attrappen gefüllt. Die sind jetzt entfernt worden. Denn es soll dieses Jahr ernst werden mit dem Wiederaufbau des Kaufhaus Wertheim. Davon ist schon seit drei Jahren die Rede, aber dann kam die Finanzkrise dazwischen. Da bin ich mal gespannt.

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