Pünktlich zum Jahrestag der Räumung des Hausprojektes in der Liebigstraße 14 poppt die Diskussion um subkulturelle Freiräume in neuer Schärfe auf. Nicht nur die angekündigten Mahnwachen und Demonstrationen zum Jahrestag der Räumung der Liebig 14 sondern auch das für den 22. Februar angekündigte Ende des Schokoladens in Berlin Mitte lässt die Hauptstadtmedien eine „Eskalation der Gewalt“ vermuten.
Der Tagesspiegel weiss, „Linke Gruppen wollen weiter protestieren„, der Berliner Kurier sieht einen „Kiez in Angst vor dem linken Terror„, in der Morgenpost ist zu lesen, die “Polizei rechnet mit weiteren Krawallen“ und selbst die taz hält „Scharmützel für nicht ausgeschlossen„. Glaubt man dem Tagesspiegel wird nur der eisige Winter Berlin vor den Ausschreitungen retten: „Liebig 14: Der Polizei kommt die eisige Kälte recht„:
Ein Ermittler zeigt sich trotz der zu erwartenden Ausschreitungen relativ gelassen: Bei nächtlichen Temperaturen von minus 12 Grad und um die minus acht Grad tagsüber „vergeht auch hartgesottenen Linksradikalen die Lust an der Randale“.
Wenn Journalist/innen von Gewalt schreiben, scheinen sich regelmäßig die Hirnbereiche für kritische Nachfragen zu deaktivieren. Statt Hintergrundrecherche und Ursachenanalyse beschränken sich die meisten Beiträge auf einen Mix aus Empörung und polizeilichen Einschätzungen. Das ist schade, denn gerade Beispiele wie die Liebigstraße 14 oder die Kündigung des Schokoladens bieten ausreichend Anlass für einen Blick auf die aktuellen Konfliktlinien in den Innenstadtbezirken.
In den medialen Gewaltprojektionen wird eine ja auch real vorhandene Unterstützung für die Projekte unterstellt, die weit über das einzelne Haus oder den einzelnen Veranstaltungsort hinaus geht. Dieser offensichtlich hohe Symbolgehalt der vollzogenen (Liebigstr. 14) bzw. angekündigten (Schokoladen) Räumung weist dabei auf einen übergeordneten Konflikt, der nichts weniger beinhaltet als die Aufkündigung einer 20 Jahre aufrechterhaltenden Duldung subkultureller Freiräume in der Berliner Innenstadt.
Die Aufkündigung des Legalisierungskompromisses
Ein Blick zurück führt uns in die Zeit der letzten großen Häuserkämpfe in Berlin Anfang der 1990er Jahre. Mehr als 130 Häuser wurden damals vor allem in Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain besetzt. Nach einer zweitägigen Straßenschlacht um die Räumung der Mainzer Straße hatten die Regierung und Hausbesetzer/innen zwei Ziele: Die einen wollten endlich wieder Ruhe in der Stadt haben, die anderen in ihren Häusern bleiben. Herausgekommen ist ein politischer Kompromiss, der in Form von Verträgen für die Besetzten Häuser Gestalt annahm. Die an Runden Tischen in den Bezirken ausgehandelten Rahmen- und Nutzungsverträge erfüllten die Befriedungswünsche der Regierung ebenso wie die Legalisierungshoffnungen vieler Hausbesetzer/innen. Kurzum ein status quo wurde erhandelt, der der damaligen Kräftebalance entsprach. Bis auf wenige Ausnahmen wurde dieses politisch erstrittenen Stillhalteabkommen über Jahre hinweg von beiden Seiten eingehalten.
Die jüngsten Räumungen (Brunnenstraße 183, Liebigstraße 14) und Kündigungen stehen für die einseitige Aufkündigung des Post-Mainzer-Häuserfriedens in Berlin. In allen Fällen waren es neue Eigentümer die nach z.T. mehrfachen Verkäufen der Häuser, die Anfang der 1990er Jahre geschlossenen Verträge einer juristischen Prüfung unterzogen und – welch Wunder – in den hastig von Laien an Runden Tischen ausgehandelten Verträgen Lücken fanden, die sie fortan für ihre Verwertungsinteressen zu nutzen suchten. Wenn aber 20 Jahre nach dem Ende des Häuserkampfes die Befriedungsverträge aufgekündigt werden, braucht es eigentlich keine große Phantasie, den daraus erwachsenen Unmut zu erklären.
Das Ende der Subkultur und die Neuordnung der Innenstadt
Die Aufkündigung der Befriedungsstrategien trifft die ehemals besetzten Häuser zu einem Zeitpunkt, an dem die künftige Entwicklung der Innenstadtquartiere selbst zu einem umkämpften Thema geworden ist. Clubschließungen, peinliche Lärmklagen und steigende Mieten weisen gleichermaßen in die Richtung, dass die Zeit der Subkultur und Freiräume in den innerstädtischen Wohnquartieren abgelaufen ist. Die Kündigung des Schokoladens oder auch der auslaufende Vertrag der KvU stehen symptomatisch für die mit der Immobilienverwertung einhergehende Verbürgerlichung der Nachbarschaften. Punkmusik, bunte Fassaden und improvisierte Kunst sind zwar gut fürs Image der Stadtteile, stehen aber letztendlich dem Verkauf von teuren Eigentumswohnungen, exklusiven Geschäftsnutzungen und einem florierenden Tourismusgewerbe im Wege. Die hier zur Rede stehenden Räumungen sind Teil einer umfassenden Neujustierung des Berliner Stadtentwicklungsmodells. Nach 20 imageprägenden Jahren Spielwiese für Subkultur, bunte Fassaden und Experimentierräume für unkonventionelle Lebensmodelle reklamieren die Eigentümer, Investoren und beruflich Erfolgreichen die Innenstadt für sich zurück. Als sei es ein Naturgesetz, dass allein das ökonomische Vermögen darüber entscheidet, was in den Zentren der Städte geschieht.
Wenn Markus Hesselmann in seinem unmöglich ernst gemeinten Kommentar im Tagesspiegel schreibt
Eine dynamische Szene braucht keinen Artenschutz und keinen Kampf gegen „Gentrification“. Sie sucht sich neue Freiräume.
dann verkennt er großzügig, dass es eben diese (auch neuen) Freiräume sind, die in weiten Teilen der Innenstadt rapide schwinden. Was er hier forsch von der Szene fordert, war ja der Modus der letzten Dekade. Die Umzüge von Clubs und Strandbars, die Neueröffnung von neuen Veranstaltungsorten und die Schwerpunktverlagerung von ‘hippen’ Wohnorten folgte über Jahre hinweg der fatalen Logik von Zwischennutzungen und lässt sich wie eine Schleimspur der Aufwertung durch die Stadt verfolgen. Doch der Kreis hat sich geschlossen: Die Szene ist über Mitte, Prenzlauer Berg, Friedrichshain zurück nach Kreuzberg und sogar Neukölln einmal durch die Innenstadt gezogen. Die Wanderungslogik des Einen-Kiez-Weiter-Ziehens beisst sich in den eigenen Schwanz und es ist kein Wunder, dass es nun auch ums Bleiben-Wollen geht. Der unvermeidliche Hinweis auf die vielen anderen Gebiete der Stadt – vielleicht gibt es ja in Lichtenberg, Wedding oder Tegel freiraumgeeignete Flächen und Orte – kann mit der selben Berechtigung auch an die Beukerts, Immowerts, Friedrichs und all die anderen Investoren adressiert werden.
Wie so oft in städtischen Konflikten geht es um nichts weniger als die simple Fragen, wem denn die Stadt gehört und in welcher Stadt wir leben wollen? Die unterschiedlichen Interessen und Ansprüche an der Innenstadt prallen aktuell mit großer Heftigkeit aufeinander und werden ausgefochten. Die Liebig 14 oder der Schokoladen sind dabei weder Grund noch Zentrum dieser Auseinandersetzung – aber symbolisch aufgeladene Austragungsorte. Kurzum: Es geht um mehr und es wäre schade, wenn dies in der Aufregung um „Krawalle“, „Scharmützel“ und „linken Terror“ auf der Strecke bliebe.