Was bitte schön soll denn ein Eisladen mit der Gentrification zu tun haben? Gibt es Eisläden nicht überall? Und überhaupt, ist Eisessen nicht ein schicht- und milieuübergreifendes Vergnügen? Dachte ich bisher auch. Bis mich ein kleines Video bei den Prenzlauer Berg Nachrichten nachdenklich stimmte: “Achtung, Eispolizei„
Mütter in Prenzlauer Berg funktionieren ihre Kinder zur „Eispolizei“ um und filmen sie auch noch dabei. Die frühkindliche Lebensstil-Konditionierung wirkt. Beim Bio-Eis ist der Geschmack einfach besser: „das schmeckt richtig nach Erdbeere“ sagt einer der Buben. Die offensichtlich stolze Mutter: „Also kann gesund auch ganz schön lecker schmecken…“ (insb. ab 6:45 min.)
LOHAS am Eisstand
Mal abgesehen von der Frage, warum ein Vergleich von verschiedenen Eisqualitäten von der ‘Polizei’ durchgeführt werden muss, manifestiert sich in der Kontrolltour durch die Eisläden die für gesundheitsbewusste Lebensstile so typische Orientierung an der Illusion einer weitgehenden Kontrolle über die eigenen Lebensumstände. Die Soziologie spricht in diesem Zusammenhang von LOHAS (also Personen eines Lifestyle of Health and Sustainability), die dabei sind, den DINKS (Double Income no Kids) und YUPPIES (Young Urban Professionals) den Rang als Träger/innen der Gentrification abzulaufen.
Doch wie passt die Freude über das Bio-Eis („gesund kann auch lecker schmecken“) in diese Lebenstilkonzeption? Vermutlich ist es weder im ‘normalen Eisladen’ noch im Bio-Eis-Laden objektiv möglich, wirklich zu wissen, was an dem Eis dran ist, das da in die Waffel kommt. Und gerade den gesundheitsbewussten Müttern in Prenzlauer Berg dürfte klar sein, das der Verzehr von fünf oder sechs Eiswaffeln nacheinander selbst bei bester Bio-Qualität nicht wirklich ‘gesund’ sein kann.
Offensichtlich geht es also weniger um einen vernünftigen Maßstab des Eiskonsums, sondern um die Vermittlung von den (für LOHAS zentralen) Kulturtechniken der Auswahl und der Risikoreduktion. Es sind die Wertmaßstäbe der Eltern, die hier antrainiert werden. Bio-Eis ist nicht nur gesund, es schmeckt auch noch besser…
Es geht mir keinesfalls darum, den Konsum von Bio-Produkten pauschal in den Kontext der Gentrifition einzuordnen, sondern vor allem darum, die hier dokumentierte Strategie der Internalisierung eines Lebensstils herauszustellen. Statt einer nachvollziehbaren Vernunftentscheidung („mein Kind bekommt nur Bio, weil es gesünder ist“) demonstriert die kleine Selbstdokumentation der Eispolizei einen Manipulationsversuch, der die Verinnerlichung der elterlichen Wertmaßstäbe zum Ziel hat.
„Die Menschen sehen alle gleich aus, irgendwie individuell“
Statt die Entwicklung individueller Geschmacksvorlieben zu fördern, steht die „Eispolizei“ in Prenzlauer Berg für eine Bio-ist-gesund-und-lecker-Konformität. Mit Blick auf frühere Zeiten werden solchen Vereinheitlichungen eher negative Folgen zugeschrieben. Vielleicht liegt es ja auch an der nur noch geringen Zahl an Ostdeutschen, die aus eigener Erfahrung vor den Folgen eines Heterogenitätsverlustes warnen könnten.
Die meisten Kinder in meinem Umfeld übrigens wählen mit großer Vorliebe blaues Schlumpfeis, grünes Waldmeistereis oder solches mit möglichst vielen Smarties oder einer Extraportion Schokostreussel aus. Auf die Idee, Eis könne auch gesund sein, würden die meisten von ihnen nicht kommen. Fast alle jedoch kennen und respektieren die elterliche Vorgabe, nur ein oder zwei Kugeln am Tag zu bekommen.
Prototypen der kommerziellen Konsumtion
Doch nicht nur die ‘gesundheitsbewusste Eiskugel’ selbst, sondern auch die ästhetische Gestaltung der Verkaufsflächen steht für einen neuen Trend der Konsumkultur in den Aufwertungsgebieten. Statt der improvisierten Inneneinrichtungen der noch selbstorganisierten Cafés und Bars in den Pionierphasen der Gentrification zeichnen sich viele der neueren Läden durch ein schlichtes aber kostenintensiveres funktionales Design aus. Das Eiscafé Caramello aus dem Video
… steht dafür ebenso, wie dieser hübsche, von den Nachbar/innen skeptisch beäugte, Eisladen in der Elberfelder Straße im bürgerlichen Teil von Moabit.
Statt Kreativität und Eigeninitiative strahlen diese Läden vor allem eines aus: Professionalität. Im Gegensatz zu den nur schwer zu imitierenden Stimmungen von Pionier-Einrichtungen der Gentrification sind die Läden mit der funktionalen Retro-Ästhetik nahezu beliebig kopierbar und erfüllen so die von Sharon Zukin vermuteten Funktion der Gentrification als neuen Prototypen der Konsumtion. Der Schlüssel dazu ist weniger die Einzigartigkeit ortsgebundener Authentizität sondern die Reproduzierbarkeit einer Geschäftsidee ohne Verlust des Distinktionspotentials. Die sich auch in Berlin neu etablierende Edel-Eisläden, Cup-Cake-Shops und Frozen-Yogurt-Bars sind dankbare Beispiele dafür – Frozen-Yogurt wirbt sogar ganz offiziell mit einem Franchise-System. Na dann, lasst es euch schön schmecken!