Das
kleine Kino, in dem ich arbeite, würde Wes Anderson bestimmt
gefallen. Es bietet genau die richtige Mischung aus kuscheliger
Nostalgie auf alten Sofas und Sesseln und der unvermeidlichen
Technisierung des Kinohandwerks. Schön auf durchgesessenen Sofas
hocken, sich Sprungfedern in den Rücken pieksen lassen; dafür aber
bitte glasklares, digitales Bild und dicken Surround-Sound. Außerdem
wird dieses kleine Kino derzeit regelrecht von Scharen heimgesucht,
die sich alle Wes Andersons „Grand Budapest Hotel“ ansehen
wollen.
Wir
befinden uns auf einem Friedhof, irgendwo im ehemaligen Staat
Zubrowka. Ein junges Mädchen sucht das Grab eines Schriftstellers
auf und beginnt vor Ort, ein Buch zu lesen. Wir werden sozusagen in
das Buch hinein gesaugt und erleben die Geschichte des
Schriftstellers, der wiederum von seinem Besuch in einem der
beeindruckendsten Hotels der Welt berichtet. Er selbst besuchte das
Grand Budapest Hotel in Nebelsbad allerdings erst lange, nach dessen
Glanzzeit. Inzwischen ist es etwas heruntergekommen und erfreut sich
außerhalb der Saison nur noch weniger Besucher. Genau das mag unser
Autor. Die Ruhe und der nostalgisch-goldene Frieden, der dem Haus
innewohnt, bietet die perfekte Inspiration. Besonders faszinierend
ist der Besuch des Hotelbesitzers, Mr. Moustafa. Von ihm lässt sich
der Schriftsteller wiederum die Geschichte erzählen, wie das Hotel
in seinen Besitz gelangte. Und diese Geschichte beginnt mit Monsieur
Gustave. Und diese Geschichte hat es in sich. Es geht um Liebe, Geld,
Macht, Leben und Tod. Alle Facetten des Lebens schlagen sich in
irgendeiner Form in dieser wirklich aufregenden Geschichte nieder.
Man kann sich der Geschichte nicht entziehen und es wird die ein oder
andere Träne – ob nun aus Freude oder Trauer – vergossen werden.
Wes
Anderson ist der letzte große Künstler Hollywoods. All die
zahlreichen großen Kollegen sind müde oder anderweitig
indisponiert. Ridley Scott zum Beispiel flieht sich in wirre
Neuinterpretationen seiner früheren Meisterwerke, die lediglich zu
müden Tech-Demos verkommen. Steven Spielberg vermittelt ebenfalls
den Eindruck, hängen geblieben zu sein. All seine Filme kommen etwa
zwanzig Jahre zu spät. Innovation sucht man auch bei Krawallmachern,
wie Roland Emmerich oder Michael Bay vergeblich. Und der fast schon
kindliche-naive Bombast-Feldzug eines J.J. Abrams quer durch die
Erinnerungen einer wirklich schönen Kindheit, fällt auf Dauer eben
einfach der Entzauberung durch virales Merchandising zum Opfer.
Und
in dieser Zeit, in der sich das Kino in festgefahrenen Bahnen nur
noch vor oder zurück bewegt, ohne jemals wirklich die Chance zu
ergreifen, etwas wirklich Neues auszuprobieren, kommt Wes Anderson.
Und er scheißt auf Konventionen. Er erzählt Geschichten, wie er es
möchte und auch, wenn all seine Kollegen sagen, er sei verrückt,
filmt er seine Werke nach, wie vor mit klassischer analoger
Filmtechnik. Für „Moonrise Kingdom“ besorgte er sogar Kameras
und Filmmaterial aus den 60er Jahren, um diesen leicht blassen und
staubigen Look besser hin zu kriegen. Für „Grand Budapest Hotel“
wurden riesige Filmbühnen und Kulissen gebaut und Anderson stellte
einen Cast zusammen, der jeden anderen Regisseur in den sicheren Ruin
getrieben hätte. Und dann trabt der Film in wahnwitzigen Tempo durch
seine zwei Stunden und erzählt ohne jeden Druck und absoluter
Lockerheit eine wahnwitzige Geschichte voller Abenteuer, Witz und
Drama. Alle Schauspieler bieten eine Performance sondergleichen.
Ralph Fiennes war für mich in der letzten Zeit irgendwie angekommen.
Hat er früher noch durch charakterstarke Darstellungen geglänztm
leuchtete er in den letzten Jahren weniger hell. Ich hätte nicht
gedacht, dass er sein festgefahrenes Nebenrollendasein noch einmal
aufgeben würde und dass er es dann schaffen würde, diese Hauptrolle
dermaßen überzeugend zu spielen. Gleiches gilt für alle Kollegen,
insbesondere Jeff Goldblum, Adrian Brody, oder Willem Dafoe. Zu dem
hohen Tempo passt auch das fast schon comichafte Spiel der
Darsteller. Alle bewegen sich auch schnell und sprechen, ohne Punkt
und Komma, beziehungsweise, ohne Luft zu holen. Dazu kommt ein
bühnenhafter Puppenhauslook, dem man seine pappene Herkunft sofort
ansieht, der sich aber trotzdem perfekt zum Gesamtbild hinzufügt.
Anderson spielt außerdem mit Formatwechseln, farblichen
Verfremdungen, unorthodoxen Perspektiven und Zeichentrickkosaken.
„Grand
Budapest Hotel“ ist – mehr, als jemals zuvor – ein
nostalgischer Trip in die ganz besondere Welt des Wes Anderson. Mit
einer unglaublichen Detailverliebtheit – ja, echter Liebe –
dürfen wir diese Welt besuchen und mehr denn je, war ich fast
traurig, als der Abspann über die Leinwand lief, denn das bedeutete,
dass ich diese Welt wieder verlassen hatte. Nun fiebere ich dem
nächsten Besuch entgegen und kann es schon jetzt kaum erwarten.
Grand
Budapest Hotel (USA, D, 2014): R.: Wes Anderson; D.: Ralph Fiennes,
Jude Law, Jeff Goldblum, Bill Murray, u.a.; M.: Alexandre Desplat;
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