Berlin: Es geht gar nicht um die Schwaben

Schrippen_Angelo

Schrippen, Wecken, Plaumendatschi. Was verrät uns die Bäckerei über die Aufwertung? (Bild: Angelo)

Die ganze Republik diskutiert über Wolfgang Thierses Jahresend-Interview. Doch das Peinliche daran ist nicht seine Abneigung von schwäbischen Backwaren, sondern die 10 Jahren Verspätung die er braucht, um festzustellen, dass die Veränderungen in Prenzlauer Berg “mit der Verdrängung also eine schmerzliche Rückseite” haben. Mit seiner Beschränkung auf ausschließlich kulturelle Aspekte der Verdrängung hat er jedoch den altbekannten Mustern der Gentrification-Legitimation Tür und Tor geöffnet.

Statt über Verdrängung wird nun über die Intoleranz der Verdrängten diskutiert und die Gewinner der Aufwertung können mit dem Phantomschmerz der angeblichen Diskriminierung von ihrer Rolle an den Gentrifizierungsprozessen ablenken.

Eigentlich ist es ja nicht so schwer zu verstehen, dass Verdrängung Gewinner und Verlierer hervorbringt und sich der veränderte Nachbarschaftscharakter auch in der Gewerbestruktur und den Konsumangeboten widerspiegelt: Wo dem Latte-Galao-con-leche-Kult gefrönt wird, gibt es keine Eckkneipenkultur; wo Townhouses stehen, gibt es keine Sozialwohnungen und wo Wecken verkauft werden, gibt es keine Schrippen. Einige werden diese Veränderungen begrüßen, andere bedauern.

Erstaunlich ist, dass ausgerechnet und regelmäßig solche Meinungsäußerungen öffentliche Entrüstung auslösen, die den Verlust der Veränderungen beklagen. Fast scheint es, als sollen denen, die im Zuge der Aufwertung ihre Wohnungen oder zumindest ihr Lebensgefühl verloren haben, auch noch die Erinnerung und ihre Empfindungen abspenstig gemacht werden. Die Unzufriedenheit der Verdrängten und Alteingesessenen stört offensichtlich das gute Lebensgefühl der Neubewohner/innen. Gesucht werden die glücklich Verdrängten.  Spuren die nicht, wird die Keule der Intoleranz geschwungen.

Es geht gar nicht um Schwaben, sondern ums gute Gefühl der Aufwertung

Der “Schwabenhass” scheint in Prenzlauer Berg ein Universalinstrument dieser Strategie der moralischen Dominanz zu sein: In regelmäßigen Abständen kocht die Debatte hoch. Egal ob ironische Plakate von Ostberliner/innen (2006), journalistische Erlebnisberichte aus der Latte-Macchiato-Zone (2011), die Sprühereien eines 18-Jährigen (2012), oder eben  Feiertagsinterview eines Bundestags-Vizepräsidenten (2013): Die Reaktion ist immer die gleiche. Die Feuilletons von Tagespiegel bis zu den Stuttgarter Nachrichten überschlagen sich mit Berichten und Kommentaren zum angeblichen Schwabenhass in Berlin und selbst in eigentlich seriösen Medien wird die Aufregung zur Abrechnung mit der Gentrification-Kritik genutzt.

Thierses Schrippen-statt-Kehrwochen-Statement wurde in die Nähe von Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz gestellt und Baden-Württembergs Politiker jeglicher Couleur  fühlten sich zu Stellungnahmen aufgerufen. Paradoxerweise wird die Replik in der selben regionalistischen Eigensinnigkeit vorgetragen wie die an Thierse kritisierte Verteidigung des Berliner Dialektes.  Cem Özdemir (Grüne) sagte dem Tagesspiegel:

“Und was den Berliner Dialekt angeht, hat sicher kein Schwabe etwas dagegen, dass er gepflegt wird. Wir pflegen unser Schwäbisch ja auch.“

Dieser Umgang klingt tolerant, wird aber den Realitäten in den Aufwertungsgebieten von Prenzlauer Berg nicht gerecht. Denn Wolfgang Thierse beklagt ja gerade das Verschwinden von Gelegenheiten zur Pflege des Berliner Dialektes in seiner Nachbarschaft. Spiegel-Online bringt in einem Interview mit Wolfgang Thierse unfreiwillig die Konsequenz des Gedankens auf den Punkt:

SPIEGEL ONLINE: Mussten Sie sich bereits von der Seele Ihres Stadtteils verabschieden?

Thierse: In Teilen sicherlich (…). Alles hat sich sehr verändert. (…)  ich habe hier auch noch alte Bekannte und Freunde. Menschen, deren Gesichter ich auf der Straße erkenne, sind allerdings in den letzten Jahren weniger geworden.

SPIEGEL ONLINE: Warum ziehen Sie nicht um, irgendwohin, wo es mehr Berliner gibt?

Das gute alte “Geht doch rüber, wenn es euch hier nicht passt” im Gewand der toleranzbesorgten Großstadt-Debatte. Lesebühnenleser, Kabarettist und Liedchensinger  Tilman Birr hat schon vor gut einem Jahr diese Seite der Aufregung treffend parodiert:

In einer Reihe von Beiträgen (Focus und Tagesspiegel) wurde Thierse auch dafür kritisiert, die Wecken und Pflaumendatschi fälschlicherweise der schwäbischen Küche zugeordnet zu haben. Auch Cem Özdemir mokiert die mangelnden Geografie-Kenntnisse von Thierse und thematisiert damit unbewusst eine zentrale Dimension der Verdrängungsdynamik in Ostberlin:

„Irgendwie sind alle Wessis Schwaben.”

Dass sich die Gentrification in Prenzlauer Berg unter quasi-kolonialen Verhältnissen (westdeutsche Hausbesitzer/Investoren/Stadtplaner vs. ostdeutsche Mieter/innen) vollzog, prägt auch die retrospektive Sicht auf die Veränderungen. Holger Witzel hat in seiner wirklich amüsanten Kolumne “Schnauze Wessi” das Thema des Schwabenhasses bereits 2009 aufgegriffen. “Über die Ego-Terroristen vom Prenzlberg“:

In Berlin, Prenzlauer Berg, kleben sogenannte “Hass-Plakate”, die doch eigentlich ganz vernüftig sind und sich nicht nur gegen Schwaben, sondern gleichberechtigt gegen Wessis aller Art richten.

Und auch das Ostberliner Urgestein Flake (Musiker, früher Feeling B, heute Rammstein) macht aus seinem Herzen keine Mördergrube:



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