Berlin: Drastisch höhere Mieten

Von Andrejholm

Sozialer Wohnungsbau in Berlin Tiergarten - lässt sich damit Geld verdienen?

Klassische Gentrification-Studien gingen regelmäßig davon aus, dass die von ihnen beschriebenen Aufwertungsprozesse in baulich attraktiven aber heruntergekommenen Altbauvierteln stattfinden. Aktuelle Berliner Beispiele zeigen nun, dass Mietsteigerungen und Verdrängungsgefahren keineswegs auf Gründerzeitquartiere beschränkt bleiben. Ausgerechnet die ehemaligen Sozialwohnungsbestände in den Innenstadtbezirken haben sich zu veritablen Spekulationsobjekten entwickelt.

Im vergangenen Jahr sorgten die drastischen Mietsteigerungen im Fanny-Hensel-Kiez für Schlagzeilen. Mieterverbände und Betroffenen waren alarmiert und warnten, dass dies kein Einzelfall sei. Sie sollten Recht behalten.

Die Berliner Zeitung berichtet unter der Überschrift „Investoren können gut verdienen“ über Mietsteigerungen von bis zu 60 Prozent in den 70 Wohnungen der Pohlstraße 43-53.

6,28 Euro pro Quadratmeter nettokalt sollten die Mieter, darunter viele Migranten und Hartz-IV-Bezieher, zunächst zahlen. Bisher lagen die Quadratmeterpreise meist zwei Euro und mehr darunter, je nach individuellem Mietvertrag. Die geforderte Summe hat die Erste D.V.I. zwar nach Prüfung durch die Investitionsbank Berlin (IBB) auf 6,16 Euro je Quadratmeter reduziert.

Etliche der jetzigen Mieter/innen werden sich die neuen Mieten nicht leisten können und ausziehen. Genau darin dürfte das Kalkül der Investoren liegen. Leerstehende Wohnungen können umgewandelt und als Eigentumswohnungen verkauft werden oder werden zu höheren Preisen auf dem Mietwohnungsmarkt angeboten. Die steigenden Mietpreise in fast allen Innenstadtbezirken minimieren das Risiko einer solchen Spekulation auf die künftige Ertragslage.

Die Häuser in der Pohlstraße wurden im Rahmen der Internationalen Bauausstellung 1984 von der Groth-Gruppe aus Mitteln des Sozialen Wohnungsbaus errichtet. Nach dem Ende der Förderung und einem Insolvenzverfahren wurde die Wohnanlage im Juli 2010 von der Immobilienfirma Erste D.V.I. erworben. Zum Firmengeflecht von Mamrud und Smuskovics gehören mindestens neun weitere Immobilienbeteiligungen.

Diese Firmenbeteiligungen sind interessant, weil sie zeigen, dass die Bewirtschaftung des ehemaligen Sozialen Wohnungsbaus keine wohnungswirtschaftliche Nischensparte ist, sondern als Ergänzung zu anderen aggressiven Inwertsetzungsstrategien geeignet scheint. Nach Angaben der Berliner Zeitung planen Mamrud und Smuskovics in der Eylauer Straße an der Grenze von Schöneberg zu Kreuzberg eine Luxuswohnanlage. In der Potsdamer Straße haben sie ein Wohnhaus in ein Hotel umgewandelt. Ihre Projekte scheinen sich an einer möglichst hohen Gewinnmaximierung zu orientieren – die Mieter/innen in der Pohlstraße haben das unmittelbar erfahren müssen.

Warum werden Sozialwohnungen zum Spekulationsobjekt?

Mit dem Ausstieg aus der Anschlussförderung wurden in Berlin die Paradoxien des Fördersystems im so genannten Sozialen Wohnungsbau deutlicher als anderswo. Im Rahmen der Förderung mussten Eigentümer/innen, die Fördergelder in Anspruch nahmen, Belegungs- und Mietpreisbindungen einhalten. Das klingt zunächst nach einem vernünftigen Deal: öffentliches Geld für einen preiswerten Wohnungsbestand. Doch die Mietpreis- und Belegungsbindungen waren zeitlich auf die Förderzeiträume begrenzt. Nach Abschluss der Förderung – meist nach 15 oder 20 Jahren – können Eigentümer/innen die sogenannten Kostenmieten verlangen und müssen bei der Mieterhöhung nicht einmal die Beschränkungen des Mietrechts einhalten. In Berlin wurde bis 2003 versucht, diesen Zeitpunkt mit einer sogenannten Anschlussförderung hinauszuzögern. Zurecht wurde kritisiert, dass damit für bereits geförderte Wohnungen zusätzliche öffentliche Mittel ausgegeben wurden.

Vom Ausstieg aus der Anschlussförderung sind bis zum Jahr 2016 knapp 28.000 Wohnungen betroffen. Allein in diesem Jahr enden für über 4.000 Wohnungen die Mietpreis- und Belegungsbindungen. Auch die Pohlstraße wird wohl kein Einzelfall bleiben. Mieter/innen in den betroffenen Häusern haben sich mittlerweile organisiert und versuchen auf verschiedenen Ebenen einen Widerstand gegen die Mietsteigerungen zu organisieren. Mehr bei: www.sozialmieter.de

Einen ausführlichen Beitrag zu den Paradoxien des Berliner Fördersumpfes im Sozialen Wohnungsbau gab es hier bereits im Mai letzten Jahres: Gentrification im Sozialen Wohnungsbau?