Berlin: Die Liebig 14 und kommende Aufstand

Berlin: Die Liebig 14 und kommende Aufstand

Französische Revolutionsfibel für den postpolitischen Aktionismus

Die FAZ ist immer wieder für Überraschungen gut. Vor ein paar Wochen überschlugen sich dort die positiven Buchbesprechungen des linksradikal-militanten Manifestes „Der kommende Aufstand„. Nahezu genüsslich wird die Zeitdiagnose des Textes wiedergegeben:

Doch heute, so die Autoren des „Kommenden Aufstands“, müssten alle Franzosen erkennen, dass der Staat nicht nur nicht alles, sondern recht eigentlich „gar nichts mehr“ zustande bringe.

Vielleicht hätte die FAZ diese Perspektive bei der Berichterstattung zur Räumung der Liebigstraße beibehalten sollen. Stattdessen hat sie sich vom seriösen Journalismus verabschiedet und wusste schon am Vortag der Räumung, dass die Liebigstraße „Auf verlorenem Posten“ stehe:

Weil in Berlin ein Mietshaus geräumt werden soll, wird mit Krawallen der radikalen Szene gerechnet. Die steht mit ihrem Anliegen freilich ziemlich alleine da. Anders als in den achtziger Jahren, genießen die Hausbesetzer wenig Zuspruch.

Es kam dann doch anders: über Tausend Unterstützer/innen waren auf den Straßen in Friedrichshain unterwegs und selbst die Tagesschau präsentierte mit einem Verweis auf „ganz normale Bürger“, einen Protest, der sich nicht auf einen kleinen Szenekreis beschränkte.

Berlin: Die Liebig 14 und kommende Aufstand

Karen Miosga überraschte in der Anmoderation des Beitrages mit einer fast schon prosaischen Einordnung der Räumung:

„… in den letzten Jahren ist in vielen Straßen aus bunt bieder geworden. Wo früher auf alten Sofas Bier aus Flaschen getrunken wurde, steckt nun oft der lange Silberlöffel im Latte-Macchiato-Glas.“

Bemerkenswert auch der Leitartikel in der Berliner Zeitung von Jan Thomsen: „Besetzer und Besitzer„. Nicht nur, dass er die Verantwortung des Hauseigentümers für die entstandene Situation herausstreicht und auf den absurden Umstand verweist, dass 2.500 Polizeibeamte, den Rechtsanspruch eines Einzelnen durchsetzten, Thomsen geht weiter und fragt nach der Verantwortung der Politik:

Ärgerlich, nein empörend, ist im Fall Liebigstraße und all den anderen ähnlichen Fällen die Machtlosigkeit öffentlicher, demokratisch legitimierter Stellen, wenn es um öffentliche Belange wie das Wohnen geht. Es reichte, dass ein Gericht Recht sprach und ein Eigentümer sich ausschwieg. (…) Man muss diese „linken Hausprojekte“ mit teils zweifelhaftem Charakter nicht mögen, um zu wissen, dass die Berliner Innenstadt allmählich zu einer gleichförmigen Zone der Besserverdiener wird.

Die hier zitierte Machtlosigkeit ist in den Statements verschiedener Politiker/innen nachzulesen.

Renate Künast, die 1990 als Fraktionsvorsitzende im Abgeordnetenhaus nach der Räumung der Mainzer Straße die rot-grüne Koalition aufkündigte, reagierte zwanzig Jahre später – trotz der Oppositionsrolle – der Grünen eher staatstragend:

„In der Liebigstraße gibt es einen ausgeschöpften Rechtsweg, hier ist ein Rechtstitel (…) Das gesamte Verfahren um die Räumung war offen und transparent.“

Die LINKE Bundestagsabgeordnete des Wahlkreises, Halina Wawzyniak legt das Politikversagen um die Räumung der Liebigstraße unfreiwillig offen:

„Als jemand, der den Runden Tisch aktiv mitverfolgt hat und bei der Räumung vor Ort war, sage ich, die Politik war hilf- und machtlos.“

Berlin: Die Liebig 14 und kommende Aufstand

(via Pantoffelpunk)

Dass SPD-Innensenator Erhart Körting sich offensichtlich um Lummer-Schönbohm-Landowsky-Preis für Verbalentgleisungen bewirbt, ist da eigentlich nur noch eine Randnotiz wert:

„Sie schrecken auch vor der Zerstörung fremden Eigentums und Körperverletzungen gegenüber den eingesetzten Polizeibeamten nicht zurück. Für solche Menschen ist in dieser Stadt kein Platz.“

Das Wem-gehört-die Welt-Blog der Rosa-Luxemburg-Stiftung bringt die aktuelle Situation der Berliner Stadtpolitik auf den Punkt:

Während die CDU und rechte Populisten mit den Ängsten angesichts vermeintlich rechtsfreier Räume spielen, setzt der rot-rote Senat mittels Polizeigewalt politikfreie Räume durch…

Was ist von einer Regierung zu halten und zu erwarten, die mit Polizeieinsätzen ihren stadtpolitischen Steuerungsverlust kompensiert? Wenig und nicht Gutes! Kein Wunder also, dass sich die Auseinandersetzung auf die Straße verlagert hat.

Ein Blick zurück in die Geschichte der städtischen Proteste in Berlin zeigt, was in solchen Situationen geschehen kann. Inforadio sendete in der Rubrik Nahaufnahme einen kompakten Rückblick auf die vierzigjährige Geschichte von Hausbesetzungen in Berlin: „Aus dem Weg, Kapitalisten …“ (7.14 min.) Ich durfte für diesen Beitrag erklären, welche Voraussetzungen es für große Hausbesetzungsbewegungen gibt:

„Es muss Leerstand geben, es muss Leute geben, die preiswerten Wohnraum suchen und es gibt einen dritten Grund den man abstrakt als Staatsversagen bezeichnen könnte“

Sowohl Anfang der 1980er als auch Anfang der 1990er Jahre waren diese Bedingungen erfüllt: Insbesondere die Krise der Flächensanierung Ende der 1970er Jahre und auch die verfehlte Baupolitik und der Zusammenbruch der DDR stehen für die staatliche Unfähigkeit, die Wohnungsfrage der Stadt zu lösen. Die Hilflosigkeit der Berliner politischen Klasse gegenüber den Verwertungsstrategien von Eigentümer Beulker und Co. stehen dabei symptomatisch für das Versagen der  Wohnungspolitik der vergangenen Jahre.

Schlecht für die Stadtentwicklung – aber vielleicht der Nährboden für die nächste Hausbesetzungsbewegung stadtpolitische Protestbewegung oder den kommenden Aufstand.



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