Privatrecht vor Grundrecht: Räumung der Liebigstraße 14
Morgen früh soll das ehemals besetzte Haus in der Liebigstraße 14 geräumt werden. Ein Gericht hatte die Kündigungsklagen des Eigentümers bestätigt. Die Berliner Polizei soll mit 1.000 Beamten den Gerichtsvollzieher bei der Vollstreckung des Urteils unterstützen. Freude der Hausbewohner/innen und viele Unterstützer/innen werden auf den Straßen sein und versuchen, die Räumung zu verhindern. Die von allen Seiten erwartete Eskalation scheint unvermeidbar. Doch Innensenator Körting, der eigentlich für die Ruhe und Ordnung in der Stadt verantwortlich sein sollte, verkündet stur: “Der Rechtsstaat wird sich durch Linksterroristen nicht erpressen lassen“.
Das klingt konsequent. Die viel wichtigere Frage wäre jedoch, warum sich eine rot-rote Koalition auf Landesebene und ein grüner Bürgermeister im Bezirk entgegen aller wohnungspolitischen Versprechungen des Vorwahlkampfes von zwei Hauseigentümern auf der Nase herum tanzen lassen.
Ganz offensichtlich ging es den Eigentümern Suitbert Beukert und Edwin Thöne – seines Zeichens Geschäftsführer des Kinderschutzbundes Unna e.V. – von Beginn an um die Räumung des Hauses. Beukert kaufte 1999 gleich mehrere ehemals besetzte Häuser in Friedrichshain und begann zunächst in der Rigaer Straße 94 erfolgreich eine Teilräumung von Wohnungen und Gewerberäumen gerichtlich beschließen und polizeilich durchführen zu lassen. Seine Masche war in allen Fällen ähnlich: Er nutzte Lücken aus den Mietverträgen, die zur Legalisierung der Häuser Anfang der 1990er Jahre abgeschlossen wurden. In der Liebigstraße 14 war es eine von den Bewohner/innen eigenständig eingebaute Tür, die letztendlich als Kündigungsgrund herhalten musste.
Das Beispiel der Liebigstraße 14 zeigt sehr deutlich, das geltenden Mietrecht erfüllt seine Funktion der Vertragssicherheit für die Bewohner/innen nur solange, wie diese den Verwertungsinteressen der Eigentümer/innen nicht im Wege stehen. Der viel gelobte Rechtsstaat ist hier zur Diktatur des Privateigentums verkümmert. Folgerichtig wird das Grundrecht auf eine Wohnungsversorgung nun im politischen Raum und auf der Straße ausgetragen. Eigentümer Beukert, Gerichtsvollzieher Damm und Innensenator Körting Berlin haben es mit ihrer Exmitierungsstrategie geschafft, Berlin wohnungspolitisch ins 19. Jahrhundert zurückzukatapultieren.
Auch damals standen Eigentümerwillkür und Räumungen auf der Tagesordnung und auch damals schon wurden sie ‘rechtstaatlich’ abgesichert und von Gerichtsvollziehern mit Polizeiunterstützung durchgeführt. 1872 erlebte Berlin nach der Räumung einer Barackensiedlung in der Blumenstraße seinen ersten Häuserkampf. Der in zynischer Sachlichkeit formulierte geschriebene Polizeibericht von 1872 ist kaum von den heutigen Statements zu unterscheiden:
»Als ihre Insassen nicht gutwillig gingen, wurde mit Zerstörung gedroht und diese auch ausgeführt. Am 27. August wurden 21 Baracken vor dem Landsberger Tor, in Friedrichshain gelegen, durch die Feuerwehr abgebrochen. Die Möbel der Barackenbewohner, wie die Bestandteile der Baracken selbst, wurden nach dem Friedrich-Wilhelms-Hospital für erwerbsunfähige Arme in der Großen Frankfurter Str. 17 geschafft und den Insassen das Arbeitshaus als vorläufiges Obdach angewiesen, so groß auch der Widerwille gegen dasselbe bei Einzelnen war.« (Berliner Städtisches Jahrbuch, Jg. 1874, S. 231)