Die Mieter/innen der sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften waren in den vergangenen Wochen erstmals aufgerufen, sich für die Wahl zu den Mieterräten zu bewerben. Die Einrichtung der Mieterräte ist im Wohnraumversorgungsgesetz geregelt und geht auf den Gesetzentwurf des Mietenvolksentscheides zurück.
Nun wurde bekannt, dass über 100 Mieter/innen von der Wahl der Mieterräte ausgeschlossen. Mieterinitiativen protestieren gegen den Ausschluss von kritischen Mieter/innen und fordern eine Wiederholung der Mieterratswahlen auf demokratischer Grundlage.
taz: Kritiker sind unerwünscht
Mitereforum Pankow: 108 Mieter von der Kandidatur ausgeschlossen
Zum Hintergrund
Anders als die bisher existierenden Mieterbeiräte sollen die Mieterräte nicht nur „Verbesserungsvorschläge, Anregungen und Empfehlungen unterbreiten“ (Mieterbeirat Gewobag) sondern sollen die „Beteiligung der Mieterschaft an Unternehmensentscheidungenen“ sicher stellen und „insbesondere zu den Unternehmensplanungen bei den Neubau-, Modernisierungs- und Instandsetzungsprogrammen“ Stellung zu nehmen und werden mit je einem Sitz in den Aufsichtsräten der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften vertreten sein (Wohnraumversorgungsgesetz, §6).
Großes Interesse an Mieterräten und über 100 ausgeschlossenen Kandidat/innen
Fast 1.000 Kandidatinnen und Kandidaten zur Wahl der Mieterräte belegen den breiten Wunsch nach mehr Mitbestimmung. Dass sich die landeseigenen Wohnungsunternehmen nicht von allen Mieter/innen nur in die Karten blicken lassen wollen, wird schon im Vorfeld der Mieterratswahlen deutlich. Über 100 Kandidat/innen wurde durch die sogenannten Wahlkommissionen das passive Wahlrecht entzogen. Auffällig dabei, dass die Verfahren in den einzelnen Wohnungsbaugesellschaften unterschiedlich gehandhabt wurden.
Während bei der HOWOGE, der WBM und der STADT UND LAND insgesamt nur 14 Bewerbungen zur Kandidatur abgelehnt wurden, waren es bei der DEGEWO, der Gesobau und der Gewobag zusammen über 90 Ablehnungen. Spitzenreiter beim Entzug des passiven Wahlrechts ist die Gewobag mit einer Ablehnungsquote von 25 Prozent.
Unklare Ausschlusskriterien der Wahlkommissionen
Mieterinitiativen kritisieren, dass so insbesondere kritische und aktive Mieter/innen aus den Mieterräten ausgeschlossen werden sollen. So berichtete das Pankower Mieterforum bereits vor einiger Zeit, dass ausgerechnet vier aktiven Mieter/innen die Nichtzulassung zur Wahl der Mietrräte mitgeteilt wurde. In den standardisierten Schreiben hieß es:
„Sie haben sich um eine Kandidatur für den GESOBAU-Mieterrat beworben. der dieses Jahr zum ersten Mal gewählt wird. Vielen herzlichen Dank dafür!
Die unabhängige Wahlkommission hat Ihre Bewerbung geprüft und entschieden. dass Sie nicht als Kandidatin bzw. als Kandidat zugelassen werden können. Nach 53. Absatz 4 der Wahlordnung zur Bildung von Mieterräten bei der GESOBAUAG im Sinne des Artikel 2 55 6 und 7 WoVG Bln kann die Wahlkommission Kandidatinnen und Kandidaten für die Wahl zum Mieterrat ausschließen. sofern in der Person schwerwiegende Verstöße gegen das friedliche Zusammenleben oder gegen die Hausordnung oder nachhaltige Verletzungen der mietvertraglichen Pflichten vorliegen.
Ihr Ausschluss beruht auf dem Vorliegen einer der zuvor genannten Kriterien.“
Senat ohne Durchblick
Der Senat bestreitet in der Antwort auf eine Kleine Anfrage eine politische Zensur. Die Senatsverwaltung stellt in dem parlamentarischen Vorgang klar:
Abgelehnt werden können Kandidaturen zu den Mieterratswahlen wenn „schwerwiegende Verstöße gegen das friedliche Zusammenleben oder gegen die Hausordnung vorliegen oder aber eine nachhaltige Verletzungen der mietvertraglichen Pflichten besteht.”
„Das Engagement im Sinne der Mieterinnen und Mieter bei Konflikten mit den Wohnungsbaugesellschaften gehört nicht zu den Voraussetzungen für den Entzug des passiven Wahlrechts.”
Doch Dokumente der Wohnungsbaugesellschaft Gesobau zeigen, dass schon Einsprüche gegen Modernisierungsankündigungen und rechtliche Auseinandersetzungen mit den Wohnungsbaugesellschaften ausreichen, um von den Wahlen ausgeschlossen zu werden. Ein solches Vorgehen stünde in deutlichem Gegensatz zu den Versicherungen des Senats in der Antwort auf die Kleine Anfrage.
Die Wahlkommission der Gesobau hat offensichtlich regelrechte Dossiers über die Kandidat/innen angelegt, in denen neben „allgemeine Informationen“ auch „Auffälligkeiten gegenüber der GESOBAU AG“ als Begründung für die Ablehnung der Kandidatur aufgeführt werden. Konkret vorgeworfen wird dem Mieter u.a.:
- legte zur Ankündigung von Modernisierungs- und lnstandsetzungsmaßnahmen (…) ein
- er widerspricht sämtlichen angekündigten Maßnahmen
- Mieter verweigert die Duldung der Fassadendämmung
- Es gab viele Verhandlungen unter Beteiligung der Mieterberatung Prenzlauer Berg, der Bauplaner und des Kundencenters, die GESOBAU machte eine Reihe von Zugeständnissen, während Mieter keinerlei Kompromissbereitschaft zeigte.
Es erscheint angesichts dieser internen Informationen aus dem Vertragsverhältnis zwischen Mieter und Wohnungsbaugesellschaft naheliegend, dass die angeblich unabhängige Wahlkommission über einen sehr guten Draht zur Vermietungs- und Rechtsabteilung der Gesobau verfügt.
Einsprüche, Klagen und einstweilige Verfügungen sind legitime Rechtmittel von Mieter/innen bei strittigen Fragen und in der Regel Ausdruck von Interessendifferenzen zwischen Mieter/innen und Wohnungsbaugesellschaften. Kandidat/innen nun ausgerechnet wegen ihrer aktiven Interessenvertretung den Weg in die Mieterräte zu verwehren, wäre schlichtweg undemokratisch, weil es kritische Stimmen von vorherein ausschließt. Mieterräte die sich nicht auch mit den Wohnungsbaugesellschaften streiten wollen, braucht kein Mensch.
Demokratischer Neustart der Mieterratswahlen gefordert
Mieterinitiativen fordern inzwischen:
Die Mieterratswahlen sind abzubrechen und auf einer tatsächlich demokratischen Grundlage neu durchzuführen.
Zudem werden alle Mieter/innen, die von einem solchen Ausschluss von der Kandidatur betroffen sind, aufgefordert, sich beim Pankower Mieterforum zu melden um ein Netzwerk der von der Kandidatur ausgeschlossenen Mieter zu bilden.