Berlin: Deutungsgerangel um Prenzlauer Berg

Von Andrejholm

Mein kleiner polemischer Artikel („Prenzlauer Berg als hyperlokale Enklave„) zum Versuch eine Lokalzeitung in Prenzlauer Berg zu etablieren hat ein erstaunliches Echo hervorgerufen. Hier gab es 10 Kommentare zum gleichen Posting beim Freitag sogar 27 Kommentare. Torsten Wahl hat in der Berliner Zeitung das Thema aufgegriffen („Mit Milchschaum vorm Mund„) und die Webseite evangelisch.de freut sich über meine schöne neuen Wortschöpfung vom „Hyper-Enklavismus“. Doch nicht allen hat mein Artikel gefallen. Peer Schader hat bei den Medienpiraten eine bissige Antwort formuliert: „Wie Berlin den Prenzlauer Berg zu hassen lernte“. Auch per twitter wurde das Thema aufgegriffen und kommentiert.

Kleiner Beitrag große Wirkung…

Neben einigen interessanten Hintergründen zum Hype-Lokal-Journalismus und den damit verbundenen Geschäftsmodellen gab es in den Kommentaren auf den Beitrag einige Bestätigung für meine Interpretationen der Prenzlauer Berg Nachrichten (PBN) als Medium der milieubezogenen Selbstvergewisserung. Heinz etwa schrieb:

Soll doch die Bionade-Bourgeoisie unter sich bleiben! Diese Geschichtslosen Charaktermasken brauchen offensichtlich solche Seiten zur Selbstvergewisserung, Vernetzung und als Visitenkarte.

Auch Jayne bestätigt im Freitags-Blog den denunziatorischen Ton in einzelnen Beiträgen der PBN und ergänzt:

so ist eine verständigung zwischen den verschiedenen milieus kaum zu bewerkstelligen, und ich glaube, daß das von den prenzlauer-berg-nachrichten-machern auch gar nicht gewollt ist: sie selbst stellen sich einfach dar als das ganze, vereinnahmen es für sich …
Danke für diesen interessanten beitrag.

Sehr hübsch im Freitags-Blog übrigens der erste Kommentar von Matt Dillon:

Dein Beitrag hat leider nichts mit Glaubensfragen zu tun.
Somit kannst Du auf weitere Kommentare nicht rechnen.

So kann man sich täuschen. Denn, wenn eines deutlich geworden ist: Gentrification ist eine Glaubensfrage und zwar eine, die sehr emotional vertreten wird…

Gentrification als Glaubensfrage…

Und so ließen auch die Gegenreaktionen nicht lange auf sich warten. Frisch aus den Weihnachtsferien zurück, schrieb sich Peer Schader im Medienpiraten-Blog in einen längeren und eher emotional gehaltenen Artikel den Frust von der Seele: „Wie Berlin den Prenzlauer Berg zu hassen lernte„.  Mein Beitrag wird dort unter der Rubrik Vorurteil abgehakt. Zwar würde vieles stimmen, was ich von den Veränderungen in Prenzlauer Berg berichte, aber

… das Letzte, was eine dringend notwendige Debatte über die Veränderung der Stadt braucht, ist ein Haufen beleidigter Auskenner, die mit Generalverurteilungen um sich schlagen.

In den Kommentaren zu seinem Artikel hat sich mittlerweile eine hübsche Debatte entwickelt, an der ich mich nur allzu gern beteiligt habe:

… offensichtlich hat mein Beitrag zu den Prenzlauer Berger Nachrichten einen offenen Nerv getroffen. Die differenzierte Wahrnehmungsstruktur von städtischen Veränderungen bereitet regelmäßig vor allem denen Schwierigkeiten, die sich in der Konkurrenz um die reale Hegemonie in Stadtteilen erfolgreich durchsetzen konnten.

Im Kern des Kommentars versuchte ich auf ein paar Argumente von Peer Schader einzugehen.

Medienpiraten: Unter anderem beschreibt der Autor, dass sich auch in seinem hessischen Heimatdorf einiges verändert habe, in den vergangenen 20 Jahren.  Das sei nun mal so, und deshalb solle sich auch in Prenzlauer Berg niemand darüber aufregen…

Meine Antwort: Wie Sie ja sehr anschaulich am Beispiel ihres hessischen Heimatdorfes beschreiben, verändern sich die Städte und Regionen ständig und auch überall. Richtig erkannt. Sie schreiben, dass sei nun mal so und Früher sei vorbei. Ja, das ist ohne Zweifel so – trotzdem wird es auch in Ihrem Heimatdorf den einen oder die andere geben, die die neuen Geschäfte nicht umstandslos begrüßen und die sich womöglich gerne an die Spaziergänge im offenen Feld erinnern. Wir könnten jetzt ausführlicher darüber nachdenken, warum wer welche Erinnerungen pflegt. Eine soziologische Analyse von Erinnerungskulturen setzt dabei übrigens u.a. bei den Repräsentationsmustern im Hier und Jetzt an: Ob eine Veränderung als längst überfällige Innovation eines unhaltbaren Zustandes begrüßt oder als Verlust wahrgenommen wird, ist wesentlich davon abhängig welche Identifikationschancen der/die Einzelne daran hat. Wenn ich selber in den neuen Geschäften arbeite oder dort günstig die Dinge erhalte, die ich gerne konsumiere, habe ich einen anderen Blick auf die Veränderungen, als wenn ich meinen Hof dafür aufgeben musste und mir ein bisher unverstellter Blick in die Landschaft verbaut wird.
Es bringt meiner Meinung nach nichts, da mit Basta-Argumentationen („es ist eben so“) zu versuchen eine Vereinheitlichung der Wahrnehmungen zu verlangen. Spannend erscheint mir vielmehr, diese Differenzen zum Ausgangspunkt einer Analyse von sozialen und kulturellen Ungleichheiten zu benutzen. Es kann gut sein, dass Sie sich für Ungleichheiten in der Gesellschaft nicht so stark interessieren – ich mich schon. Mit den Beiträgen in meinem Blog versuche ich dies für den Bereich der Stadtentwicklung kenntlich zu machen – deshalb auch ein Beitrag zu den Prenzlauer Berger Nachrichten (PBN).

Medienpiraten: Ein zweites Argument von Peer Schader hebt hervor, dass anderswo viel sachlicher mit dem Thema der Gentrification umgegangen würde.  Als Beispiel wird ein wirklich lesenswerter Beitrag zur Gentrification in Williamsburg (New York) angeführt. Sehr anschaulich wird darin erklärt was eine Gentrification ausmacht: “An old neighbourhood has cheap rents that attract artists. The artists spruce the place up. That attracts youthful newcomers. That attracts the bars, shops and restaurants the newcomers like. The neighbourhood becomes cool. And safe. That attracts wealthier people, with families. The rents rise. Older inhabitants and original pioneers then leave and start again somewhere else.”  Dazu stellt Peter Schader fest:

Der Text handelt vom New Yorker Stadtteil Williamsburg, in dem genau das gerade passiert, aber er hätte ebenso gut über Prenzlauer Berg geschrieben werden können – nur nicht in deutschen Zeitungen, nicht jedenfalls so nüchtern und analytisch, weil deutsche Journalisten beim Schreiben ungern auf ihre Vorurteile verzichten. Das immerhin haben sie mit manchen Bloggern gemeinsam. Zum Beispiel Andrej Holm. (…)

Meine Antwort: Um den von Ihnen so geliebten Observer mit seiner Sachlichkeit zu den Verdrängungsdynamiken in Williamsburg (New York) zu zitieren: „That attracts wealthier people, with families. The rents rise. Older inhabitants and original pioneers then leave and start again somewhere else…“

Auch in New York geht es offenbar um einen klassenspezifischen Austauschprozess im Stadtteil. Das Gebiet wird attraktiver für wohlhabende Familien – ältere Bewohner/innen und die Kreativen der früheren Phasen müssen ausziehen. Das ist eine sachliche Feststellung. Die eine Gruppe hat die andere verdrängt. Wenn ich diese simple Feststellung auf Prenzlauer Berg beziehe und von einem „bildungsbürgerlichen Aufwertungsmilieu“ schreibe, wird es zum Vorurteil?
Kann es sein, dass Sie sich in meiner Beschreibung anders als in den wohlhabenden Neu-Williamsburgern selbst gespiegelt sehen und einen Beitrag über Prenzlauer Berg mit einem größeren Maß an emotionaler Intensität lesen? Unter diesen Umständen ist es kein Wunder, dass Sie die journalistisch gewünschte Nüchternheit der Analyse vermissen.

Medienpiraten: „Die Qualifikation, die den Journalisten der “Prenzlauer Berg Nachrichten” fehlt, ist Holm zufolge, dass sie im Osten aufgewachsen sind. So ein Unfug. Die wenigsten Journalisten, die über die Atompolitik Irans schreiben, sind ausgebildete Kernphysiker. Es ist auch keine Voraussetzung, schon mal Kanzler gewesen zu sein, um in der “Süddeutschen” einen Kommentar zur Regierungsbilanz Angela Merkels schreiben zu dürfen. Aber wer übers Lokale schreiben will, darf das nur, wenn er an Ort und Stelle schon in die Windeln gemacht hat?“

Meine Antwort: Wenn ich Ihre Aufregung richtig deute, wollen Sie die Veränderungen in Prenzlauer Berg (die Sie ja selbst auch recht anschaulich beschreiben) nicht als Ost-West-Problem verkürzt wissen. Das ist schön, denn darin sind wir uns offenbar einig. Ich greife das Thema in meinem Beitrag übrigens genau einmal auf: Im Kontext der Selbstbeschreibungen der PBN-Redakteur/innen schreibe ich, es „klingt wie die Ansammlung schlechter Klischees“ und „so ungefähr stellt sich das Feuilleton den Bionade-Biedermeier vor“. Ist das der „Generalverdacht“ von dem Sie schreiben? Ist das die „triefende Empörung über die Zugezogenen“ die Sie in meinem Beitrag lesen?

Was ich in meinem Blog-Beitrag kritisiere ist weniger eine West-Herkunft als eine milieubezogenen Homogenität der Redaktion (bei der die Herkunft nur eine Komponente ist) die – wie ich versuchte zu zeigen – sich in den bisherigen Beiträgen der PBN widerspiegelt (…).
Anders als Sie es mir in die Schuhe zu schieben versuche, geht es keineswegs darum, irgendjemanden das Recht abzusprechen, eine eigenen Zeitung zu machen – die von mir formulierte Befürchtung bezog sich auf die bisherige Beschränktheit der Perspektive bei gleichzeitig proklamierter Deutungshoheit. Das journalistisch-inhaltliche Konzept ist von einem großen ‘Wir’ des Stadtteils getragen. Ein tendenziöser Filmbeitrag firmiert unter dem Titel „Das ist Prenzlauer Berg“ etc. – die Option eines umkämpften/umstrittenen/differenziert wahrgenommenen Raumes wird zumindest nicht explizit formuliert und auch ein Anschluss an bestehende Stadtteildiskurse wird in den bisherigen Beiträgen nicht offensichtlich gesucht. Vielleicht habe ich ja den Aufruf zum Mitschreiben und die Suche nach neuen Redakteur/innen ebenso übersehen wie einen Hinweis auf die bereits seit Jahren existierenden Weblogs (Leute vom Teute, Helmholtzplatz Blog, Prenzlberger Stimme) oder die seit Anfang der 1990er Jahre über die Stadterneuerung berichtende Zeitschrift VorOrt.

Medienpiraten: „Die Zeitung habe außerdem ein “merkwürdiges Gründungsmotiv”, findet Holm, und zitiert Herausgeber Philipp Schwörbel, der sagt, er glaube an die Zukunft eines solchen Projekts, weil sich die Berliner Tageszeitungen immer mehr aus der Bezirksberichterstattung zurückziehen.Der Schlüsselsatz in Holms Beitrag lautet aber: “Ich habe von Lokal-Journalismus nicht wirklich viel Ahnung (…).” Er hat Recht.“

Meine Antwort: Das ohne den Kontext zu zitieren ist nicht wirklich überzeugend, denn merkwürdig fand ich ja nicht, dass Philipp Schwörbel „an die Zukunft des Projektes glaubt“ (wie Sie schreiben), sondern dass er gegenüber dem Spiegel als Impuls für die Initiative des Projektes angab, nicht gewusst zu haben, wer der Bezirksbürgermeister sei. Dank ihrer Erklärungen weiß ich ja nun, dass die Berichterstattung über das iranische Atomprogramm nicht von Kernphysikern getragen wird – dass die darüber berichtenden Journalist/innen aber wissen, wie der iranische Präsident heisst, erwarte ich trotzdem.

Von Journalist/innen hyperlokaler Stadtteilnachrichten wünsche ich mir darüber hinaus, dass Sie sich auch für Perspektiven und Konflikte im Stadtteil interessieren, die nicht ihre eigenen sind. Und genau in dieser Hinsicht haben mich die ersten Wochen des Projektes nicht wirklich überzeugt.

p.s. Ich habe inzwischen einen Mail-Anfrage von der Redaktion der PBN erhalten, ob ich nicht eine Erwiderung auf den Bützow-Blues von Peter Dausend schreiben möchte…

Schwierig zu entscheiden: Gebe ich mit einem Beitrag dem von mir kritisierten Projekt ein kritisches Feigenblatt? Andererseits: Sollte nicht jede Gelegenheit genutzt werden, die Debatte zu vertiefen?

Vielleicht ein gute Gelegenheit für einen Gentrification-Blog-Publikums-Joker: Soll ich oder soll ich nicht?