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Am vergangenen Freitag hat der Supermarkt – ein Flaggschiff der digitalen Kulturboheme in Berlin – zu einem Workshop „Brunnenstraße zwischen Startup-Hype und sozialen Problemen“ geladen. Thema: die aktuellen und künftigen Entwicklungen im Gebiet.
Anlass war die seit einigen Jahren forcierte Ansiedlung von Kunst- und Kulturprojekten und Start-ups der Kreativbranchen im Weddinger Brunnenviertel. Das Gebiet ist überwiegend von Siedlungsbauten aus den 1960er und 1970er Jahren geprägt, zählt zu den ärmsten Nachbarschaften der Stadt und unterliegt durch seine unmittelbare Nähe zum hippen Mitte einem erheblichen Aufwertungsruck.
Der Supermarkt wird als Katalysator der Entwicklung des Brunnenviertel zum Eldorado der Kreativen angesehen. Susa Pop, die ihr Public Art Lab bereits einige Zeit früher eröffnete spricht von der Eröffnung des Supermarktes (März 2012) als einer „großen Bereicherung“ und einer „großen Plattform“. Die Dynamik der Ansiedlung von Kreativen könne in eine Zeit „davor“ und eine „danach“ unterteilt werden. Insofern spricht es für den Supermarkt, dieser herausgehobenen Rolle gerecht zu werden und Verantwortung für Diskussion über die Nachbarschaftsveränderungen zu übernehmen. Leider wurde der Workshop nicht wirklich dazu genutzt, sich mit der Verdrängungsgefahr auseinanderzusetzen.
Kreativ-Hype, steigende Mieten, teure Neubauprojekte: Das Kind scheint bereits tief in den Gentifizierungs-Brunnen gefallen zu sein. Eine Workshop, der sich um den Begriff und die Probleme herumdrückt, wird daran nicht viel ändern.
Aufgeklärte Pioniere und die Verdrängung der Verdrängungsgefahr
Obwohl die Sorge um mögliche Gentrifizierungs- und Verdrängungsprozesse in den Vorbereitungsdiskussionen ganz offensichtlich präsent war, wurden für einen zunächst internen Workshop der sogenannten Stakeholder im Gebiet vor allem Vertreter/innen der Kreativwirtschaft, der DEGEWO, der Immobilienwirtschaft und der IHK eingeladen. In der anschließenden öffentlichen Runde wurden die Diskussionen der Expert/innen kurz vorgestellt. Bastian Lange – der sich seit Jahren wissenschaftlich mit den kreativen städtischen Milieus beschäftigt – fasste die Diskussionen zusammen. Angelehnt an die im Management so beliebten SWOT-Analysen wurden Stärken und Schwächen des Gebietes zusammengetragen und Forderungen vorgestellt. Wenig überraschend wurden “Bildungsprobleme”, die “soziale Situation” und das “schlechte Image” (Brunnenviertel als „Ort sozialer Probleme“) als Schwächen des Gebietes benannt. Darüber hinaus wurde eine “unzureichende Vernetzung“ beklagt. Als Stärken – so waren sich die Stakeholder einig – wurden die “Vielfalt der Bewohnerschaft”, die “Potentiale vieler Freiräume” und die “günstige Lage” („dicht an Mitte“) hervorgehoben. Die aus dieser Situationsbeschreibung abgeleiteten Forderungen bezogen sich auf die Entwicklung „stabiler Bündnisse verschiedener Interessensgruppen“, einen “verbesserten Kontakt zu den Anwohner/innen” („Wir wünschen uns aktive Mietergruppen“) und die Entwicklung eines „kommunikativen Konzepts für das, was wirklich im Brunnenviertel passiert“. Das klingt etwas kryptisch, soll aber vermutlich den Wunsch nach mehr Kontakten zu Leuten außerhalb der jeweils eigenen Subszenen ausdrücken. Der “Erhalt der kulturellen Vielfalt” wurde ebenfalls eingefordert. Darüber, ob Strategien gegen die Verdrängung gesucht werden müssten, bestand Uneinigkeit, insbesondere, weil die städtische Wohnungsbaugesellschaft DEGEWO als größte Vermieterin im Gebiet gar keine Verdrängungsgefahr sieht:
„Das Problem der Verdrängung existiert hier nicht“ (so jedenfalls fasste Bastian Lange die Position der DEGEWO zusammen).
Diese Aussage blieb undiskutiert – obwohl die Vertreter der DEGEWO zu berichten wussten, dass der Anteil von Hartz-IV-Haushalten in ihren Beständen nur noch bei 25 Prozent liege. Noch vor ein paar Jahren war in Reportagen über das Brunnenviertel von einem Anteil von 49 Prozent die Rede. Die Verdrängung der ärmeren Haushalte scheint also in vollem Gange.
Wie ein Mantra wurde auf dem Workshop jedoch die “besondere Situation des Brunnenviertels” beschworen, die eine „klassische Gentrification wie in Neukölln gar nicht zulassen” würde.
Steven Kovats artistic director der auch international bedeutende transmediale (festival for art and digital culture“) etwa sieht im Brunnenviertel eine
„… behutsame Art der städtischen Regeneration und keine übermotivierte Gentrification. Das Brunnenviertel steht für die Vereinbarkeit von Kultur und sozialer Mischung.“
Eine Teilnehmer, der aus Mitte „herübergekommen“ war, interpretierte diue aktuellen Entwicklungen als „gesunde Durchmischung“ und schlug vor, einen „goldenen Mittelweg zwischen Förderung und Kontrolle des Zuzugs” zu suchen. Auch Alexander Happ von der Buwog-Meermann GmbH (ein von Immofinanz aus Österreich aus initiierter Bauträger in Berlin) sieht keine Gentrification-Gefahr im Brunnenkiez:
„Ein großer Tanker wie die DEGEWO bewegt sich eben auch sehr träge. Anders als in den echten Gentrification-Gebieten mit vielen privaten Eigentümern werden hier ja keine Häuser verkauft.“
Sein eigenes Projekt (ein geplanter Abriss&Neubau von 200 Wohnungen in der Brunnenstr. 123-125) müsse sich jedoch „den heutigen Kostenstrukturen stellen“ sagte Happ in der Diskussion. Seinen Aussagen zufolge werden die Wohnungen in der Brunnenstraße für 12 Euro/qm angeboten werden. Ganz sicher kein Beitrag für die „behutsame Regeneration“, die sich alle so sehr wünschen.
Wenn Nachbarschaft „irgendwo da draußen“ ist
Doch mit der Analyse von Preisentwicklungen im Gebiet hielt sich die Runde nicht länger auf, statt dessen wurde darüber diskutiert, wie denn nun der Kontakt zu den Nachbar/innen aufgebaut werden könne. Eine junger Mann, seit einigen Jahren im Quartiersrat engagiert, berichtet von den Schwierigen Erfahren mit der Aktivierung der Nachbarschaft. Es sei “schwierig, aktive Menschen zu finden“, aber mit einem Sportfest hätte man gute Erfahrungen gemacht. Auch der Supermarkt selbst wusste zu berichten, dass ein explizit offenes Frühstück (einmal im Monat) nur von wenigen Nachbar/innen angenommen werde. Das liege ganz sicher auch am Profil des sehr speziellen Programms, dass nun mal nicht auf die Nachbarschaft ausgerichtet sei. Susa Pop vom Public Art Lab fasste diesen Umstand prägnant zusammen:
„Es ist für uns einfacher mit Leuten aus Amsterdam, London und Kopenhagen gemeinsame Projekte zu organisieren, als Leute aus der Nachbarschaft kennenzulernen.“
Die Frage, warum denn überhaupt eine solche Verbindung mit der Nachbarschaft gewünscht werde, wurde nicht direkt beantwortet. Eine paar Bemerkungen zeigen jedoch, dass es vor allem darum geht, die sensibel wahrgenommenen Veränderungen zu legitimieren, die durch die eigenen Aktivitäten ausgelöst werden.
Ela Kagel vom Supermarkt sagte:
„Es ist schwierig, herauszufinden, wer hier aktiv ist, dabei wäre eine Vernetzung in der Nachbarschaft überlebensnotwendig“
Andreas Krüger von der Belius GmbH berichtete von seinen Erfahrungen im Modular-Projekt am Moritzplatz in Kreuzberg und betonte, wie wichtig es sei, die unmittelbare Nachbarschaft anzusprechen. Er sei zu
„allen persönlich hingegangen, habe Festivitäten und Grillfeste organisiert und darauf geachtet, dass unser Projekt nicht als Solitär wahrgenommen wird.“
Es geht in der Diskussion um die Kontakte zu den Nachbar/innen nicht nur um das schlechte Gewissen von Gentrification-Pionieren, sondern auch einen selbstbewusste Gestaltungsanspruch in der Nachbarschaft. Vernetzung und Einbindung in nachbarschaftlichen Strukturen sind dabei kein Selbstzweck. Es sei wichtig, sich „nicht in der eigenen Welt einzuspinnen“. Das sei in Kreuzberg auch sehr erfolgreich gewesen und haben eine „große Akzeptanz“ für seine Projekte erzeugt. Letztendlich ginge es darum, die „Entwicklungen vorauszuahnen und zu gestalten“.
Das Gentrification-Tabu
Wie in einem Tabu-Spiel, bei dem der zu erratenden Begriffs nicht genannt werden darf, blieb unausgesprochen, worin der „Überlebenskampf“ bestehe und wofür es eine „große Akzeptanz“ gegeben habe. Ela Kagel brachte diese Unsicherheit in ihren Abschlussworten auf den Punkt:
„Es ist viel Positives gesagt worden, aber wir werden auch weiter darüber nachdenken müssen, mit welchen Strategien wir das verhindern, was wir alle nicht wollen.“
“Das, was alle nicht wollen”? Der Workshop hätte auch den Untertitel tragen können: „Wie spreche ich über Gentrification ohne den Begriff zu nennen.“ Tatsächlich wurde das G-Wort ausschließlich im Zusammenhang mit anderen Bezirken wie Neukölln oder Mitte benutzt.
Diese Unsicherheit von kommunikationserfahrenen Kulturschaffenden und Projektgestalter/innen mag nur auf den ersten Blick verwundern, doch in den Äußerungen wurde das widersprüchliche Selbstbild der Kreativen im Brunnenviertel deutlich. Zwar verorten sich die meisten Projekte ganz ausdrücklich als Teil des Brunnenviertels, doch die unmittelbare Nachbarschaft wird letztendlich als etwas Äußerliches zu rezipieren.Ela Kagel vom Supermarkt formulierte diese merkwürdige Distanz als Frage „ Wir wollen wissen, was da draußen los ist?“. Andere wollten „herauszufinden, was tatsächlich im Brunnenviertel passiert?“.
Diese konzeptionelle Trennung von eigener Szene und der Nachbarschaft „da draußen“ reflektiert letztendlich die sehr unterschiedlich verteilten Ressourcen, die Entwicklung einer Nachbarschaft tatsächlich gestalten zu können. Auf der einen Seite die anonyme und schwer zu aktivierende Nachbarschaft, die vor allem mit Bildungsdefiziten und sozialen Problemen in Verbindung wird – auf der anderen Seite die international vernetzte und hochgradig kommunikationsgeschulte Kreativbranche, die von IHK, Immobilienmarktakteuren und Planungsinstitutionen als Stakeholder der künftigen Gebietsentwicklung anerkannt wird.
Das Dilemma der Kreativen ist ihre Doppelrolle, an einem Tisch mit den professionellen Stadtentwicklern über die künftige „Gestaltung des Quartiers“ zu diskutieren und zugleich einen unmittelbaren Alltagsbezug in der Nachbarschaft zu haben. Während die anderen „Stakeholder“ vor allem Geld im und mit dem Brunnenviertel verdienen wollen, also eine professionell funktionales Verhältnis zur Nachbarschaft haben, sind die kreativen Start-ups auch als Nutzer/innen und teilweise als Bewohner/innen mit der Nachbarschaft verbunden. Das klassische Pionierdilemma gleichermaßen Veränderungen auszulösen und von ihnen betroffen zu sein, lässt sich nicht aufheben.
Eine kritische Auseinandersetzung mit der eignen Rolle in die Nachbarschaft müsste die eigenen Klassen- und Milieuzugehörigkeiten reflektieren. Die Veranstaltung am Freitag hat deutlich gezeigt, dass es nur wenige Kontakte zu den Mieter/innen im Brunnenviertel gibt („Wir wissen einfach nicht von den Aktiviäten im Kiez“) und diese wegen des geringen Organisationsgrades der Nachbarschaft auch nicht über institutionalisierte Kooperationen („Wir wünschen uns aktive Mietergruppen“) hergestellt werden können.
Bezeichnender Weise war die einzige Anwohner/in ohne eine professionellen Bezug zur Gegend eine junge Frau, die „nach langen Überlegungen, den Schritt von Mitte über die Grenze gewagt“ hat, um hier „eine Familien zu gründen“. Sie wolle sich gerne „engagieren und vernetzen“ sei auf der Suche nach „andere Familien, die sich hier angesiedelt haben und den Kiez gestalten wollen“. Insbesondere brauche es „Begegnungsstätten, in denen sich Eltern über die Bildungsproblem und Schulfragen hier im Gebiet austauschen“ könnten. Die vorhandene Familieneinrichtungen oder auch Spielplätze wurden ganz offensichtlich nicht als die geeigneten Orte für die gewünschten Elterngespräche angesehen: Schön wären vielmehr „solche Eltern-Kind-Cafes wie in Prenzlauer Berg“. Gemeint war vermutlich schön wären mehr solche Eltern wie in Prenzlauer Berg.
Vielleicht war das Statement unglücklich formuliert, aber dass die Einrichtungen der Kreativen vor allem von den zugezogenen Bildungsbürgern als Plattform angenommen werden, macht die Sache mit „dem, was wir alle nicht wollen“ auch nicht einfacher.