Die Schlagzeilen überschlagen sich: “Linksextremisten vertreiben Guggenheim aus Kreuzberg” (Tagesspiegel), “Kreuzberg vergrault Guggenheim” (Berliner Zeitung), “Autonome vertreiben Guggenheim aus Kreuzberg” (Die Welt), “BMW fährt in Berlin-Kreuzberg gegen die Wand” (SpOn) oder auch “Guggenheim kapituliert in Kreuzberg” (Mitteldeutsche Zeitung).
Was klingt wie eine erbitterte und gewalttätige Auseinandersetzung, ist so etwas wie ein Praxistest für das umstrittene BMW Guggenheim Lab. Wenn auch anders als geplant, hat das Lab seine Funktion erfüllt und städtische Trends der Gegenwart in anschaulicher Weise sichtbar gemacht.
Anlass für die Aufregung in den Hauptstadtmedien ist die Absage eines temporären Veranstaltungsortes der Guggenheim-Stiftung, die in Kooperation mit dem Automobilkonzern BMW im Rahmen eines sogenannten “BMW Guggenheim Labs” vom 24. Mai bis zum 29. Juli Zwischenstation in Berlin Kreuzberg einlegen wollte. Der eigenen Beschreibung nach sollten im ‘Laboratorium’ junge Talente der Stadtforschung, Architektur, Technologie, und anderer Disziplinen aktuelle Trends der Stadtentwicklung identifizieren und zukunftsweisende Ideen für das städtische Leben von morgen entwickeln. In insgesamt sechs Städten (u.a. New York, Mumbai und Berlin) sollen für jeweils zwei Monate die Diskussionen und Erkundungen der städtischen Zukunft stattfinden.
Selbstverständlich sollten nicht nur Expert/innen aller Couleur, sondern auch die Nachbarschaften in den jeweiligen Städten zu Wort kommen. Stadtplanung ohne Partizipation ist ja schon heute kaum denkbar. Doch bereits auf der ersten Station in New York ging diese Rechnung nicht wirklich auf und Nachbarschaftsinitiativen verwandelten das Lab in die Bühne ihres Protestes gegen Gentrification und Verdrängung.
In Berlin formierte sich der Protest gegen das Projekt bereits im Vorfeld (taz: “Widerstand gegen das Kunstlabor“) und mit der Begründung einer angeblich “hohen Gefährungseinstufung seitens der Polizei” (SpOn) sagten die Organisator/innen das geplante Gastspiel in Kreuzberg gut zwei Monate vor dem eigentlichen Start ab.
Die Berliner Politik reagierte auf die Entscheidung erwartungsgemäß: Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) bedauert “dass es gegen einen geplanten Standort des BMW Guggenheim Lab in Kreuzberg Drohungen gegeben hat” und will auch weiterhin dem “renommiertes Zukunftsprojekt (…) den roten Teppich ausrollen”, Innensenator Henkel (CDU) sieht den Standort Berlin durch Chaoten gefährdet und der Kreuzberger Bürgermeister Franz Schulz (Grüne) trauert einer verpassten “Chance, stadtpolitischen Themen ein Forum zu geben“ nach. Die Piraten und die Linke schaffen es in der Frage weder in die Schlagzeilen noch die Artikel und die Gegner des BMW Guggenheim Labs freuen sich über ihren Erfolg (“Tschüss BMW-Gentrifizierungs-Lab!”)…
Guggenheim im Praxistest
Diese Positionierungen und auch die teilweise empörten Medienreaktionen übersehen jedoch, dass der eigentliche Zweck des Laboratoriums auf höchst innovative Weise erfüllt wurde. Um städtische Trends zu erkunden, braucht es in Berlin keine kunstvoll überdachte Arena des Expertendiskurses, sondern eine schlichte Analyse des Konfliktes um ihre Ansiedlung in der Stadt. Ganz ohne Guggenheim und Co. wird deutlich, die Stadt von heute ist höchst fragmentiert, die Innenstädte sind umkämpfte Räume und das Kooptionspotential der allgegenwärtigen Bürgerbeteiligungsmodelle hat seinen Zenit überschritten.
Standortsuche in der fragmentierte Stadt
Der nun gescheiterte Versuch, das BMW Guggenheim Lab in Kreuzberg zu installieren, war bereits der dritte, einen Standort in Berlin zu finden. Bereits im vergangenen Jahr wurde über mögliche Veranstaltungsorte auf dem Pfefferberg und in der Kastanienallee diskutiert. Der eine Ort war angeblich zu klein, am anderen gab es zuviel Stress mit den Gewerbetreibenden und dem geplanten Straßenumbau. Das Berlin-Team des Laboratoriums befand daraufhin, dass Kreuzberg der prädestinierte Standort für das Projekt sei. Ganz offensichtlich geht es bei Standortfragen für ein solches Projekt nicht nur um einen technisch geeigneten Ort, sondern auch um den sozialräumlichen Kontext – und der unterscheidet schon in Berlin zwischen den Stadtteilen erheblich. Für Prenzlauer Berg wurden insbesondere “interessante Synergien mit den dort ansässigen Kulturpartnern” und die Nähe zur Kreativszene als lokale Spezifika hervorgehoben:
„Der Pfefferberg in Berlin ist ein ideales Domizil für das BMW Guggenheim Lab“, erklärte Richard Armstrong . „Welcher Ort könnte besser geeignet sein, wichtige Einflussfaktoren auf das urbane Leben zu untersuchen, als dieser sanierte Industriekomplex im Herzen einer der progressivsten Zentren von Kultur und Kreativität weltweit… (BMW)
Kreuzberg hingegen gilt eher als authentischer Ort der Subkultur. Im BauNetz heißt es: “Prenzlauer Berg ist tot. Guggenheim Lab zieht nach Berlin-Kreuzberg”.
Anscheinend ist es jetzt auch im Guggenheim in New York und bei BMW angekommen, dass der Berliner Bezirk Prenzlauer Berg ausgehtechnisch tot ist. Jedenfalls soll der zu Stadtforschungsprojekten um die Welt wandernde „Think Tank“-Pavillon, das Guggenheim Lab des japanischen Büros Atelier BowWow, nun doch nicht in Prenzlauer Berg aufgebaut werden, sondern ins hippe Kreuzberg ziehen. Und zwar dort hin, wo nachts der Bär brummt: auf der Freifläche an der Straßenkreuzung Cuvrystraße/ Schlesische Straße (siehe zur Planung und zum Konzept BauNetz-Meldung vom 19. Mai 2011).
Schon die Suche nach dem geeigneten Ort für das Laboratorium geriet so zu einer Tiefenerkundung der differenzierten Geographie von Stadtteiltraditionen und Milieus.
Guggenheim in umkämpften Räumen
Der Protest gegen das BMW Guggenheim Lab wurde wesentlich mit der befürchteten Schubwirkung für bereits begonnene Aufwertungs- und Verdrängungsprozesse in Kreuzberg begründet. Das ist nicht überraschend, denn schon in der Geschichte der Internationalisierung des New Yorker Museums wurde die Wechselwirkung zu Gentrification-Prozessen ausführlich diskutiert. Insbesondere der viel gepriesene Guggenheim-Effekt in Bilbao (neues Image und verstärkte Tourismusströme nach Neubau des Guggenheim-Museums Ende der 1990er Jahre) wurde von den Soziologen Lorenzo Vicario und Manuel Martinez Monje als Auslöser und Motor von Aufwertungsprozessen in den umliegenden Nachbarschaften der baskischen Metropole beschrieben: “Another ‘Guggenheim Effect’? The Generation of a Potentially Gentrifiable Neighbourhood in Bilbao“. Entsprechend ist die tiefsitzende Skepsis von Stadtteil- und Mieterinitiativen solch einem Projekt gegenüber nur wenig verwunderlich. Wenn wir Gentrification-Dynamiken als Auseinandersetzung zwischen Grundeigentümer/innen und Mieter/innen und auch zwischen verschiedenen sozialen Gruppen interpretieren, die ihre Ansprüche auf die selben Stadtviertel richten, dann gibt es auch keine ‘neutralen’ Kunst- und Forschungslaboratorien mehr. Insbesondere Projekte wie ein Laboratorium städtischer Trends müssen sich entsprechend in diesen Konfliktfeldern verorten und sich mit den lokalen Konflikten auseinandersetzen.
Selbstermächtigung statt Partizipation
Die Beispiele aus New York und Berlin zeigen darüber hinaus, dass die jahrelang dominante Form der partizipativen Stadtplanung, die über Moderations- und Aktivierungsinstrumente die städtischen Umstrukturierungen abfederten oder legitimierten, nicht mehr reibungslos greifen. Im Zeitalter von Occupy-Protesten und Piratenparteien reicht es offensichtlich nicht mehr aus, die Bewohner/innen der Stadtteile zu Workshops und Diskussionen einzuladen. Neben der Sorge um die Stadtteilentwicklung und der Lust am Stören kommt in den Protesten gegen das BMW Guggenheim Lab vor allem eines zum Ausdruck: Der Wunsch tatsächlich mitzubestimmen und die Entwicklungen der Nachbarschaften auch selbst zu gestalten.
Die Strategien der Selbstermächtigung bei den Guggenheim-Stadt-Laboren unterscheiden sich in New York und Berlin. Während in NYC das Guggenheim-Projekt als Bühne des Protestes geentert wurde, haben die Berliner Protestgruppen das Labor selbst zu Gegenstand der Auseinandersetzung erhoben und hatten mit ihrer Mobilisierung sogar Erfolg.
BMW Guggenheim Lab in New York
BMW Guggenheim Lab in Kreuzberg
Die Suche nach den Zukünften der Stadt muss in Berlin erst einmal selbst auf die Suche begeben – nach einem geeigneten Ort. Über die Gegenwart der Stadt haben wir schon jetzt eine Menge erfahren können – Danke Guggenheim! Danke Kreuzberg!