Was tun, wenn an einer verkehrstechnisch bedeutsamen Brücke ein stabilisierender Pfeiler ersetzt werden muss? Richtig: Der Pfeiler wird ersetzt.
Was tun, wenn ein wirtschaftlich bedeutsamer Flughafen nicht rechtzeitig fertig wird? Richtig: Es wird so schnell wie möglich zu Ende gebaut.
Was tun, wenn der Soziale Wohnungsbau seinen sozialen Funktionen nicht gerecht wird? Richtig: Nichts, es könnte ja Geld kosten.
Aktuell bestimmen neben dem Führungskampf in der Berliner SPD und der mangelnden Erstligareife von Hertha BSC vor allem zwei Themen die stadtpolitische Diskussion in der Hauptstadt: Das Flughafendesaster in Schönefeld und die verkorkste Mietenpolitik. Was diese Themen verbindet, ist vor allem die gegensätzliche Selbstverständlichkeit, wie mit den Fehlern der Vergangenheit umgegangen wird.
Während sich die Verantwortlichen der gescheiterten Flughafeneröffnung hinter einem neuen Termin im März nächsten Jahres verstecken und die Kröte von zusätzlichen Kosten (von bis zu 500 Mio. Euro ist die Rede) schlucken, wird der Soziale Wohnungsbau faktisch als Baustelle im Rohzustand verlassen. Nach Schätzungen der Senatsverwaltung würden 100 Mio. Euro ausreichen, um eine wirklich soziale Mietobergrenze im Sozialen Wohungsbau zu finanzieren. Diese Ausgabe hält Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) jedoch für “politisch nicht durchsetzbar” – nur gut, dass wenigstens genug Geld für die neuen Flugpisten in Schönefeld zur Verfügung steht.
Wohnungspolitik der ganz kleinen Schritte
Der inzwischen nicht mehr ganz so neue Senator für Stadtentwicklung hat am Wochenende sein wohnungspolitisches Schmalspurprogramm via Pressegespräch mit einer Nachrichtenagentur verkündet: Müller hält Mietobergrenzen in Berlin für nicht durchsetzbar (Morgenpost). Die Ideen, wie bezahlbarer Wohnraum in Berlin erhalten bzw. neu geschaffen werden soll, ist schnell zusammengefasst.
- Die öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften mit ihren knapp 280.000 Wohnungen sollen im Rahmen eines ‘Bündnis für soziales Wohnen’ “dafür Sorge tragen, dass ihre Mieter nicht mehr als ein Drittel des Haushalts-Nettoeinkommens an Miete ausgeben müssen”.
- Im Laufe der Legislaturperiode sollen 30.000 neue Wohnungen gebaut werden, um den Nachfragedruck vom Markt zu nehmen. “Wer ein landeseigenes Grundstück vergünstigt bekommen wolle, solle künftig eine Quote von erschwinglichen Wohnungen erfüllen müssen, so sehe es die neue Liegenschaftspolitik der Koalition vor”.
Alle, die sich substantielle Aussagen zu den derzeit von Mieterinitiativen aufgerufenen Themen wie Hartz-IV-Bemessungsgrenzen, Mietsteigerungen im Sozialen Wohnungsbau oder der drohenden Verdrängung durch energetische Sanierungen erhofft hatten, wurden enttäuscht.
Eine Wohnung ist kein Flughafen
Die Forderungen der Sozialmieter/innen nach Mietobergrenzen in den geförderten Wohnungen wurden sogar mit einer direkten Absage quittiert:
Mietobergrenzen für Sozialwohnungen können nach Ansicht von Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) nicht zur Lösung des Berliner Mietenproblems beitragen. Eine solche Regelung sei politisch derzeit nicht durchsetzbar, sagte Müller. “Da müsste man richtig viel Geld in die Hand nehmen.” Nach Schätzung der Senatsverwaltung könnte eine Mietbeschränkung bei rund 150.000 Sozialwohnungen in Berlin jährlich bis zu 100 Millionen Euro kosten.
Nur zur Erinnerung, das Land Berlin zahlt seit Jahrzehnten erhebliche Beträge in das Fördersystem des Sozialen Wohnungsbaus. Auch wenn seit 2001 keine neuen Sozialwohnungen mehr errichtet werden, wird den Eigentümer/innen der Sozialwohnungsbestände weiterhin die Differenz zwischen den absurd hohen Kostenmieten und den in den Förderprogrammen festgelegten Sozialmieten gezahlt.
Schematische Darstellung des Förderverlaufs im Sozialen Wohnungsbau in Berlin. Die grauen Streifen oben (AZ/AD) stellen die monatlichen Subventionsbeträge pro Quadratmeter dar. (Quelle: Empirica 2000)
Diese Aufwendungszuschüsse und -darlehen betragen monatlich (je nach Kostenmiete) 7 bis 12 Euro je Quadratmeter. Bei noch immer knapp 160.000 Sozialwohnungen (mit einer durchschnittlichen Wohnungsgröße von 65 qm) wird der Soziale Wohnungsbau in Berlin demnach monatlich mit 73 bis 125 Mio. Euro subventioniert. Das entspricht einem jährlichen Förderumfang von über 850 Mio. bis zu 1,5 Mrd. Euro. Klingt viel, ist es auch – und eigentlich würde man für solche Summen eine halbwegs soziale Wohnungsversorgung erwarten.
Die Proteste der Mieter/innen am Kotti zeigen nun jedoch, dass die Mieten für ihre Einkommen zu hoch sind – trotz der umfangreichen Förderung für die Sozialwohnungen. Die intendierten (sozialen) Versorgungsfunktionen eines milliardenschweren Förderprogramms werden so verfehlt. Die Forderung, dies durch eine Festlegung von Mietobergrenzen zu revidieren, wird vom zuständigen Senator forsch zurückgewiesen. Das ist ungefähr so, als würden sich die Flughafen-Verantwortlichen nach der Eröffnungspleite nun dazu entscheiden, das Projekt völlig einzustellen, weil niemand die Mehrkosten übernehmen will.
Was beim Flughafenausbau (Erstellung der intendierten Funktionsfähigkeit) selbstverständlich erscheint, wird beim Sozialen Wohnungsbau mit der selben Selbstverständlichkeit zurückgewiesen. Von der Beharrlichkeit der protestierenden Mieterinitiativen und der Solidarisierung mit ihnen wird abhängen, ob die Berliner Wohnungspolitik auch in Zukunft den Bruchpiloten der Vergangenheit überlassen wird.